In Südamerika gibt es einen neuen Ölstaat: Die ehemalige britische Kolonie Guyana. Das Guyana-Becken ist einer der vielversprechendsten neuen Öl- und Gas-Hotspots der Welt. Das arme Land mit nur 800.000 Einwohnern ist durch den Ölboom zur am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft der Welt geworden.
Alles begann 2015, als ein Konsortium von Ölkonzernen rund um Marktführer ExxonMobil den ersten Ölfund vor der Küste Guyanas im 6,6 Millionen Hektar großen Stabroek-Block machte. Der Ölgigant aus den USA hatte das gewaltige Potential des Landes frühzeitig erkannt und sich seinen Anteil gesichert. Exxon und seine Partnerfirmen konnten im Rahmen weiterer Explorations-Projekte noch viel mehr hochwertige Ölreserven aufspüren, der letzte große Fund war im Oktober 2022. Seit Beginn der Bohrungen wurden 33 hochwertige Ölquellen gefunden, davon sieben im letzten Jahr. Seit 2015 wurde nirgendwo mehr Öl gefunden als an der Küste Guyanas. Es gibt sogar Anzeichen dafür, dass dem Sedimentbecken in den Gewässern Guyanas der letzten große Offshore-Ölboom auf der ganzen Welt innewohnen könnte.
Niedrigen Kosten sei Dank: Das Guyana-Geschäft ist für Ölmultis besonders lukrativ
Guyana ist für Energiefirmen eines der kostengünstigsten Gebiete in Lateinamerika und sogar weltweit. Die relativ leichten süßen Ölsorten, die in Guyana gefunden werden, haben niedrige Kohlenstoffkosten bei der Förderung und Raffination, insbesondere im Vergleich zu den schwereren sauren Sorten, die typischerweise in Südamerika gefunden werden. Diese Merkmale machen Investitionen in die Offshore-Förderung Guyanas noch attraktiver und sind der Hauptgrund dafür, dass die ehemalige britische Kolonie beträchtliche Geldflüsse von internationalen Ölgesellschaften anzieht.
Im Zuge der jüngsten Entdeckungen erhöhte Exxon seine Schätzung für die förderbaren Ölressourcen in der Umgebung des Stabroek-Blocks auf circa 11 Milliarden Barrel (Fass mit 159 Litern Volumen). Damit verfügt Guyana über mehr Ölreserven als die benachbarten Länder Kolumbien, Ecuador und Argentinien, die auch alle zu den fünf erdölproduzierenden Ländern Südamerikas zählen. In der kurzen Zeit seit der ersten Offhore-Entdeckung durch Exxon im Jahr 2015 ist Guyana zum siebtgrößten Ölproduzenten in Lateinamerika und der Karibik aufgestiegen.
Wie das Fachportal „Oilprice.com“ unter Berufung auf Analysen des Energiedienstleisters „Rystad Energy“ berichtet, werden weitere 25 Milliarden Barrel an noch unentdeckten Reserven allein bei und in der Umgebung von Stabroek vermutet. Exxon entwickelt die Offshore-Abbauprojekte jedenfalls weiterhin mit hohem Tempo und erwartet, dass die hauseigene Produktionsmenge bis 2025 mindestens 800.000 und bis 2030 über eine Million Barrel pro Tag erreichen wird.
Das Liza-Ölfeld, welches ebenfalls vom US-Energiegiganten betrieben wird, pumpt derzeit schon 360.000 Barrel Rohöl pro Tag aus der Erde. Vor knapp einem Jahr wurde hier ein schwimmendes Produktions-, Lager- und Entladungs-Terminal in Betrieb genommen. Der britische Ölriese BP ist im November frisch in das Guyana-Geschäft eingestiegen. Auch kleinere Ölkonzerne konnten zuletzt Offshore-Funde vermelden, wie etwa die 140 Millionen Dollar teure Explorationsbohrung „Kawa-1“ eines Joint Ventures aus CGX Energy und Frontera Energy.
Rystad prognostiziert, dass die tägliche Fördermenge Guyanas bis 2035 auf 1,7 Millionen Barrel steigen und das verarmte südamerikanische Land damit zu den fünf größten Produzenten der Welt aufsteigen wird. Die zuletzt stetig gestiegene Anzahl signifikanter Ölvorkommen in Guyana spricht dafür, dass das Produktionsvolumen noch schneller wachsen wird. Des Weiteren dürften Investitionen in den Ölsektor und die Infrastruktur des unterentwickelten Landes die Vorgänge nochmal beschleunigen. Es ist in jedem Fall eine erhebliche Transformation für das kleine Land, denn noch 2020 - also bevor Exxon einige seiner Ölanlagen in Betrieb nahm - rangierte Guyana nur auf Platz 40.
Zum Vergleich: Die weltweit bekannten Ölreserven betragen grob 1.600 Milliarden Barrel, wovon sich alleine 300 Milliarden im Nachbarland Venezuela befinden. Pro Tag werden auf der gesamten Erde etwa 90 Millionen Barrel aus dem Boden geholt, pro Jahr ergibt das dann näherungsweise 3,3 Milliarden Fässer.
