Politik

Xi und Macron: Das fatale Rendezvous der Sonnenkönige

Lesezeit: 6 min
15.04.2023 09:30  Aktualisiert: 15.04.2023 09:30
Chinas Präsident Xi hat Frankreichs Präsidenten empfangen, als ob dieser Ludwig XIV und de Gaulle in einer Person wäre. Doch der Gast war nur Emmanuel Macron.
Xi und Macron: Das fatale Rendezvous der Sonnenkönige
Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, und Xi Jinping, Präsident von China, am 6. April an der Großen Halle des Volkes in Peking. (Foto: dpa)
Foto: Thibault Camus

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Als französischer Präsident hat man es nicht leicht. Man bewegt sich ständig in prächtigen, üppig mit goldenen Verzierungen ausgestatteten Gebäuden, die Bedeutung, königliche Würde, kurzum Weltmacht vermitteln. Auf der Straße toben allerdings die Franzosen, weil sie nicht schon mit 62 in Pension gehen sollen, sondern erst mit 64. Im Parlament verfügt die Opposition über die Mehrheit und peinigt die Regierungspartei. Da ist man vermeintlich der Nachfolger des Sonnenkönigs Ludwig XIV, der absolutistisch regierte, oder der Erbe von Charles de Gaulle, dem das Wahlvolk absolute Macht übertrug, und muss ständig zur Kenntnis nehmen, dass man nur Emmanuel Macron ist.

Macron wurde in China mit einer Inszenierung im Stil einer Operette begrüßt

Welch wunderbare Abwechslung bot da vor kurzem der Besuch beim Präsidenten Chinas, Xi Jinping. Dieser empfing Macron als ob Ludwig XIV und de Gaulle in einer Person zugegen wären. Der Regierungssitz ist zwar ein Produkt der kommunistischen Architektur und daher nicht so reich verziert wie Versailles, hat aber dennoch royale Züge, die durch einen breiten Treppenaufgang unterstrichen werden. Diese durchaus respektable Distanz legte der chinesische Sonnenkönig Xi zurück, um am Fuße der Prunkstiege seinen lieben Gast zu begrüßen. Die Szene war flankiert von zahllosen Würdenträgern, die anschließend vom königlichen Besucher händeschüttelnd zu begrüßen waren.

Dann folgte eine Inszenierung, die unbefangene Beobachter an eine Operette erinnerte, aber nicht ohne Wirkung blieb. Zahllose Bataillone marschierten auf, gekleidet in bunten Uniformen, die nichts vom realsozialistischen, braungrünen Kaki hatten. Da leuchtete es rot und blau und grün und weiß und golden. Im Stechschritt paradierten die Soldaten beiderlei Geschlechts. Die Fabriken roter Teppiche dürften zuletzt Überstunden gemacht haben. Die beiden Herrscher schritten und schritten und schritten die Reihen der farbigen Militärs ab. Weit und breit kein Hinweis auf Waffen, auf Chinas gigantische Aufrüstung der vergangenen Jahre, kein Panzer, keine Rakete, kein Flugzeug, nur Theater.

Das EU- und NATO-Mitglied Frankreich als Partner der kommunistischen Diktatur

Nach dieser Ouvertüre folgte eine zwei Tage dauernde Seelenmassage, bei der Macron an die Größe Frankreichs erinnert wurde, an die Zeiten, da aus Paris Europa gelenkt wurde, Napoleon triumphierte und man sogar weite Teile Amerikas beherrschte. Da sei es doch absurd, sich heute als Vasall der USA im Rahmen eines schwächlichen Verbunds wie der EU zu bewegen. Xi ist ein Anhänger der französischen Literatur und kann sich gut in die wunde französische Seele einfühlen. Jedes Mal, als Paris der Weltmacht nahe war, schrieb die Geschichte ein anderes Drehbuch und die „Grande Nation“ spielt heute auf der Weltbühne nur eine Nebenrolle. Weltmacht ist für den machthungrigen Xi das Thema Nummer eins, da kennt er sich im Innenleben eines Präsidenten aus.

Tatsächlich war die Aktion ein voller Erfolg. Macron fuhr aus Peking weg und hatte sich sogar das Vokabular des chinesischen Verführers zu eigen gemacht– man dürfe kein Vasall sein, weder von Amerika noch von China. Er hatte nicht bemerkt, dass es Xi nur darum geht, die Geschlossenheit der NATO aufzubrechen. Schließlich hat das Atlantik-Bündnis bei den letzten Treffen beschlossen, nicht mehr nur Russland als Gefahr zu sehen, sondern auch China. Da für Xi die Eroberung von Taiwan Priorität hat und er befürchten muss, dass im Fall eines rotchinesischen Überfalls auf die demokratisch regierte Insel die komplette NATO zur Hilfe eilt, geht es ihm nur um die Schwächung der westlichen Militärorganisation. Frankreich ist neben Großbritannien die einzige Atommacht in Europa.

