Politik

Hollands Bauern im Aufstand: Großdemo gegen Enteignungen

Lesezeit: 2 min
11.03.2023 10:38  Aktualisiert: 11.03.2023 10:38
Die Niederlande erwarten brennende Strohballen und Trecker-Blockaden auf den Autobahnen. Den Bauern geht es längst nicht mehr nur um die geplanten Enteignungen.
Hollands Bauern im Aufstand: Großdemo gegen Enteignungen
Schneepflüge räumten diese Woche die N281. Fürs Wochenende werden nun Blockaden der Bauern erwartet. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Niederlande wappnen sich an diesem Samstag für einen großen Protest von Bauern und Bürgern. Zehntausende Menschen wollen in Den Haag unter anderem gegen geplante Umweltauflagen für die Landwirtschaft protestieren. Die Bauernorganisation «Farmers Defence Force» rief zur «größten Demo aller Zeiten» auf.

Diesmal soll es nicht nur um Proteste gegen Umweltauflagen gehen. Regierungskritische Parteien, allen voran Rechtsaußen Geert Wilders, wollen das Podium nutzen, um zum Widerstand gegen die Regierung aufzurufen. Außerdem mobilisierte die Bewegung der früheren Corona-Gegner «Samen voor Nederland» (Gemeinsam für die Niederlande) ihre Anhänger.

Im Gegenzug kündigten auch die radikalen Klimaschützer von Extinction Rebellion eine Protestaktion in Den Haag an. Sie wollen einen Autobahnzubringer blockieren. Ihnen gehen die Maßnahmen zum Klimaschutz nicht weit genug.

Bei den Behörden ist die Sorge vor Gewalt groß. Im vergangenen Jahr protestierten Bauern wochenlang im ganzen Land. Sie blockierten mit Treckern Autobahnen, legten Brände oder schütteten Müll, Mist und Asbest auf Straßen. Sie bedrohten außerdem Politiker vor ihren Privatwohnungen.

Anlass für die Bauern-Proteste sind die angekündigten Auflagen zum Schutz der Naturgebiete. Die Mitte-Rechts-Koalition von Premier Mark Rutte will den Stickstoff-Eintrag bis 2030 drastisch reduzieren. Auslöser für diese Entscheidung war ein Urteil des höchsten Gerichts im Jahr 2019. Die Maßnahmen könnten das Ende für etwa 30 Prozent der Höfe bedeuten, schätzt die Regierung.

Die Eigentümer von rund 3000 Höfen, die in der Nähe von bedrohten Naturgebieten die Böden am meisten belasten, sollen zum Verkauf bewegt werden oder zumindest zur drastischen Reduzierung des Viehbestandes. Aber auch Enteignungen werden nicht ausgeschlossen. «Wir haben keine Wahl», sagte die für Stickstoff-Politik zuständige Ministerin Christianne van der Wal. «Die Natur kann nicht warten.»

Wie auch in Deutschland sind in den Niederlanden Grundwasser und Böden stark belastet. Überschüssiger Stickstoff aus landwirtschaftlichen Quellen gelangt laut deutschem Umweltbundesamt als Nitrat in Grund- und Oberflächengewässer und als Ammoniak und Lachgas in die Luft. Lachgas trägt als hochwirksames ⁠Treibhausgas⁠ zur Klimaerwärmung bei. Wird überschüssiger Stickstoff durch Regen aus dem Boden gewaschen, gelangt er als Nitrat ins Grundwasser. Die Folge: Um daraus Trinkwasser zu gewinnen, muss das Wasser teuer aufbereitet werden. Zudem gelangt der Stickstoff auch in Seen, Flüsse und Meere.

Hauptverursacher sind in den Niederlanden Viehbetriebe. Und der Agrar-Sektor ist riesig, einer der größten Exporteure der Welt. Im vergangenen Jahr exportierten niederländische Bauern für 122 Milliarden Euro Waren ins Ausland.

Jahrelang wurden die Umweltbelastungen geduldet oder mit Ausnahmeregeln legalisiert, obwohl Grenzwerte überschritten wurden. Immer wieder wurden Schlupflöcher gefunden, um nur nicht die landwirtschaftliche Produktion einzuschränken. Dass dies ein Fehler war, räumt inzwischen auch die Regierung ein.

Das Urteil des höchsten Gerichts von 2019 hatte große Folgen: Alle Projekte, bei denen Stickstoff freikommt, dürfen nicht genehmigt werden. Das heißt, der Bau von Wohnungen und Straßen stockt, die Industrie kann nicht expandieren, und sogar die Energiewende kommt in Gefahr. «Der große Umbau der Landwirtschaft ist unvermeidlich», sagte Ministerin van der Wal. Grund dafür sei nicht nur der Naturschutz, sondern auch der Klimawandel.

Die Bauern aber fordern eine Zukunftsperspektive, und sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Außerdem zweifeln sie die Notwendigkeit der Maßnahmen an.

Am Stickstoff-Thema zeigt sich auch, wie sehr das Land polarisiert wird. Es beherrscht auch den jetzigen Wahlkampf. Am 15. März wählen die Niederländer ihre Provinzparlamente, und sie bestimmen dann auch die Zusammensetzung der Ersten Kammer des Parlaments (vergleichbar dem Bundesrat). Nach Umfragen steht ein deutlicher Rechtsruck bevor, mit der Protestpartei Bauer-Bürger-Bewegung als großem Sieger. Der Koalition aber droht eine riesige Schlappe, und sie kann dann womöglich ihre Pläne nicht länger durchsetzen. (dpa)


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Konfliktlösung ohne Gericht: Verbraucherschlichtung als Chance für Ihr Business
27.04.2024

Verabschieden Sie sich von langwierigen Gerichtsverfahren! Mit dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) senken Sie Ihre Kosten,...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Krieg in der Ukraine: So ist die Lage
27.04.2024

Wegen Waffenknappheit setzt der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj, auf Ausbau der heimischen Rüstungsindustrie, um sein Land...

DWN
Finanzen
Finanzen Hohes Shiller-KGV: Sind die Aktienmärkte überbewertet?
27.04.2024

Bestimmte Welt-Aktienmärkte sind derzeit sehr teuer. Diese sind auch in Indizes wie dem MSCI World hoch gewichtet. Manche Experten sehen...

DWN
Finanzen
Finanzen EM 2024 Ticketpreise explodieren: Die Hintergründe
27.04.2024

Fußball-Enthusiasten haben Grund zur Freude: Es besteht immer noch die Chance, Tickets für die EM 2024 zu erwerben. Allerdings handelt es...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschland als Unternehmensstandort: Zwischen Herausforderungen und Chancen
27.04.2024

Trotz seines Rufes als europäischer Wirtschaftsmotor kämpft Deutschland mit einer Vielzahl von Standortnachteilen. Der Staat muss...

DWN
Immobilien
Immobilien Deutschlands herrenlose Häuser: Eine Chance für den Markt?
27.04.2024

Herrenlose Immobilien - ein kurioses Phänomen in Deutschland. Es handelt sich hier um Gebäude oder Grundstücke, die keinen...

DWN
Finanzen
Finanzen Reich werden an der Börse: Ist das realistisch?
27.04.2024

Viele Anleger wollen an der Börse vermögend werden. Doch ist das wahrscheinlich - oder wie wird man tatsächlich reich?

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...