Politik

Finanzminister Lindner will plötzlich sparen

Die staatlichen Ausgaben und die Verschuldung laufen schon lange aus dem Ruder. Doch nun fordert Finanzminister Lindner plötzlich einen Sparkurs und Verzicht.
08.04.2023 16:40
Aktualisiert: 08.04.2023 16:40
Lesezeit: 3 min
Finanzminister Lindner will plötzlich sparen
Die Minister Klara Geywitz, Christian Lindner und Robert Habeck am 30. März im Bundestag. (Foto: dpa) Foto: Kay Nietfeld

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will unter Verweis auf Milliardenlücken im nächsten Bundeshaushalt einen Sparkurs einschlagen. Er stimmte die Ampel-Koalition auf Einschnitte und unbequeme Entscheidungen ein. Die Koalitionspartner SPD und Grüne reagierten reserviert.

Lindner sagte der «Rheinischen Post» (Samstag): «Die Politik muss wieder lernen, mit dem Geld auszukommen, das die Bürgerinnen und Bürger erwirtschaften.» Über jede einzelne Ausgabe werde nun «auf ihre Begründung und ihre Höhe hin» beraten. «Da werden auch einige liebgewonnene Gewohnheiten auf den Prüfstand gestellt werden müssen.»

Wegen Unstimmigkeiten in der Koalition wurden in diesem Jahr bisher nicht wie sonst üblich Eckwerte für den Haushalt 2024 beschlossen. Der Regierungsentwurf soll nun nach der Steuerschätzung für Mai am 21. Juni vom Kabinett gebilligt werden. Danach ist der Bundestag am Zug, der den Haushalt Anfang Dezember beschließen will.

Lindner umriss die Dimension der Lücke: «Wir werden, Stand jetzt, im kommenden Jahr bei Einnahmen von 424 Milliarden ein Defizit von 14 bis 18 Milliarden Euro haben. Diese Haushaltslücke muss erwirtschaftet werden durch Verzicht.» Wenn man dann noch zusätzliche Ausgabenschwerpunkte setzen wolle, zum Beispiel bei Verteidigung oder Bildung, dann müsse man umso mehr woanders kürzen. Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst seien auch noch zu berücksichtigen.

Lindner sagte dem Blatt, die Schieflage habe nichts mit den Krisen der letzten Jahre zu tun. «In Wahrheit haben unionsgeführte Bundesregierungen über ein Jahrzehnt fortwährend neue Sozialleistungen und Subventionen beschlossen, die nicht nachhaltig finanziert waren. Die unnatürlichen Niedrigzinsen haben das verdeckt.» Jetzt habe sich das Zinsniveau normalisiert, statt vier Milliarden Euro Zinsen wie 2021 werden es nach seinen Worten dieses Jahr 40 Milliarden Euro sein.

Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dennis Rohde, sagte am Samstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: «Wofür in Deutschland das Geld ausgegeben wird, entscheidet am Ende der Deutsche Bundestag und nicht der Bundesfinanzminister. Wir erwarten von ihm einen ausgewogenen Entwurf als Diskussionsgrundlage. Gerade in der jetzigen Zeit müssen wir sicherstellen, dass innere, äußere und soziale Sicherheit gewahrt bleiben. Ich bin mir sicher, dass uns das als Ampel gelingen wird.»

Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch sagte der dpa: «Es ist gut, dass der Finanzminister nun bereit ist, ergebnisoffen über alles zu sprechen. Dabei muss alles auf den Tisch, nichts darf vorab ausgeklammert werden. «Priorität müssen unsere Kinder und sozialer Klimaschutz haben.» Was weg könne, seien klimaschädliche Subventionen für fossile Energien. «Es darf nicht sein, dass Geld zur Subventionierung riesiger Dienstwagen da ist, aber kein Geld, um in Zukunft zu investieren und unsere Kinder aus der Armut zu holen. Gute Haushaltspolitik heißt Prioritäten setzen.» Der finanzpolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Christian Görke, sprach sich dafür aus, Steuern für Superreiche zu erhöhen.

