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Nord Stream: Im Nebel der (Des-)Information

Lesezeit: 4 min
08.03.2023 10:00  Aktualisiert: 08.03.2023 10:33
Angeblich neue Erkenntnisse zum Anschlag werfen weitere Fragen auf. Rund um die Pipeline-Sprengung tobt ein (Des-)Informationskrieg.
Nord Stream: Im Nebel der (Des-)Information
Ein Gasleck an der Nord Stream 2-Pipeline in der Ostsee. (Foto: dpa)

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Im Fall der Explosionen an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 Ende September 2022 gibt es laut Medienberichten neue Spekulationen über die Täter. Recherchen von ARD, SWR und der Zeit zufolge sollen die Ermittler das Boot identifiziert haben, mit dem der Sprengstoff mutmaßlich an den Pipelines angebracht worden sei.

An den Ermittlungen seien Behörden in Deutschland, Schweden, Dänemark, den Niederlanden und USA beteiligt gewesen, berichtete die Zeit am Dienstagabend. Von deutscher Seite äußerten sich die Bundesregierung und der zuständige Generalbundesanwalt auf Anfrage nicht konkret zu den Berichten.

Die New York Times berichtet unter Berufung auf namentlich nicht genannte Quellen, dass geheimdienstliche Informationen inzwischen dafür sprechen würden, dass eine „pro-ukrainische Gruppe“ für den Anschlag verantwortlich sei. Es gebe keine Hinweise, dass die ukrainische Regierung involviert sei, so das Blatt.

Aus dem Bericht in der New York Times geht nicht hervor, wer die mutmaßlichen Täter sind, wer sie finanziert oder gesteuert haben könnte. Es handle sich aber wahrscheinlich um Ukrainer und Russen, die der russischen Regierung feindlich gesinnt seien. Briten oder Amerikaner seien nicht beteiligt gewesen. Genauere Details nannten die von der New York Times kontaktierten Quellen nicht.

Auftraggeber unbekannt

Wie mehrere deutsche Medienhäuser nun berichten, machten Ermittler ein Boot aus, das für die Operation in der Ostsee verwendet worden sein könnte. Die fragliche Jacht sei von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet worden, welche „offenbar zwei Ukrainern gehört“, hieß es. Zudem habe ein Team, bestehend aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin, den Sprengstoff laut Ermittlungen zu den Tatorten gebracht. Den Ermittlern sei es gelungen, Spuren von Sprengstoff auf dem Boot nachzuweisen, berichtet die Zeit.

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, hat die Bundesanwaltschaft im Januar das verdächtige Schiff durchsuchen lassen. Es bestehe der Verdacht, dass es zum Transport von Sprengsätzen verwendet worden sein könnte, teilte die Karlsruher Behörde mit. Belastbare Aussagen zu Tätern, Motiven und einer staatlichen Steuerung könnten derzeit nicht getroffen werden, hieß es weiter.

Welchen Nationalitäten die verdächtigen Personen angehörten, sei unklar, hieß es in dem Bericht weiter. Sie hätten offenbar gefälschte Pässe verwendet. Die Behörden hätten herausgefunden, dass das Boot wohl am 6. September in Rostock aufgebrochen sei. Danach hätten sie es noch in Wieck am Darß im Landkreis Vorpommern-Rügen und an der dänischen Insel Christiansø, nordöstlich von Bornholm ausfindig gemacht. Das Innenministerium in Mecklenburg-Vorpommern äußerte sich nicht dazu und verwies auf den Generalbundesanwalt, berichtet die Nachrichtenagentur dpa.

Der Verdacht, eine pro-ukrainische Gruppe könnte hinter den Anschlägen stecken, basiert der Zeit zufolge auf Informationen aus dem Geheimdienstmilieu. Damit sind offenbar die im Bericht der New York Times genannten Quellen gemeint.

Die Zeit wörtlich: „Nach Informationen von ARD-Hauptstadtstudio, Kontraste, des SWR und der ZEIT soll ein westlicher Geheimdienst bereits im Herbst, also kurz nach der Zerstörung, einen Hinweis an europäische Partnerdienste übermittelt haben, wonach ein ukrainisches Kommando für die Zerstörung verantwortlich sei. Danach soll es weitere geheimdienstliche Hinweise gegeben haben, die darauf hindeuteten, dass eine proukrainische Gruppe verantwortlich sein könnte.“

Die Auftraggeber der Operation sind weiterhin nicht bekannt. Ebenso geht aus den Medienberichten nicht hervor, wie der an den Pipelines platziert Sprengstoff gezündet wurde.