Die Regierung will ein größeres Stück vom Kuchen
Für Exxon sind die Aktivitäten in Guyana nicht zuletzt aufgrund der niedrigen Betriebskosten lukrativ. Die zahlreichen Abbau-Projekte im Stabroek-Block sind schon bei Preisen von 30 bis 35 Dollar pro Barrel Brent-Öl kostendeckend (Durschnittswert für die Kosten, aktueller Marktpreis: 80 Dollar). Die hochmoderne Anlage „Liza Phase 2“ operiert sogar schon bei einem Abnahmepreis von 25 Dollar profitabel. Diese Gewinnschwellen sind im Branchenvergleich sehenswert und sollen noch weiter sinken, sobald zusätzliche Infrastruktur in Betrieb genommen wird. Dafür greift Exxon aber auch tief in die Tasche. Alleine die Erschließung der von Exxon kontrollierten Ölreserven kostet rund 20 Milliarden Dollar. Hinzu kommen dann noch laufende Kosten ab Inbetriebnahme.
Bisher konnte der US-Ölriese von niedrigen Lizenzkosten profitieren. Das dürfte sich jedoch bald ändern. Mit Gebühren und Gewinnbeteiligungen am Ölgeschäft hat Guyana 2022 laut „Oilnow“ 1,2 Milliarden Dollar verdient, wobei all diese Einnahmen in einen neu aufgelegten Staatsfonds übergehen. Für ein Land mit nur 800.000 Einwohnern ist das eine große Summe, aber laut Einschätzung vieler Experten nicht groß genug. Die nordamerikanischen Konzerne, allen voran Exxon, hätten bisher zu wenig Gebühren für Öl-Lizenzen bezahlen müssen. Die Regierung stimmt dem offenbar zu, denn man strebt für 2025 das zehnfache an Lizenz-Einnahmen an.
Die Zeit der günstigen Exklusivverträge ist jedenfalls vorbei. Die aktuelle Auktion um 14 Abbaugebiete läuft unter neuen Bedingungen ab. Die Regierung Guayanas will sich diversifizieren, indem sie neue Explorationsunternehmen anwirbt und die Rolle des Staates im Ölgeschäft ausbaut.
Die Ausschreibungsrunde werde einen verbesserten steuerlichen und regulatorischen Rahmen voranbringen, sagte Präsident Irfaan Ali. Die Einreichungsfrist endet am 14. April 2023, und die Verträge werden voraussichtlich am 31. Mai vergeben.
Die Regierung Guyanas will den Ölboom im eigenen Land auch durch staatliche Investitionen in Exploration, Erschließung von Ölfeldern und relevante Infrastruktur vorantreiben. Eine weitere zentrale Maßnahme soll die Gründung einer staatlichen Ölgesellschaft sein, mit der Guyana dem Modell benachbarter Ölproduzenten in Lateinamerika folgen würde. Ein solcher Schritt würde jedoch das von Exxon geführte Konsortium noch mehr beim Erwerb von Lizenzen behindern und die Kontrolle der Regierung über die Branche stärken, die bisher fest in den Händen des globalen Ölmultis lag.
Brasilien zeigt Interesse an Partnerschaft
Guyanas Regierung ist jetzt auf der Suche nach einem strategischen Partner für die Gründung eines solchen Staatsunternehmens. Man weist darauf hin, dass ein solcher Partner im Nahen Osten gefunden werden könnte, wo es beträchtliche Erfahrungen mit verstaatlichten Ölkonzernen beziehungsweise staatlich kontrollierten Erdölgesellschaften gibt.
Es könnte auch zur Zusammenarbeit mit einem Land kommen, das deutlich näher liegt. Die Regierung von Guyana hat zuletzt Gespräche mit dem benachbarten Brasilien geführt, wo die staatliche Ölgesellschaft Petrobras gewaltige Mengen des „schwarzen Goldes“ aus dem Boden holt. Es gab bereits Konsultationen über den Bau wichtiger Infrastruktur-Anlagen für die Ölindustrie in Guyana, darunter eines Tiefseehafens an der Atlantikküste. Eine solche Anlage würde nicht nur Guyana versorgen, sondern auch den Norden Brasiliens, wo es teilweise an Energieinfrastruktur mangelt. Zudem würden Petrobas und weitere brasilianische Energiefirmen besseren Zugang zur Küste Guyanas bekommen und dort den Ölboom beschleunigen.
Der Aufbau der lokalen Ölindustrie hat großes Potential, die Wirtschaft Guyanas voranzutreiben. Es zieht dringend notwendiges Kapital an, bringt Steuer- und Lizenz-Einnahmen, die zahlreichen neu geschaffenen Arbeitplätze zählen in den jeweiligen Ländern zu den besser bezahlten und die Entwicklung der Öl-Infrastruktur hat Multiplikator-Effekte auf andere Sektoren. Vor 2020, als die Förderaktivitäten so richtig in Schwung kamen, war Guyana eines der ärmsten Länder Lateinamerikas, das vor allem vom Export von Reis und Zucker abhing. 2020 und 2021 ist die Wirtschaftsleistung um satte 49 und 20 Prozent gestiegen und das trotz Corona-Pandemie. Das Pro-Kopf-BIP hat sich seit den ersten Ölfunden 2015 vervierfacht. 2022 soll die Wirtschaft groben Schätzungen zufolge nochmal um 50 Prozent gewachsen sein.
Es gibt aber auch Risiken des Ölbooms, wozu insbesondere Umweltverschmutzung, schlechtes staatliches Management und geopolitische Konflikte zählen. Nicht zu vergessen ist die soziale Komponente: Ein Großteil der lokalen Bevölkerung empfindet ganz besonders die Aktivitäten Exxons als ausbeuterisch. Guyanas Regierung versucht indes den bekannten „Ölfluch“ zu vermeiden, der schon viele Länder heimgesucht hat, indem sie den neu gewonnenen Reichtum für den Aufbau einer diversifizierten Wirtschaft sowie Investitionen in Gesundheit und Bildung einsetzt.