Eigentlich sollte es um Polen als Tourismusziel sehr schlecht bestellt sein: Der Krieg im Nachbarland Ukraine und explodierende Preise überall müssten das Land als Urlaubsort nur sehr wenig attraktiv machen. Doch das Gegenteil ist der Fall: So hat die Hauptstadt Warschau gerade vor einigen Tagen den prestigeträchtigen Preis „European Best Destination 2023“ gewonnen – und zwar als beliebtester und attraktivster Reiserort der Welt.
Über eine halbe Million Gäste haben weltweit im Auftrag eines Fachportals in 178 Ländern abgestimmt, wohin sie am liebsten fahren und sich dabei überwiegend für Warschau ausgesprochen. „Schön, freundlich, grün und aufgeschlossen“, so erklären die Organisatoren der Umfrage die Gründe, warum sich so viele Reisende für die polnische Stadt entschieden haben.
Für die Mitglieder der Bundesregierung, die derzeit versuchen, mit ihren Kolleginnen und Kollegen von der polnischen Führung eine gemeinsame Linie beim Krieg gegen Russland zu finden, müssen solche Schlagwörter von der angeblichen Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit der Einheimischen irgendwie seltsam klingen.
So ist am Dienstagvormittag die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei ihrem offiziellen Besuch in Warschau alleine vor die Journalisten getreten, ohne dass sie ihr Amtskollege Mariusz Kamiński dafür Zeit gefunden hätte. Das öffentliche Signal, an einem Strang zu ziehen, fehlte folglich, auch wenn Faeser sich danach mit Kamiński traf. Und dies ist in einem Land wie Polen, das sehr viel Wert auf Symbole und auf die Geschichte legt, mit Sicherheit kein Zufall.
Faeser versucht den kalten Empfang herunterzuspielen
„Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meinem polnischen Innenministerkollegen. Wir haben ein sehr intensives Verhältnis seit dieser furchtbare Krieg Putins gestartet ist. Wir haben quasi von Tag eins an miteinander gearbeitet. Ich war bereits letztes Jahr hier. Wir waren zusammen an der Grenze. Wir haben uns zwischendurch getroffen und sehr eng abgestimmt“, so Faeser.
Hinter verschlossenen Türen mag die Zusammenarbeit durchaus stattfinden, doch wird die Kooperation nicht gemeinsam in der Öffentlichkeit vorgestellt. So hatte sich in der vergangenen Woche ebenso einsam der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius in der polnischen Hauptstadt vor den Journalisten präsentiert. Dass auch hier sein polnischer Amtskollege angeblich keinen Termin in seinem Kalender gefunden hatte, kann auch kein Zufall sein. Schließlich ist der Zeitplan eines Entscheidungsträgers immer voll. Und wenn man will, dann kann man sich immer eine Lücke schaffen.
Das Problem: Deutschland und Polen als unmittelbare Nachbarstaaten sind gerade dazu verdammt, sich zu einigen, auch wenn es vielen schwer fällt. Und die Liste der gemeinsamen Themen, die beide Länder abarbeiten müssen, ist lang. Dazu gehören die Waffenlieferungen an die Ukraine, die Flüchtlingsfrage und sowie neue Lösungen, woher Deutschland und Polen künftig ihre Energielieferungen bekommen sollen, wenn Russland ausfällt.
Eine Hürde stellen die Reparationsforderungen dar, die Polen im vergangenen Jahr ausgerechnet am deutschen Einigungstag gestellt hat. Die nationalkonservative Regierung von der Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) ist der Auffassung, dass das Land für die Schäden, die Deutschland im Zweiten Weltkrieg dort angerichtet hat, bisher nicht hinreichend entschädigt worden ist. Entsprechend üppig sind auch die Forderungen ausgefallen: Astronomische 1,3 Billionen Euro verlangen die Polen, also ein Drittel der deutschen Wirtschaftsleistung von 2022.
Sind neue Reparationsforderungen nur Wahlkampf?
Dies ist eine Summe, die groß genug ist, um die Stimmung einzutrüben. Beobachter gehen davon aus, dass dies lediglich ein Thema der Regierung ist, um im laufenden Wahlkampfjahr bei denjenigen Polen zu punkten, die traditionell sehr skeptisch Deutschland gegenüber stehen. Ob dieses Thema aber wirklich nur mit den Wahlen zusammenhängt, ist auch nicht so klar. Denn noch gibt es gar keinen echten Termin für den Urnengang im Herbst, und der Wahlkampf hat offiziell noch gar noch begonnen.
„Uns gefallen Eure Kungeleien mit den Russen aber auch nicht“, fühlte sich die Sprecherin eines Think Tanks allerdings schon fast persönlich angegriffen, als die DWN nach einem Experten für ein Interview fragten, der die ganze Problematik noch einmal erläutern konnte.
Die Frau, die wohl um die 30 Jahre alt war, bezog sich damit auf die enge Energiezusammenarbeit, die Russland und Deutschland in der Vergangenheit schon immer verbunden hat. Die Bundesregierung hat zwar in dieser Frage seit Kriegsausbruch eine Kehrtwende um 180 Grad gemacht, doch ist dies wohl bei vielen Polen noch gar nicht angekommen – so tief sitzt die Skepsis gegenüber Deutschland.
Und gerade diese Skepsis ist wieder zu sehen, wenn die Mitglieder der Bundesregierung versuchen, mit ihren polnischen Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten. Hinter verschlossenen Türen wird gearbeitet – ganz einfach, weil man es muss. In der Öffentlichkeit will man dies aber lieber nicht zeigen.