Politik

Oskar Lafontaine: „Europa zahlt den Preis für die Feigheit der eigenen Staatenlenker“

Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten im Gespräch mit Oskar Lafontaine über den wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands, den Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der Nato in der Ukraine – und warum er den Abzug der amerikanischen Truppen aus Deutschland fordert.
27.11.2022 08:00
Lesezeit: 5 min
Oskar Lafontaine: „Europa zahlt den Preis für die Feigheit der eigenen Staatenlenker“
Oskar Lafontaine zum wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands und dem Stellvertreterkrieg zwischen Nato und Russland in der Ukraine. (Foto: dpa)

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie geht es weiter nach der Sprengung der Gaspipelines Nordstream 1 und Nordstream 2?

Oskar Lafontaine: Die Sprengung der beiden Gaspipelines ist eine Kriegserklärung an Deutschland und es ist erbärmlich und feige, dass die Bundesregierung den Vorfall unter den Teppich kehren will. Sie sagt, sie wisse zwar etwas, könne dies aber aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht sagen. Die Spatzen pfeifen es doch auch längst schon von den Dächern: Die USA haben den Anschlag entweder direkt durchgeführt oder sie haben zumindest grünes Licht dafür gegeben. Ohne das Wissen und die Zustimmung Washingtons wäre die Zerstörung der Pipelines, die einen Angriff auf unser Land darstellen, unsere Wirtschaft ins Mark treffen und unseren geostrategischen Interessen zuwiderlaufen, nicht möglich gewesen. Es war ein feindseliger Akt gegen die Bundesrepublik – nicht nur gegen sie, aber auch - der einmal mehr deutlich macht, dass wir uns vor der Vormundschaft der Amerikaner befreien müssen.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Ihrem neuen Buch „Ami, it´s time to go!“ fordern Sie den Abzug amerikanischer Truppen aus Deutschland. Ist das nicht unrealistisch?

Oskar Lafontaine: Natürlich geht das nicht von heute auf morgen, aber das Ziel sollte klar sein: Der Abzug sämtlicher militärischen Einrichtungen und Atomwaffen der USA aus Deutschland und die Schließung der Ramstein Airbase. Darauf müssen wir beharrlich hinarbeiten und gleichzeitig eine europäische Sicherheitsarchitektur aufbauen, weil die von den Vereinigten Staaten geführte NATO, wie ja auch der französische Präsident Emmanuel Macron zwischenzeitlich richtig erkannt hatte, obsolet ist. Das liegt daran, dass die NATO schon längst kein Verteidigungsbündnis mehr ist, sondern ein Werkzeug zur Durchsetzung des Anspruchs der USA, die einzige Weltmacht zu bleiben. Wir sollten aber unserer eigenen Interessen formulieren und die sind mit denen der USA beileibe nicht deckungsgleich.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Sie sagen, die Amerikaner seien für die Sprengung der Pipelines verantwortlich. Glauben Sie da im Ernst, dass sie Deutschland kampflos aufgeben würden?

Oskar Lafontaine: Nein, das wird haarig, aber ich sehe dazu keine Alternative. Bleiben wir und die übrigen europäischen Länder weiter unter der Vormundschaft der USA, dann werden die uns über die Klippe schieben, um ihre eigenen Interessen zu wahren. Wir müssen also langsam unseren Spielraum erweitern, am besten zusammen mit Frankreich. Wie Peter Scholl-Latour habe ich schon vor vielen Jahren einen deutsch-französischen Bund gefordert. Dann könnte auch die Verteidigung der beiden Staaten integriert werden, als Keimzelle eines unabhängigen Europas. Um einen inzwischen abgedroschenen Ausdruck zu bemühen: Wir erleben die Geburtswehen der Übergangsphase von einer uni- zu einer multipolaren Weltordnung. Und hier erhebt sich die Frage, ob wir in dieser neuen Weltordnung einen eigenständigen Platz einnehmen oder uns als Vasallen der USA in die Konflikte Washingtons mit Moskau und Peking hineinziehen lassen. Wir können dabei nur verlieren.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Da müssen wir noch mal nachhaken. Der amerikanische Einfluss auf die deutsche Politik und die Medien ist doch unendlich groß. Wie wollen Sie sich da Spielraum erarbeiten?

Oskar Lafontaine: Unter Kanzlern wie Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder ging es doch auch. Die hatten zumindest in einigen Konflikten die deutschen Interessen im Blick und haben sie nicht in vorauseilendem Gehorsam über Bord geworfen. Man braucht eben auch Rückgrat, wenn man an der Spitze eines Landes steht. Das Bild von Bundeskanzler Scholz, der wie ein Schuljunge neben US- Präsident Biden stand, als dieser verkündete, aus Nordstream 2 werde nichts, war eine Demütigung. Und dazu noch die deutsche Außenministerin, die die US- Propaganda nachplappert und der Wirtschaftsminister, der „führend dienen“ will. Mehr Anbiederung geht nicht.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was für ein Spiel spielen Baerbock und Habeck?

