Politik

Spannungen beim G20-Treffen: Indien tanzt nicht mehr nach der Pfeife des Westens

Beim G20-Treffen herrschen Spannungen. Indien macht dem Westen klar, dass man künftig nicht mehr nach dessen Pfeife tanzen wird.
24.02.2023 16:00
Aktualisiert: 24.02.2023 16:21
Lesezeit: 3 min

Am Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine hat der Krieg auch das G20-Treffen in Indien überschattet. Frankreich drohte das geplante Abschlussdokument zu boykottieren, sollte Russland nicht eindeutig verurteilt werden. Indien, dass den diesjährigen Vorsitz des Formats innehat, will in dem Konflikt neutral bleiben. Die regierung in Neu-Delhi hat Russland bislang nicht öffentlich kritisiert, sondern vielmehr die eigenen Öl-Importe aus Russland zuletzt deutlich ausgeweitet.

Lesen Sie dazu: Indiens Raffinerien bezahlen russisches Öl in Dirhams

Am Rande sei angemerkt: auch zahlreiche europäische Länder beziehen weiterhin in großem Stil russisches Öl und Gas - sogar Polen.

Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire sagte im südindischen Bangalore, er werde jeden Versuch blockieren, den Krieg zurückhaltender als bisher zu verurteilen. "Entweder haben wir die selbe Sprache im Abschlussdokument oder wir werden es nicht billigen." Es dürfe gegenüber den G20-Formulierungen der Staats- und Regierungschefs von Ende 2022 in Bali keine Abschwächungen beim jetzigen Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs geben, das noch bis Samstag angesetzt ist, fordert der Franzose. In Indonesien wurde die Invasion scharf verurteilt. Gefordert wurde der vollständige und bedingungslose Rückzug Russlands aus der Ukraine.

Indien hat immer wieder betont, eine diplomatische Lösung anzustreben. Indischen Regierungsvertretern zufolge soll auch eine Debatte der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer über zusätzliche Sanktionen gegen Russland verhindert werden, die westliche Länder fordern. Insider sagten Reuters, es werde darauf gedrängt, das Wort "Krieg" im geplanten Abschlussdokument nicht zu verwenden.

Der Widerstand der indischen Regierung gegen die Forderungen des Westens deckt sich mit der Sichtweise vieler anderer Schwellenländer. So versuchte Bundeskanzler Scholz zuletzt, die brasilianische Regierung zu Waffenlieferungen für die Ukraine zu drängen. Brasiliens Präsident Lula da Silva machte dem deutschen Gast öffentlich klar, dass die ukrainische Regierung aus seiner Sicht ebenso verantwortlich für die Eskalation des Konfliktes sei wie die russische. Waffen oder Unterstützung werde es deshalb nicht geben.

Indien und Russland (beziehungsweise die Sowjetunion) unterhalten seit Jahrzehnten enge politische Beziehungen, wobei der Subkontinent insbesondere als Käufer russischer Waffen in Erscheinung trat. Mit dem verstärkten Bezug russischen Erdöls werden die Beziehungen im Rüstungsbereich nun um eine energiepolitische Komponente erweitert.

Lesen Sie dazu: Energie und Waffen: Russland und Indien treiben strategische Annäherung voran

Russland war nicht mit hochrangigen Vertretern beim G20-Treffen vor Ort, China nur virtuell zugeschaltet. US-Finanzministerin Janet Yellen rief die Vertreter Russlands auf, sich nicht zu Komplizen des Kreml zu machen. Dieser sei für Tote und globale Probleme verantwortlich, so Yellen.

Laut Bundesfinanzminister Christian Lindner hat die Ukraine in diesem Jahr noch eine Finanzierungslücke. Zur Höhe wollte sich der FDP-Chef aber nicht äußern. Am Donnerstag hatten die G7-Gruppe der führenden Industrienationen mitgeteilt, für dieses Jahr seien 39 Milliarden Dollar bereits gesichert.

Le Maire sagte in einem Reuters-Interview, Russland allein sei für den Krieg verantwortlich, der massive Konsequenzen für die Weltwirtschaft habe durch eine hohe Inflation, Lieferkettenprobleme und Rohstoffengpässe. "Der Krieg in der Ukraine ist kein lokaler Konflikt." Europa arbeite an zusätzlichen Sanktionen, weil die russische Aggression nicht akzeptabel sei. "Die Sanktionen werden mit der Zeit zunehmend effizient sein." Zwar seien die Prognosen für die Weltwirtschaft besser als zuletzt noch gedacht. Der Krieg bleibe aber das größte Risiko.