Die „Weltmacht Europa“ ist ein Phantasiegebilde

Macron befindet sich, wie man an seinen Äußerungen erkennen kann, immer noch im Glücksrausch seines China-Urlaubs. Dass Frankreich nicht allein zur Weltmacht aufsteigen kann, ist ihm auch in seinem aktuellen Trance-Zustand klar, doch erinnerte er sich an eines seiner Lieblingsthemen: Europa müsse als Weltmacht neben den USA und China die Geschicke des Globus bestimmen. Diesen Anspruch werden sicher gerne viele Europäer begrüßen, doch ist dieses Ziel nicht zu erreichen, weil beinahe jede auf europäischer Ebene aktive Politikerin, jeder Politiker in Europa überzeugt ist, dass gerade sie oder gerade er dazu ausersehen ist, den alten Kontinent zu Glanz und Gloria zu führen. Ganz offensichtlich ist auch Macron von diesem Wahn befallen, schließlich fühlt er sich, seit Angela Merkel nicht mehr aktiv ist, als „Mister Europa“.

Europa kann keine international bestimmende Rolle spielen, solange die EU ein Sammelsurium von 27 Staaten bleibt, in dem jedes Land seinen eigenen politischen und wirtschaftlichen Weg geht. Wenn die Sicherheit auf dem Spiel steht, kriechen fast alle unter den Schutz der NATO, also unter den Schutz der USA. Während Macron von einer Europa-Armee träumt, ist Finnland eben der NATO beigetreten und das Gleiche zeichnet sich für Schweden ab. Der ehemalige französische Präsident, Valéry Giscard d’Estaing hat versucht, eine Struktur zu schaffen, in der eine tatsächliche europäische Einheit entstehen sollte. Die Staaten hätten weiter existiert, allerdings in einem enger definierten Verbund. Nicht zuletzt ein Nein-Votum der Franzosen hat dieses Projekt 2005 zu Fall gebracht. Auch der Euro war als Klammer für ein einiges Europa gedacht und wird unter anderem durch die explodierenden, französischen Schulden gefährdet.

Frankreichs Abhängigkeit von China wird immer größer

Wovon redet also Macron? Er ist nicht einmal in der Lage, die französischen Probleme in den Griff zu bekommen und wenn er entsprechende Versuche startet, geht die Bevölkerung auf die Straße. Seine Erklärung im Jargon von Russland, China und dem Iran, Europa dürfe kein Vasall Amerikas sein, hat naturgemäß in Washington die Frage aufgeworfen, warum sich die USA generell in Europa und im Besonderen in der Ukraine engagieren sollen. Die ebenfalls betonte Unabhängigkeit von China wird durch die anlässlich des Besuchs bei Xi unterschriebenen Verträge nicht ausgebaut. Im Gegenteil, die schon bestehende Abhängigkeit Frankreichs von China wird vielmehr ausgebaut.

Die neuen Abkommen sind vor dem Hintergrund der Abhängigkeit Frankreichs von China zu sehen. Das Handelsdefizit beträgt bereits 40 Mrd. Euro im Jahr. Airbus hat 2022 nur 112 Maschinen an chinesische Kunden verkauft, gegenüber 142 im Jahr 2021. Die Landwirtschaft hatte zuletzt Probleme bei der Belieferung ihrer chinesischen Partner. Die Kosmetikindustrie musste einen Rückgang der Umsätze zur Kenntnis nehmen, weil die chinesischen Importbedingungen verschärft wurden. Die staatlich gelenkte chinesische Wirtschaft ist bei vielen Unternehmen in Frankreich engagiert und nützt den Hafen von Marseille als wichtigen Stützpunkt für die Neue Seidenstraße. Die Versorgung der Franzosen mit Medikamenten hängt bereits zu 60 Prozent direkt über den Kauf von Arzneimitteln oder indirekt über die Beschaffung der Rohstoffe von China ab. China ist in Frankreich omnipräsent.

Staatlich befohlene Streicheleinheiten für Frankreichs Wirtschaft

Nicht zufällig nehmen drei der neuen Verträge auf die Wunschliste der französischen Wirtschaft Rücksicht.

  • Airbus wird eine zweite Fertigungsschiene in China errichten und so die bestehende Kapazität verdoppeln. Seit 2008 hat Airbus in China 600 Flugzeuge gebaut.

  • Die französische Agrarwirtschaft hat 15 zusätzliche Exportlizenzen für Schweine und Schweinefleisch erhalten.