Der Berater im ukrainischen Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, stritt eine Beteiligung der Ukraine entschieden ab. Die Ukraine habe nichts mit dem Unfall in der Ostsee zu tun und keine Informationen über proukrainische Sabotage-Gruppen, twitterte er.

Angenehme „Ukraine-Theorie“

Tatsächlich sind die Spuren, die angeblich in die Ukraine führen sollen, bislang nur wenig aussagekräftig. Neben den erwähnten angeblichen Geheimdienstinformationen, die per se aufgrund ihrer Natur mit Vorsicht zu genießen sind, verbleiben nur noch die beiden angeblichen ukrainischen Eigner der Bootsvermietungsfirma. Diese dürften aber - sollte es sich bei den sechs Verdächtigen tatsächlich um die Täter gehandelt haben - nicht in die Operation eingeweiht worden sein.

Die nun in den Medien verbreitete Theorie, dass die Spuren der Ermittler „in die Ukraine führen“ oder dass die Anschläge von einer „pro-ukrainischen Gruppe“ verübt worden sein könnten, verschafft Geheimdiensten anderer Länder Luft, die zuletzt als potenzielle Auftraggeber der Anschläge ins Visier geraten waren. Denn bei der in der New York Times skizzierten „pro-ukrainischen Gruppe“ handelt es sich definitionsgemäß um einen nichtstaatlichen Akteur, der praktisch auf eigene Faust die Sprengungen geplant und durchgeführt hätte. Damit wären sämtliche Länder und deren Geheimdienst, die in Zusammenhang mit den Vorgängen rund um Nord Stream zu bringen sind, entlastet.

Der Journalist Seymour Hersh hatte zuletzt behauptet, die Biden-Administration habe den Sabotageakt angeordnet. Im Rahmen einer NATO-Militärübung seien die Sprengsätze im vergangenen Sommer an den Pipelines angebracht worden. Erfolgt sei die Sprengung, indem ein Flugzeug des norwegischen Militärs eine Sonarboje ausgesetzt habe. Hersh legte keine Beweise für seine Theorie vor und stützte seine Behauptungen auf eine einzige, namentlich nicht genannte, Quelle, die direkte Kenntnis von den Planungen gehabt haben will. Das Weiße Haus wies den Bericht als Erfindung zurück.

US-Präsident Biden hatte allerdings vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine öffentlich gesagt, dass der Krieg das Ende der Nordstream-Pipeline bedeuten werde. Auf die Frage einer Reporterin, wie man dies bewerkstelligen wolle, sagte Biden: „Ich verspreche Ihnen, wir werden in der Lage sein, es zu tun.“

Kreml spricht von Ablenkungsmanöver

Die Nachrichtenagentur dpa meldet, dass die russische Regierung weiterhin von einer Urheberschaft der USA und Großbritanniens ausgeht. Medienberichte über angeblich pro-ukrainische Täter bei der Sprengung der Gaspipelines würden von denjenigen gestreut, „die im Rechtsrahmen keine Untersuchungen führen wollen und versuchen, mit allen Mitteln die Aufmerksamkeit des Publikums abzulenken“, schrieb die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am späten Dienstagabend auf ihrem Telegram-Kanal.

Sacharowa behauptete daraufhin einmal mehr, dass westliche Regierungen hinter dem Vorfall steckten. Beweise zur Untermauerung der Vorwürfe legte sie nicht vor. Diese Regierungen müssten nun zu den russischen Anfragen offiziell Stellung nehmen und zumindest die Recherchen des US-Journalisten Seymour Hersh aufarbeiten, forderte sie. Russische Beamte werden weiterhin nicht zu den Ermittlungen zugelassen.

Selbstverständlich versteht es auch Frau Sacharowa wie alle anderen Beteiligten im rund um die Causa Nord Stream tobenden Informationskrieg, die Sicht ihrer Regierung geschickt zu verbreiten. So machte sie sich etwa wenige Tage vor dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine über westliche Medienberichte lustig, wonach der Marschbefehl kurz bevorstehe.


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