Bei Revolutionen geht es selten friedlich zu. Und als revolutionär können die Absichten Elon Musks, der Twitter Ende Oktober offiziell kaufte, durchaus bezeichnet werden. „Was gerade bei Twitter passiert, ist das wichtigste weltpolitische Ereignis seit dem Sturm auf die Bastille“, twitterte so zuletzt der britische Philosoph Nick Land unter Bezugnahme auf den Beginn der französischen Revolution. Und auch Musk selbst beschwörte im Zuge seiner inzwischen beigelegten Auseinandersetzung mit Apple-Chef Tim Cook eine „Revolution gegen die Online-Zensur in Amerika“.
Wie einst die französische Revolution vor allem adeligen und kirchlichen Vertretern des Ancien Régime als todbringende Unheilstifterin galt, gibt es genug Journalisten, Politiker, Institutionen und Konzerne, die in Musks „Revolution“ einen Vorboten des Untergangs der Plattform sehen. Das mag pathetisch klingen, aber so verhärtet ist eben der Diskurs. Die EU droht Musk sogar damit, Twitter zu sperren, sollte die Plattform der Aufforderung nicht nachkommen, geltendes EU-Recht umzusetzen und dagegen verstoßende Beiträge zu löschen.
Elon Musk meint eine andere Meinungsfreiheit als die EU
„In Europa wird der Vogel nach unseren EU-Regeln fliegen“, twitterte EU-Industriekommissar Thierry Breton nach der Twitter-Übernahme Musks unter Verweis auf das EU-Gesetz über digitale Dienste (DSA), das Social-Media-Dienste zur Löschung illegaler Inhalte verpflichtet. Bei einem Treffen im Mai hatte Musk Breton noch bestätigt, dass sich die Pläne der EU „exakt auf einer Linie“ mit seinem Denken befänden. Freilich spricht die Wirklichkeit eine andere Sprache: Musks Vorstellungen von Meinungsfreiheit stimmen mit jenen der EU nicht unbedingt überein.
Beispielsweise wenn es um den russischen Staatssender „Russia Today“ geht: Zwar verbreite dieser laut Musk „Bullshit“, sollte aber dennoch das Recht dazu haben, dies unbehelligt tun zu können. Die EU hingegen sperrte „Russia Today“ unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Dennoch gibt es auch Anzeichen dafür, dass Musk und die EU allmählich zu eine Kompromiss gelangen. So twitterte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kürzlich nach einem Besuch in den USA, dass Musk sich dazu bekannt habe, gegen terroristische und gewalttätige extremistische Inhalte vorzugehen und Kinder online besser zu schützen, was Musk kurz und bündig auf Französisch bestätigte.
Musk stellt klar, was „okay“ ist und was nicht
Ein eigentlich nicht besonders überraschendes Versprechen, das Macron Musk da „abringen“ konnte, wie der „Spiegel“ titelte. Schließlich verkündete Musk bereits im April, als seine Twitter-Übernahme noch in den Kinderschuhen steckte: „Die Politik einer Social-Media-Plattform ist gut, wenn die jeweils extremsten 10 Prozent auf der linken und rechten Seite gleichermaßen unzufrieden sind.“ Die jüngste Sperrung des politisch irrlichternden US-Rappers Kanye West, der inzwischen „Ye“ genannt werden will, zeigt, dass es sich bei dieser Ansage Musk nicht bloß um eine wohlfeile Floskel handelte.
Schließlich hatte sich der Tesla- und SpaceX-Chef zuvor noch mit Ye ablichten lassen, ihn sogar bei seiner angekündigten US-Präsidentschaftskandidatur unterstützt und bis kurz vor seiner Sperrung noch versucht, auf ihn einzuwirken. Doch dann behauptete „Ye“ im Zuge eines maskierten Auftritts bei dem für Verschwörungstheorien in der Kritik stehenden US-Show-Host Alex Jones, dass Hitler auch gute Seiten gehabt hätte – und postete eine mit einem Davidsstern verschmolzene Swastika. Darauf fand auch die Geduld Elon Musks ein Ende. Zwar postete der Rapper auch ein privates Bild des Unternehmers, um ihn zu verunglimpfen. Aber auf das letztere Bild reagierte Musk mit dem Hinweis, dass dieses „okay“ sei, unter dem ersterem hingegen kommentierte er nur: „Das nicht“.
