Finanzen

Die Bankenaufseher in Europa sollten von den US-Erfahrungen lernen

Lesezeit: 6 min
18.03.2023 08:37  Aktualisiert: 18.03.2023 08:37
Der Zusammenbruch der beiden US-Banken „Silicon Valley“ und „Signature“ sorgt weltweit für Aufregung. Das wäre für Europa eine gute Gelegenheit, die bestehenden Bankenregulierungen zu überdenken. Die EU sollte sich dabei ein Beispiel an den USA nehmen.
Die Bankenaufseher in Europa sollten von den US-Erfahrungen lernen
Menschen schauen auf ihre Handys während sie vor dem Hauptsitz der Silicon Valley Bank Schlange stehen. (Foto: dpa)

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Der Zusammenbruch der beiden US-Banken „Silicon Valley“ und „Signature“ sorgt zwar weltweit für Aufregung, dürfte aber weder den amerikanischen noch den europäischen Kapitalmarkt in eine Krise wie im Jahr 2008 stürzen, als „Lehman Brothers“ insolvent wurde. Man könnte also die aktuellen Turbulenzen mit größerer Gelassenheit betrachten. Wäre da nicht die Psychologie der europäischen Bankenaufseher.

Bei diesen wird unweigerlich die Botschaft hängen bleiben, dass die neuen Pleiten eine Folge der unter Donald Trump erfolgten Lockerung der Regeln sind. Und diese Nachricht bewirkt, dass die europäischen Aufseher sich in ihrem bisherigen Regulierungseifer bestätigt sehen und nun zusätzliche Vorschriften erfinden werden.

Dabei wäre jetzt die Gelegenheit, die Konsequenzen der nach dem Finanzkrach 2008 in den USA und in Europa beschlossenen Maßnahmen zu vergleichen und aus den Ergebnissen die richtigen Lehren zu ziehen. Und diese zeigen, dass die USA einen erfolgreichen Weg beschritten haben, der das amerikanische Bankwesen stark gemacht hat, und die EU-Regeln zum Schaden der gesamten Wirtschaft die Kreditinstitute gelähmt haben.

Die segensreiche Wirkung des Dodd-Frank-Acts und der Volcker-Rule

Im Jahr 2010 wurde der so genannte Dodd-Frank-Act beschlossen, der dafür sorgte, dass Banken, die mit Kundeneinlagen arbeiten, keine Spekulationsgeschäfte mehr machen dürfen. Spekulationen und andere gefährliche Transaktionen sind nur Risikoinstituten erlaubt, wie etwa Hedge-Fonds. Dieser wichtige Teil des Gesetzes wird als „Volcker-Rule“ bezeichnet, nach dem früheren Notenbank-Präsidenten Paul Volcker, der das Verbot für Einlagenbanken eingefordert hatte.

Beim üblichen Kommerzgeschäft, besonders bei der Hereinnahme von Einlagen und der Vergabe von Krediten, wurden den US-Kreditinstituten kaum Schranken auferlegt. In regelmäßigen Abständen müssen sich die Banken einem Stresstest unterziehen, der zeigen muss, ob überhöhte Risiken bestehen und im Krisenfall eine Abwicklung der Bank möglich ist. Im Rahmen dieses flexiblen Korsetts hat der US-amerikanische Bankenapparat in den vergangenen zehn Jahren eine Erfolgsgeschichte geschrieben.

Die schädliche Universalbank und der Eifer der europäischen Bankenaufseher

Im krassen Gegensatz zu den europäischen Banken, die in einem Wust von Vorschriften ersticken, aber spekulieren dürfen. Dabei haben die USA 2010 versucht, Europa zu einem gleich lautenden Gesetz zu bewegen. Barack Obama und der damalige Finanzminister Timothy Geithner warben für das Projekt. Trotz des überzeugenden Konzepts kam es nicht dazu, weil vor allem die Deutsche Bank unter Josef Ackermann bei Angela Merkel intervenierte und die Beibehaltung des so genannten „Universalbankenprinzips“ erreichte.

Hinter diesem Begriff versteckt sich die Tatsache, dass eine Bank alles machen darf, also Spareinlagen hereinnehmen und mit Milliarden spekulieren. Gehen die Risiko-Transaktionen schief, muss die Bank gerettet werden – wegen der zahllosen Sparer. In der Folge kam es zu dem missglückten Regelwerk Basel III und vielen anderen Bestimmungen. Die Bankenaufseher versuchen, gleichsam zum Ausgleich für die Spekulationen, jedes Risiko einer Bank zu bekämpfen, womit das Geschäft erstarrt, auch das normale Kommerzgeschäft, das bei professioneller Führung keine Milliardenverluste auslöst.