Oskar Lafontaine: Was Frau Baerbock anbelangt, so möchte ich sie in Schutz nehmen. Die spielt kein Spiel. Die ist vermutlich wirklich so einfältig. Und Habeck ist in seinem Amt komplett überfordert.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: In Ihrem Buch zitieren Sie Machiavelli: „Nicht wer zuerst zu den Waffen greift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt.“ Beziehen Sie das auf den Ukraine-Konflikt?

Oskar Lafontaine: Natürlich meine ich damit auch und vor allem den Ukraine-Konflikt, der spätestens mit dem Putsch auf dem Kiewer Maidan im Jahr 2014 begonnen hat. Die USA und ihre westlichen Vasallen haben seitdem die Ukraine aufgerüstet und sie auf einen Krieg gegen Russland systematisch vorbereitet. So wurde die Ukraine zwar nicht de jure, aber de facto ein NATO- Mitglied. Diese Vorgeschichte wird von den westlichen Politikern und Mainstreammedien geflissentlich ignoriert.

Gleichwohl war es ein unverzeihlicher Bruch des Völkerrechts, dass die russische Armee in die Ukraine einmarschiert ist. Täglich sterben Menschen und alle, ob Moskau, Kiew oder Washington, die Verantwortung dafür tragen, dass es noch keinen Waffenstillstand gibt, laden schwere Schuld auf sich. Seit über 100 Jahren ist es das erklärte Ziel der US- Politik, ein Zusammengehen der deutschen Wirtschaft und Technik mit den russischen Rohstoffen um jeden Preis zu verhindern. Es ist vollkommen klar, dass wir es hier, wenn man die Vorgeschichte mit einbezieht, mit einem Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland zu tun haben, der von langer Hand vorbereitet worden ist. Dass gerade die SPD das Erbe Willy Brandts und seiner Entspannungspolitik derartig verraten und nicht einmal auf der Einhaltung des Minsker Abkommen ernsthaft bestanden hat, ist unverzeihlich.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Und? Haben die USA ihre Kriegsziele erreicht?

Oskar Lafontaine: Ja und nein. Was die Kappung der Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und der EU anbelangt, waren sie äußerst erfolgreich. Auch ist es ihnen gelungen, die EU und Deutschland als ihre potentiellen geostrategischen und wirtschaftlichen Rivalen vorerst aus dem Spiel zu nehmen. Noch mehr als vor dem Ukraine-Konflikt bestimmen sie jetzt die Politik der EU-Staaten, auch dank willfähriger Politiker in Berlin und Brüssel. Sie können ihr dreckiges Fracking-Gas verkaufen und die US- Rüstungsindustrie macht Bombengeschäfte.

Auf der anderen Seite ist es ihnen nicht gelungen, „Russland zu ruinieren“, wie es Frau Baerbock als eines ihrer Sprachrohre formuliert hat, Putin zu stürzen und in Moskau eine Marionettenregierung einzusetzen, um wie zu Zeiten Jelzins besser an die russischen Rohstoffe heranzukommen. Und ich habe den Eindruck, dass die USA inzwischen einsehen, dass sie hier auf Granit beißen. Trotz massiver Waffenlieferungen an die Ukraine, die Entsendung zahlreicher „Militär-Berater“, ist die Atommacht Russland militärisch nicht zu bezwingen. Zudem erweisen sich die westlichen Sanktionen als Bumerang, sie schaden den westlichen Staaten mehr als Russland und werden zu De-Industrialisierung, Arbeitslosigkeit und Armut führen. Die arbeitende Bevölkerung in Europa zahlt den Preis für die Weltmachtambitionen einer durchgeknallten Elite in Washington und die Feigheit der europäischen Staatenlenker.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Ab jetzt geht es also abwärts?

Oskar Lafontaine: Wir müssen dringend dafür Sorge tragen, dass der Ukraine-Konflikt beendet wird. Und das wird nur gehen, wenn die USA ihren Plan, Russland in die Knie zu zwingen – bevor sie sich China zur Brust nehmen – aufgeben. Hierfür brauchen wir eine europäische Initiative und die muss von Frankreich und Deutschland ausgehen.

Tun wir es nicht, und kommen wir nicht bald zu einem Arrangement mit Russland bezüglich unserer Rohstoff-und Energieimporte, dann wird die Wirtschaft in Deutschland und Europa den Bach runtergehen und rechte Parteien werden in Europa immer stärker.

*****

Dieses Interview ist ein Gastbeitrag und spiegelt nicht zwangsläufig die Ansichten der Redaktion wider.

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Info zur Person:

Oskar Lafontaine, Jahrgang 1943 in Saarlouis geboren, war Im Verlauf seines politischen Lebens Oberbürgermeister in Saarbrücken, Ministerpräsident des Saarlandes, Vorsitzender der SPD, Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister. Im März 1999 legte er alle seine bisherigen politischen Ämter in der SPD aus Kritik am Regierungskurs von Gerhard Schröder nieder. Er war Gründungsvorsitzender der Partei DIE LINKE, die auf seine Initiative hin aus PDS und Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) entstanden ist, Vorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag und Spitzenkandidat bei den saarländischen Landtagswahlkämpfen 2009, 2012 und 2017. Bis zu seinem Parteiaustritt im März 2022 führte er seit 2009 die Fraktion der Linken im saarländischen Landtag.

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