Umstritten in der Finanzplanung für die nächsten Jahre ist vor allem die Finanzierung der Kindergrundsicherung. Lindner bekräftigte, dass es aus seiner Sicht nicht in erster Linie um zusätzliche Milliardenausgaben, sondern eine bessere Verteilung geht. So seien das Kindergeld, der Kinderzuschlag und auch der Regelsatz des Bürgergelds schon deutlich erhöht worden. «Das sind viele Milliarden Euro. Was nun noch zu tun ist, das ist die Schaffung eines digitalen Verfahrens. Damit wirklich alle Familien das bekommen, was ihnen zusteht», sagte er der Zeitung.

Zu Schätzungen von Familienministerin Lisa Paus (Grüne), die mögliche Kosten von zwölf Milliarden Euro genannt hatte, sagte Lindner: «Ich kenne deren Grundlage nicht. Meine Experten schätzen, dass durch die Automatisierung zwei bis drei Milliarden Euro an zusätzlichen Hilfen für Familien ausgezahlt werden.»

Nach Schätzungen des Familienministeriums erreicht etwa der sogenannte Kinderzuschlag für Familien mit geringen Einkommen bisher nur etwa jedes dritte anspruchsberechtigte Kind. Vermutet wird, dass viele keinen Antrag stellen, weil sie von ihrem Anspruch nichts wissen oder die Beantragung zu kompliziert ist. Der Kinderzuschlag soll wie diverse andere staatliche Leistungen ab 2025 in der neuen Kindergrundsicherung aufgehen. Eine einfache Antragsstellung über ein neues Portal soll sicherstellen, dass alle Anspruchsberechtigten auch das ihnen zustehende Geld erhalten. Seit Wochen streiten Grüne und FDP aber darüber, wie viel das Vorhaben kosten soll. (dpa)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Wehrpflicht kommt zurück nach Deutschland: Verteidigungsminister Pistorius sieht Einführung noch 2025
11.04.2025

Nach Bildung der neuen Regierung: Der geschäftsführende Verteidigungsminister Boris Pistorius will die Einführung des neuen...

DWN
Politik
Politik Russischer Angriff auf Nato-Staaten? Deutsche Sicherheitsexperten warnen vor Panikmache
11.04.2025

Ukraine-Krieg: Zahlreiche Sicherheitsexperten kritisieren Alarmismus und Aufrüstung wegen eines möglichen russischen Angriffskrieges auf...

DWN
Politik
Politik Sondertribunal Den Haag wegen Ukraine Krieg: Putin nicht vor Gericht - Keine Aburteilung in Abwesenheit
11.04.2025

Ein geplantes Sondertribunal zur Untersuchung mutmaßlicher Aggressionsverbrechen Russlands gegen die Ukraine wird den russischen...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Sekthersteller Rotkäppchen-Mumm: Vom ostdeutschen Sanierungsfall zum Marktführer
11.04.2025

Rotkäppchen-Mumm entwickelt sich wertmäßig bei Schaumwein und Wein deutlich über dem Marktniveau. Der Marktanteil ist mit 38 Prozent so...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Der Rückgang des Dollars setzt sich fort – ein Grund zur Sorge
11.04.2025

Der US-Dollar, jahrzehntelang Symbol wirtschaftlicher Stabilität und globaler Dominanz, verliert zunehmend an Strahlkraft – und das...

DWN
Panorama
Panorama Neue Pandemie der Kurzsichtigen: Augenärzte sprechen von einer Pandemie der Myopie
11.04.2025

Warum Augenoptik ein Handwerk mit großer Zukunft ist: Um 2050 wird Prognosen zufolge die halbe Menschheit kurzsichtig sein. Epidemiologen...

DWN
Politik
Politik Rebellion im Inneren – Republikaner stellen sich gegen Trumps Handelskrieg
11.04.2025

In der Republikanischen Partei gärt es: Immer mehr Abgeordnete und Senatoren wenden sich gegen Donald Trumps kompromisslose...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Steuerentlastung 2025: Was geplant ist und wie Firmen sich vorbereiten können
11.04.2025

Mit der Bundestagswahl im Februar 2025 richteten sich viele Hoffnungen auf die neue Regierung unter Führung von Friedrich Merz (CDU/CSU)....