Donald Trumps folgenschwere Lockerung des Dodd-Frank-Acts

Wieso sind nun die USA in eine Bankenkrise geraten? Im Jahr 2018 ruinierte Präsident Donald Trump eine entscheidende Bestimmung des Dodd-Frank-Acts. Die geschilderten Regelungen und insbesondere die Verpflichtung zu regelmäßigen Stresstests galten 2010 ab einer Bilanzsumme von 50 Mrd. Dollar.

Trump hob diesen Schwellenwert auf 250 Milliarden Dollar an und löste damit bei den kleineren Banken einen Expansionsrausch aus, der zu einer bedrohlichen Ausweitung der Risiken führte. Skurriler Weise war Barney Frank, einer der beiden Architekten des Dodd-Frank-Acts, der eifrigste Lobbyist für die Lockerung, da er sein ursprüngliches mit Christopher J. Dodd verfasstes Gesetz als zu restriktiv empfand. Peinlich: Der heute 82jährige Barney Frank war seit 2015 Direktionsmitglied der am Wochenende geschlossenen Signature-Bank.

Die Zinserhöhungen der vergangenen Monate haben die Bankenwelt verändert

Nach der Beseitigung der Limits begannen die mittelständischen Institute in großem Stil Einklagen hereinzunehmen und Kredite zu vergeben, wobei sie günstigere Konditionen boten als die den Markt bestimmenden Niedrigzinsen erlaubt hätten. Diese Politik ging bis 2022 gut. Die Welle der von der Zentralbank vorgegebenen Zinserhöhungen in den vergangenen Monaten und die sich abzeichnende Abschwächung der Konjunktur änderten die Rahmenbedingungen.

Die Mittelbeschaffung wurde teurer, die Unternehmen verkraften die höheren Kreditkosten schwerer. Besonders der High-Tech Sektor, den die Silicon Valley Bank vorrangig finanzierte, reagiert seit Wochen mit drastischen Einsparungen und Kündigungswellen. Um für derartige Veränderungen gerüstet zu sein, wurden die Banken-Stresstests eingeführt, die im Gefolge der Trump-Reform bei den kleineren Instituten nicht mehr stattfinden. Die Silicon Valley Bank versuchte in den vergangenen Wochen erfolglos ihre Schieflage durch die Aufnahme von frischem Kapital zu korrigieren.

Banken-Run: In einer Woche wollten Kunden 42 Milliarden Dollar abheben

Die Kunden erkannten, dass die Bank Probleme hat und zogen ihre Einlagen ab. In der vergangenen Woche waren es 42 Milliarden Dollar. Die Bank verfügte nicht über ausreichend Liquidität und versuchte, ihre als Polster fungierenden Anleihen, überwiegend Staatspapiere, zu verkaufen. Diese stammen aber aus der Niedrig- und Nullzinsphase und notieren derzeit zu niedrigen Kursen, weil sich der Markt an den aktuell höheren Zinsen orientiert. Der übliche Umgang mit Niedrigzinspapieren besteht im Warten bis zum Ablauf der Anleihen, dann wird das gesamte Nominale zurückgezahlt und der Schaden beschränkt sich auf die niedrigen Zinsen während der Laufzeit. Darauf konnte man bei Silicon Valley nicht warten und so musste mit Verlust verkauft werden und die Erlöse reichten nicht aus, um die Einleger zu befriedigen. Daraufhin schloss die Aufsicht am Freitag vor einer Woche die Bank.

In der Folge geriet auch die Signature in Turbulenzen und wurde am Sonntag geschlossen. Grundsätzlich hat die Signature ein ähnliches Modell wie die Silicon Valley und daher ähnliche Probleme. Allerdings betreibt – oder korrekter: betrieb – die Bank ein umfangreiches Geschäft mit Krypto-Währungen und profilierte sich gleichsam als erste Adresse für diesen risikoreichen Bereich, der sich durch extreme Kursschwankungen auszeichnet. Weniger beachtet wurde, dass eine andere Bank „Silvergate Capital“, die den Krypto-Markt bedient, bereits Mittwoch davor geschlossen wurde.

250 Milliarden Dollar sollen eine Welle von Banken-Pleiten verhindern

Somit entstand die Gefahr, dass eine Pleitenwelle die kleineren Banken erfassen würde. Einlagen werden von der Einlagensicherung FDIC nur bis zur Höhe von 250.000 Dollar je Konto garantiert. Durch die Expansion der vergangenen Jahre waren aber viele Einlagen zu den mit guten Konditionen lockenden kleineren Banken gewandert. Wie bei der Silicon Bank könnten nun auch die Kunden anderer Institute reihenweise abheben und zahlreiche Banken in den Ruin treiben.

