Politik

Lauterbach: Impfpflicht im Gesundheitswesen wird wieder abgeschafft

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht steht vor dem Aus. Bundesländer, Gesundheitsämter und Ärzteverbände fordern das schon länger. Nun hat auch Gesundheitsminister Lauterbach seinen Widerstand aufgegeben – mit einer seltsamen Begründung.
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24.11.2022 12:27
Aktualisiert: 24.11.2022 12:27
Lesezeit: 3 min
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Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gibt seinen Widerstand gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht auf. Das geht aus einem SZ-Bericht hervor, der sich auf Ministeriumskreise bezieht. Damit steht dem Auslaufen der Regelung zum Jahresende, die eine aktuelle Corona-Impfung von Mitarbeitern in Kranken- und Pflegeeinrichtungen verlangt, nicht mehr im Weg.

Lauterbachs seltsame Erklärung zum Ende der Impfpflicht

Laut Insidern aus dem Gesundheitsministerium bezeichnete Lauterbach die Regelung als „medizinisch kaum noch zu rechtfertigen“ und als „nicht fortsetzungsfähig“. Dem ZDF sagte Lauterbach: „Die Impfung schützt nicht mehr vor Ansteckung. Wenn sie nicht mehr vor Ansteckung schützt, dann gibt es auch keinen Grund mehr dafür in diesen Einrichtungen.“

Darüber hinaus verwies der Gesundheitsminister auf die „neuen Varianten“ des Virus, die durch den jetzigen Impfstoff „nicht zu erfassen“ seien. „Das heißt, man kann sich trotzdem anstecken, das wird wahrscheinlich auch für die BQ1.1-Variante gelten“.

Die Erklärung verwundert insofern, dass der sogenannte Fremdschutz der Corona-Impfungen, also der Schutz vor Ansteckung und Übertragung des Virus, seit langem angezweifelt wird. Spätestens seit dem Auftreten der Omikron-Variante, die laut Robert-Koch-Institut seit Juni 2022 das Infektionsgeschehen dominiert, existiert dieser Schutz praktisch nicht mehr.

Das sieht auch der Immunologe Carsten Watzl so, der dem ZDF sagte, seit Omikron habe sich nichts verändert, „da muss man nicht erst auf die BQ1.1-Variante warten.“ Watzl ist Leiter der Forschungsgruppe Immunologie an der TU Dortmund. „Für eine Verlängerung der Impfpflicht würden jegliche Argumente fehlen. Man könnte sie auch einfach auslaufen lassen“, so Watzl weiter.

Anhaltende Kritik an einrichtungsbezogener Impfpflicht

Die Impfpflicht im Gesundheitswesen stand seit längerem in der Kritik. Aufgrund des mangelnden Fremdschutzes sei sie nicht länger verhältnismäßig, zu bürokratisch und seit dem neuen Infektionsschutzgesetz (IfSG) auch nicht mehr praktikabel, so die Argumente von Bundesländern, Ärzteverbänden, Gesundheitsämtern und Pflegeeinrichtungen.

Im September liefen bereits die Bundesländer gegen die Regelung Sturm. Auslöser war das damals gerade neu überarbeitete IfSG, nach dem der Impfstatus aller Mitarbeiter im Gesundheitswesen neu hätte überprüft werden müssen – obwohl die Impfpflicht nur bis zum Jahresende Gültigkeit hatte. Demnach hätte nur noch im Gesundheitswesen arbeiten dürfen, wer mindestens drei Einzelimpfungen oder zwei Impfungen und einen positiven Antikörpertest vorweisen kann.

Viele Beschäftigte hatten aufgrund der Verschärfung ihren Impfstatus auffrischen müssen und die Behörden hätten folglich bei jedem Einzelnen den Status neu überprüfen müssen. Die Länder sahen darin einen zu großen und unverhältnismäßigen Bürokratieaufwand. Zuerst hatten Bayern und Baden-Württemberg angekündigt, die Umsetzung der Regel zu boykottieren.

Bayerns Landesregierung zweifelte zudem an der Haltbarkeit der Mahn- und Bußgeldverfahren, da dazu bereits einige Gerichtsverfahren anhängig sind. Zudem kämpfen viele Pflegeeinrichtungen mit akutem Personalmangel, der durch die Impfpflicht noch verschärft würde. Die Landesregierung wies die Gesundheitsämter daher dazu an, keine Aufforderung zum Impfnachweis mehr zu verschicken.

Andere Bundesländer verfuhren ähnlich. Die Entscheidung über etwaige Betretungsverbote aufgrund fehlender Impfungen obliegt den Gesundheitsämtern, die aufgrund der angespannten Personallage im Gesundheitswesen nur sehr selten davon Gebrauch machten. In Sachsen soll beispielsweise bis heute ein Drittel der Pflegekräfte ungeimpft sein. Damit mutierte die einrichtungsbezogene Impfpflicht von Anfang an zum Papiertiger, der von Landesbehörden und Verbänden zurecht als unpraktikabel und realitätsfern kritisiert wurde.

Ärzteverbände begrüßen Abschaffung der Impfpflicht

Neben dem fehlenden Fremdschutz der Impfung führten wohl auch die niedrigen Infektionszahlen zum späten Umdenken des Gesundheitsministers. Lauterbach hatte in jüngster Vergangenheit immer wieder schwere Corona-Wellen prognostiziert – zuerst im Sommer, dann im Herbst und nun wieder für den Winter – die bisher aller ausblieben.

Lauterbach hatte darauf erneut große Mengen Impfstoff bei den Pharmafirmen bestellt, um die Bevölkerung im von ihm prognostizierten Notfall erneut impfen zu können. Inzwischen gilt es als unwahrscheinlich, dass dieser Fall noch eintritt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) begrüßte daher den Schritt, die Impfpflicht im Gesundheitswesen auslaufen zu lassen. In einer Stellungnahme auf Twitter teilte die KBV mit:

„Die Entscheidung der Bundesregierung, die einrichtungsbezogene Impfpflicht zum Ende des Jahres auslaufen zu lassen, ist richtig. Sie drohte zur Belastung für Krankenhäuser, Praxen und Pflegeeinrichtungen zu werden, wo jede Fachkraft dringend gebraucht wird.“

Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender KBV-Vorsitzender, ergänzte: Ab Ende des Jahres ist damit endlich Schluss. Und das ist auch gut so.“ Die Durchsetzung der Impfpflicht sei mir enormer Bürokratie verbunden und hätten ausgerechnet von denjenigen verwaltet werden müssen, die sich eigentlich um ihre Patienten kümmern sollten: Ärzten, medizinischen Mitarbeitern und Pflegefachkräften.

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