  • Die Kosmetikfirma L’Orèal schloss beim Macron-Besuch eine Partnerschaft mit dem Online-Giganten Alibaba ab.

Andere Vereinbarungen intensivieren die Verbindungen zwischen den beiden Ländern:

  • Electricité de France erweitert den seit 2007 bestehenden Vertrag über die gemeinsame Planung, Errichtung und den Betrieb von Atomkraftwerken.

  • Die französische Firma CMA-CGM wird Methanol an die chinesischen Reedereien COSCO und an den Hafen von Shanghai liefern. COSCO ist maßgeblich beim Aufbau des chinesischen Netzes an Beteiligungen bei europäischen Häfen im Einsatz. Auch das derzeit umstrittene Engagement beim Hamburger Hafen wird von COSCO betrieben

  • Die Unternehmensgruppe Suez wird am Aufbau von Anlagen zur Entsalzung von Meerwasser mitwirken.

  • Versailles und die „Verbotene Stadt“, das historische Zentrum der chinesischen Kaiser, werden eine gemeinsame Ausstellung organisieren.

Man kann also nicht sagen, dass die allgemein als notwendige Distanz zu dem nach der Weltherrschaft strebenden China vom EU-Mitglied Frankreich mitgetragen wird. Doch genau das behauptet Macron jetzt lautstark.

Ursula von der Leyen als Jeanne d’Arc des Westens?

Die Position des Westens in Peking zu vertreten, blieb der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, vorbehalten. Macron und von der Leyen schienen ursprünglich gemeinsam nach China zu fahren, doch tatsächlich waren sie nicht gemeinsam, sondern nur gleichzeitig bei Xi. Auch wurde von der Leyen nicht mit einer pompösen Inszenierung wie Macron empfangen, sondern nur durch einen Minister vom Flughafen abgeholt. Entwickelt sich die umstrittene Politikerin gar zu einer Jeanne d’Arc, die als einfaches Bauernmädchen den wankelmütigen französischen Kronprinzen mit ihrer Begeisterung motivierte und im Hundertjährigen Krieg 1429 zum Sieg über die Engländer und Burgunder und auf den Königsthron führte?

Xi unterstützt sein Streben nach Weltmacht durch die Bindung von großen Staaten an China. Auf der Liste der vermeintlichen Freunde steht an oberster Stelle Russland, gefolgt vom Iran und neuerdings auch von Saudi-Arabien. Die Annäherung der beiden islamischen Länder wird als diplomatischer Erfolg des chinesischen Präsidenten dargestellt, der auch für Frieden im Jemen sorgen könnte. Im Jemen haben die beiden muslimischen Diktaturen den dortigen Bürgerkrieg durch die Unterstützung der jeweiligen Gegner zu einem Stellvertreterkrieg gemacht. Durch umfangreiche Investitionen hat China eine starke Position in Afrika aufgebaut. Xi organisiert einen Verbund von Diktaturen, die eine „Neue Weltordnung“ als Gegengewicht zum von den USA dominierten Westen bilden sollen. In dieser „Neuen Weltordnung“ gehört das demokratische Taiwan selbstverständlich unter die Knute der kommunistischen Diktatur in Peking und die Ukraine wird der russischen Herrschaft unterworfen.

Dieser politische Vormarsch hat auch eine militärische Dimension und ist im Zusammenhang mit der sonstigen Politik Chinas zu sehen. Im Westen missbraucht China die freie Marktwirtschaft, um nach Belieben Unternehmen zu kaufen, schottet aber das eigene Land ab und lässt westliche Investoren nur unter strenger staatlicher Kontrolle agieren. Menschenrechte werden nicht respektiert, es gibt keine freien Medien, kritische Äußerungen im Internet werden prompt mit Gefängnisstrafen quittiert, erfolgreiche Unternehmer werden an die Kandare der kommunistischen Partei genommen. Minderheiten, die nicht in das von der Partei formulierte Menschenbild passen, wie die Uiguren, werden zwangsweise umerzogen. In Hongkong wurde nach der Übergabe der Stadt durch Großbritannien an Rotchina vertragswidrig jeder Freiraum der Bevölkerung beseitigt.

Dass die Präsidentin der EU-Kommission dieser Bedrohung entgegentritt, ist selbstverständlich. Dass sie das im Gleichklang mit den USA tun muss und nicht als Vertreterin der Weltmacht Europa, ergibt sich aus der Zersplitterung der EU in Einzelinteressen. Dass sich Macron vom Liebeswerben aus Peking beeindrucken lässt, ist nichts anderes als ein Verrat am Westen und an der Demokratie und an der Identität Frankreichs, die bis heute von der Französischen Revolution geprägt ist.

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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