US-Vorschlag für Weltbank-Spitze kommt gut an

Der US-Vorschlag für die Weltbankspitze stieß bei den G20 auf Zustimmung. Demnach hat der ehemalige Mastercard-Chef Ajay Banga beste Chancen, Präsident der internationalen Entwicklungsbank mit Sitz in Washington zu werden. Banga sei ein beachtlicher Vorschlag, sagte Lindner. Er könne als Manager aus der Wirtschaft hoffentlich auch verstärkt private Investitionen mobilisieren. Ihm könne mit seinem Lebenslauf zudem ein Schulterschluss zwischen Industrie- und Schwellenländern gelingen. Die Bundesregierung verfolge die Personalie daher mit großer Aufmerksamkeit und habe Sympathie für den US-Vorschlag. Allerdings hatte sich die in der Bundesregierung zuständige Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) zuletzt für eine Frau ausgesprochen.

Le Maire nannte Banga einen guten Kandidaten. Auch Indien wird Experten zufolge Banga unterstützen. Er ist US-Bürger indischer Abstammung und derzeit Vize-Vorsitzender der Beteiligungsgesellschaft General Atlantic. Zudem arbeitet er als Co-Vorsitzender von Partnership for Central America eng mit US-Vizepräsidentin Kamala Harris zusammen. Die Organisation koordiniert etwa private und öffentliche Investitionen im Norden Zentralamerikas. Banga hat durch die Nominierung mit Abstand die besten Chancen, den Weltbank-Posten zu erhalten.

Zwar können Mitgliedstaaten noch bis zum 29. März andere Bewerber für die Nachfolge von David Malpass vorschlagen. Die USA stellen jedoch traditionell den Weltbank-Chef - ein Relikt aus der Zeit, als die USA die unangefochtene Supermacht waren. Malpass hat seinen Rücktritt für Ende Juni erklärt, deutlich vor dem Ende seiner Amtszeit im April 2024.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Technologie
Technologie Lothar Schupet: Warum ich nach 23 Jahren BMW für ein chinesisches Startup verlassen habe
19.12.2025

Ein deutscher Topmanager verlässt nach 23 Jahren einen der mächtigsten Autokonzerne Europas und geht ausgerechnet zu einem chinesischen...

DWN
Finanzen
Finanzen USA Börsen: Überraschend deutlicher Rückgang der US-Inflation beflügelt die Aktienmärkte
18.12.2025

Die im letzten Monat überraschend stark abgekühlten US-Inflationsdaten befeuerten die Hoffnung, dass im Jahr 2026 weitere Zinssenkungen...

DWN
Politik
Politik Feuer und Tränengas: Tausende Bauern protestieren in Brüssel gegen Mercosur
18.12.2025

Feuer, Tränengas und Traktoren: Tausende Landwirte bringen Brüssels Europaviertel zum Chaos. Sie protestieren gegen das geplante...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschlandfonds startet: Wie der Staat 130 Milliarden Euro private Investitionen lostreten will
18.12.2025

Deutschland braucht Wachstum, aber der Staat allein kann es nicht finanzieren. Die Bundesregierung setzt deshalb auf einen neuen Hebel: den...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB-Zinsentscheidung: Leitzinsen der Eurozone bleiben erneut unverändert
18.12.2025

Die EZB-Zinsentscheidung ist gefallen: Wie erwartet lassen die Währungshüter der Europäischen Zentralbank den Leitzins für die Eurozone...

DWN
Immobilien
Immobilien Unser neues Magazin ist da: Urbane Zukunft – von Smart-Cities bis hin zu futuristischen Utopien
18.12.2025

Städte entscheiden, wie Freiheit, Wohlstand und Klimaschutz in der nahen Zukunft zusammengehen. Zwischen Sensoren, Sanierungswellen und...

DWN
Technologie
Technologie SMR in Schweden: Blykalla sichert fast 48 Mio Euro für KI-Energie
18.12.2025

Blykalla sammelt fast 48 Millionen Euro für kleine modulare Reaktoren (SMR) ein. Investoren aus Schweden, den USA und Japan setzen auf...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Steuersenkung in Restaurants: Warum Gäste kaum profitieren
18.12.2025

Die Politik senkt die Mehrwertsteuer in der Gastronomie - wird der Restaurantbesuch damit endlich wieder erschwinglicher? Wohl kaum....