Politik

Bundesregierung plant Maßnahmen, um Milliarden-Defizit bei Krankenkassen zu verringern

Das Defizit im System der gesetzlichen Krankenkassen weitet sich weiter aus. Die Bundesregierung versucht mit mehreren Maßnahmen gegenzusteuern.
21.10.2022 08:36
Lesezeit: 2 min

Die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) müssen sich auf höhere Beiträge im nächsten Jahr einstellen. Der Bundestag beschloss am Donnerstag eine große Finanzspritze zum Ausgleich eines Milliardendefizits bei den Kassen, die auch eine Anhebung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags von wohl 0,3 Punkten umfasst. Der Gesamtbeitrag könnte damit im Schnitt auf 16,2 Prozent steigen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verteidigte das Gesetz, das mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP angenommen wurde. Von der Opposition hagelte es Kritik.

Lauterbach sagte in der abschließenden Debatte, es könne gerade angesichts der aktuellen Krisen das Versprechen eingehalten werden, dass es keine Leistungskürzungen für Patienten geben werde. Zugleich solle der Beitragssatz "so wenig wie notwendig" steigen.

Das Finanzpaket, gegen das Branchenverbände wochenlang protestiert hatten, soll ein für 2023 erwartetes Minus von 17 Milliarden Euro auffangen. Dazu gehört ein Abbau von Finanzreserven bei den Kassen. Der Bund stockt seinen üblichen Zuschuss von 14,5 Milliarden Euro an die GKV im kommenden Jahr um zwei Milliarden Euro auf und gewährt zudem ein Darlehen von einer Milliarde Euro. Mit höheren Abschlägen herangezogen werden auch Arzneimittelhersteller und Apotheken.

Die Opposition lehnte das Gesetz ab. "Sie belasten einseitig die Beitragszahler", sagte Unions-Gesundheitsexperte Tino Sorge. Es sei "ein Problemverschiebegesetz". Der CDU-Politiker hielt Lauterbach eine Mitverantwortung für das Defizit vor, weil dieser bei Vorhaben der vorherigen schwarz-roten Regierung mit am Tisch gesessen habe.

Die Linke-Abgeordnete Kathrin Vogler sagte, das Vorhaben sollte "GKV-Finanzierungs-Murks-Gesetz" heißen. Sie bemängelte, dass die Zusatzbeiträge besonders Menschen belasteten, die gerade eh nicht wüssten, wie sie Energie und Essen bezahlen sollten. Martin Sichert (AfD) hielt der Koalition vor: "Sie verhalten sich nicht wie eine verantwortungsvolle Regierung, sondern wie eine Räuberbande, die das Land plündert und verwüstet."

Lauterbach sagte, das Gesetz solle auch grundsätzliche Probleme lösen. So könnten Pharmahersteller neue Medikamente, die keinen oder nur einen geringen Zusatznutzen haben, künftig nicht mehr zu deutlich erhöhten Preisen auf den Markt bringen. Extra-Vergütungen für Praxen für neue Patienten hätten sich nicht bewährt und würden gestrichen. Dafür sollen höhere Honorare als Anreiz eingeführt werden, wenn Patienten schneller an Facharzttermine kommen. Dies sei "ein Schritt in Richtung Abbau der Zwei-Klassen-Medizin", sagte Lauterbach mit Blick auf gesetzlich und privat versicherte Patienten.

Zum Paket gehört auch ein höherer Zusatzbeitrag. Bisher liegt der durchschnittliche Satz, den das Ministerium jährlich zur Orientierung festlegt, bei 1,3 Prozent. Für 2023 sei eine Anhebung um 0,3 Punkte "derzeit nicht unrealistisch", hieß es. Die konkrete Höhe des Zusatzbeitrags für ihre Versicherten legen die Kassen aber selbst fest - sie können vom Schnitt abweichen. Der gesamte Beitrag umfasst daneben den allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns.

Unabhängig von der GKV-Stabilisierung dürfte es im nächsten Jahr auch für viele Privatpatienten teurer werden. Die Beträge würden 2023 um durchschnittlich drei Prozent steigen, teilte der Verband der Privaten Krankenversicherung mit. Von Erhöhungen betroffen seien etwa 35 Prozent der Versicherten. Auslöser seien steigende Kosten für Behandlungen und Arzneimittel sowie gesunkene Kapitalerträge wegen der niedrigen Zinsen. Ein erheblicher Teil der höheren Beiträge solle in das Vorsorgekapital zur Finanzierung von Krankheitskosten im Alter fließen. Zuerst berichtete das "Handelsblatt" (Donnerstag) darüber.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Immobilien
Immobilien Klimaanlage einbauen: Was Sie vor dem Kauf wissen müssen
02.07.2025

Die Sommer werden heißer – und die Nachfrage nach Klimaanlagen steigt. Doch der Einbau ist komplizierter, als viele denken. Wer nicht in...

DWN
Technologie
Technologie Balkonkraftwerke: 220.000 neue Anlagen binnen sechs Monaten
02.07.2025

Mehr als 220.000 neue Balkonkraftwerke sind in Deutschland binnen sechs Monaten ans Netz gegangen. Während Niedersachsen glänzt, fallen...

DWN
Politik
Politik USA frieren Waffenlieferungen an die Ukraine ein – Prioritäten verschieben sich
02.07.2025

Die USA stoppen zentrale Waffenlieferungen an die Ukraine. Hinter der Entscheidung steckt ein geopolitischer Kurswechsel, der Europa...

DWN
Politik
Politik Stromsteuer: Kommt jetzt die Entlastung für alle?
02.07.2025

Die Stromsteuer spaltet das schwarz-rote Bündnis – und mit ihr die Frage, ob Bürger und Betriebe wirklich entlastet werden. Während...

DWN
Panorama
Panorama Hitzewelle in Deutschland: Temperaturen bis 40 Grad und drohende Unwetter
02.07.2025

Deutschland ächzt unter extremer Hitze, örtlich steigen die Temperaturen auf bis zu 40 Grad. Experten warnen vor Unwettern, Waldbränden...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis aktuell stabil: Deutsche Goldinvestments erholen sich – wie Anleger jetzt reagieren sollten
02.07.2025

In den vergangenen Wochen war die Goldpreis-Entwicklung von Volatilität geprägt. Das ist auch zur Wochenmitte kaum anders: Obwohl sich...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Hitzestress am Arbeitsplatz: Mehr Krankmeldungen bei Extremtemperaturen
02.07.2025

Extreme Sommerhitze belastet nicht nur das Wohlbefinden, sondern wirkt sich zunehmend auf die Arbeitsfähigkeit aus. Bei Hitzewellen...

DWN
Politik
Politik Europa vor dem Zerfall? Ex-Premier Letta warnt vor fatalem Fehler der EU
02.07.2025

Europa droht, zum Museum zu verkommen – oder zum Spielball von Trump und China. Italiens Ex-Premier Letta rechnet ab und warnt vor dem...