US-Präsident Joe Biden, Finanzministerin Janet Yellen und der Chef der Einlagensicherung, Martin Gruenberg, entschlossen sich daher, eine Garantie für alle, auch für nicht versicherte Depots abzugeben. Diese Zusage überfordert die FDIC und muss über das Staatsbudget finanziert werden. Nationalbank-Chef Jerry Powell sicherte die Bereitstellung ausreichender Liquidität zu. Insgesamt werden so etwa 250 Milliarden Dollar in Bewegung gesetzt.

„Nie wieder“ sollte eine Bank von öffentlichen Stellen gerettet werden

Mit dieser Aktion wird nun am 2010 beschlossenen Prinzip gerüttelt, wonach der US-Staat nie wieder eine Bank retten werde. Betont wird, dass bei der aktuellen Aktion die Aktionäre nicht bedacht werden, die betroffenen Banken werden geschlossen und die Vermögenswerte realisiert.

Die Absicherung der Einleger bedeutet aber doch, dass man den Markt außer Kraft setzt: Grundsätzlich sollten Einleger wissen, dass mit besonders günstigen Konditionen auch ein erhöhtes Risiko verbunden ist und die Einlagensicherung bei 250.000 je Konto endet. Kunden, die diese Faktoren missachten, müssten also auch mit dem Verlust ihres Geldes rechnen. Da aber eine Serie von Bankenpleiten die ohnehin schon drohende Rezession dramatisch verschärfen würde, hat sich die US-Politik doch zu einer spektakulären Hilfsaktion entschlossen.

In den USA ist nicht nur die Politik im Einsatz, um die Finanzmärkte zu beruhigen. In Schwierigkeiten geraten ist auch die „First Republic Bank“ in San Francisco. Diese bekam allerdings Donnerstag 30 Milliarden Dollar Einlagen von JP Morgan, Citygroup und neun weiteren Großbanken, womit der Zusammenbruch verhindert wurde.

Nach diesem Bündel an Maßnahmen beruhigten sich die Märkte, die Aktien der Banken stiegen wieder, auch der Technologie-Bereich erholte sich und zum Börsenschluss hatte der Dow Jones Donnerstag nach Turbulenzen die Marke 32.000 wieder erreicht. Für Entspannung auf den Weltmärkten sorgte auch die Mitteilung der Schweizer Nationalbank, dass die von Krisen geschüttelte, europäische Großbank „Credit Suisse“ ausreichende Sicherheiten hätte und daher einen Kredit in der Höhe von 50 Milliarden Schweizer Franken bekommt. Es sieht so aus, als ob das Gewitter vorbei wäre, wobei allerdings derartige Aussagen immer problematisch sind, weil an den Börsen oft Emotionen für irrationale Bewegungen sorgen.

Ein Dodd-Frank-Act für Europa ist dringend notwendig

Die europäischen Bankenaufseher sollten sich jetzt weniger von den Pleiten der kleineren US-Banken beeindrucken lassen, sondern die Erfolgsgeschichte der großen Institute nachlesen, die sich im Rahmen des Dodd-Frank-Gesetzes glänzend entwickelt haben. Die Konzentration auf das traditionelle Bankgeschäft hat zu hohen Gewinnen geführt und die Banken in die Lage versetzt, nicht nur in den USA, sondern weltweit erfolgreich zu agieren.

Das gleiche Geschäftsmodell würde sich dringend für Europa empfehlen, wo die erschwerte Kreditvergabe die Wirtschaft insgesamt bremst. Die Trennung zwischen Kommerzbanken und Spekulationsbanken wurde 2010 versäumt und müsste jetzt nachgeholt werden. Die Kommerzbanken hätten solide Bankregeln wie die Streuung der Finanzierungen und die Vermeidung von hohen Einzelrisiken beachten, sollten aber in Eigenverantwortung und ohne Bevormundung durch die Aufsicht agieren können. Stresstests wären selbstverständlich hilfreich.

Die europäische Groteske. Nach 2008 hat der damalige Präsident der finnischen Zentralbank, Erkki Liikanen, gemeinsam mit anderen Experten ein Gutachten erstellt, das die Trennung von Kommerz- und Spekulationsbanken vorschlug. Die EU hätte also einen „Liikanen-Act“ oder auf europäisch formuliert eine „Liikanen-Verordnung“ bekommen – ohne das Lobbying der Deutschen Bank.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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