Biden-Laptop: Twitter-Leaks zeigen interne Zweifel an Artikelsperre
Fast wieder vergessen war die Debatte über die Sperrung Kanye Wests, als der US-Journalist Matt Taibbi kurze Zeit später die „Twitter Files“ in einem längren Twitter-Thread veröffentlichte. Der von Elon Musk zuvor angekündigten Leak interner Twitter-Mails zeigt, wie es im Zuge der Affäre um den mutmaßlich vergessenen Laptop von Joe-Biden-Sohn-Hunter dazu kommen konnte, dass Twitter sich anmaßte die Berichterstattung der „New York Post“ – eine der ältesten US-amerikanischen Zeitungen – über den Vorfall zu verhindern. Dabei griff Twitter, wie die internen Mails zeigen, sogar zu Mitteln, die sonst nur dem Kampf gegen die Verbreitung Kinderpornographie vorbehalten waren. Ein Teilen des Artikels war vorübergehend so nicht einmal in privaten Nachrichten möglich.
Führte die Entscheidung Twitters, die der Konzern damals unter Verweis auf seine Richtlinien im Hinblick auf den Umgang mit gehackten Daten rechtfertigte, schon damals, mitten im US-Wahlkampf 2020, für hitzige Debatten, so wird jetzt erst das Ausmaß auch der internen Debatten deutlich. So kritisierten einige Twitter-Mitarbeiter kurz nach der Entscheidung der Führung nicht nur, dass unklar wäre, inwiefern die Daten überhaupt als gehackt gelten dürften, sondern auch, dass es selbst dann falsch sei, die Berichterstattung einer Zeitschrift darüber einzuschränken. Mit Rohit Khanna warnte sogar ein demokratischer Abgeordneter Twitter in einer Mail davor, möglicherweise gerade mehr Schaden anzurichten, als es die Veröffentlichung der Laptop-Daten allein getan hätte.
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Auf Twitter weht seit Musks Übernahme ein anderer Wind
Während Musk das Vorgehen Twitters als Eingriff in die US-Wahlen kritisiert hatte, berief sich Ex-Sicherheitschef Yoel Roth unter Eid auf eine Warnung des FBIs vor einem möglichen Hackerangriff im Laufe des Wahlkampfs, in der auch explizit Hunter Biden erwähnt worden sei. Ein zuständiger FBI-Agent widersprach dieser Schilderung jedoch jüngst. Noch ist nicht abschließend geklärt, welche Rolle das FBI in dem Fall spielt. Klar ist jedoch, dass auf Twitter seit Musks Übernahme ein anderer Wind weht. Taibbi erwähnte auch, dass es überwiegend – wenn auch nicht nur – demokratische Politiker waren, die Einfluss auf die Moderationspolitik der Plattform nehmen konnten.
Ob Musk diese scheinbare Verflechtung von Big Tech und US-Politik aufhebt oder nur zugunsten der Republikaner dreht, bleibt abzuwarten. Ebenso wie die Moderationspolitik Musks aussehen wird. Bislang ist das Echo gespalten: Konstatierte die „New York Times“ zuletzt noch, dass seit seiner Übernahme mehr „Hate Speech“ kursiere, lobte Eliza Bleu, eine bekannte Überlebende und Anwältin für Opfer von Menschenhandel, Musk dafür, dass Twitter nun endlich im großen Maßstab gegen die Verbreitung von Kinderpornographie vorgehe, was zuvor lange nicht der Fall gewesen sei.
In Teil 2 des Berichts geht es um die Pläne und Visionen Musks hinsichtlich der Zukunft Twitters.