Unternehmen

Berlin: Große Koalition setzt Unternehmen unter Druck

Der Koalitionsvertrag aus CDU und SPD in der Bundeshauptstadt sorgt für ungläubiges Staunen. Der Grund ist die mögliche Einführung einer Ausbildungsplatz-Umlage. Unternehmen und Verbände lehnen sie rundweg ab – zu teuer, zu bürokratisch und obendrein vollkommen nutzlos.
Autor
08.05.2023 11:41
Aktualisiert: 08.05.2023 11:41
Lesezeit: 3 min
Berlin: Große Koalition setzt Unternehmen unter Druck
Die bisherige Regierende Bürgermeisterin und jetzige Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe, Franziska Giffey (SPD), und der neue Regierende Bürgermeister, Kai Wegner (CDU), unterzeichnen Ende April den Koalitionsvertrag. Foto: Bernd von Jutrczenka

Auf Seite 68 des am 26. April beschlossenen Koalitionsvertrages zwischen der CDU und SPD in Berlin findet sich wieder, was nicht wenige Unternehmen der Hauptstadt in helle Aufregung versetzt. Im Kapitel „Arbeit“ des Vertragswerkes kündigen die Koalitionspartner die Einführung einer Ausbildungsplatz-Umlage an – wenn nicht bis zum 30. April 2025 „mindestens 2000 zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze“ geschaffen werden. Die Ankündigung der Schaffung einer solchen Umlage ist für den stellvertretenden Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, Alexander Schirp, jedoch ein „Griff in die Mottenkiste“. Der Dachverband, in dem in Berlin und Brandenburg mehrere 10.000 Unternehmen organisiert sind, lehnt die Einführung einer solchen Umlage entschieden ab – damit werde, so Schirp, „nicht ein einziges Problem gelöst“. Das Thema einer Ausbildungsplatz-Umlage wurde, so Schirp, schon seit den 70er-Jahren immer wieder diskutiert, ohne dass es jemals zur Anwendung kam – mit guten Gründen, wie der Unternehmerverband findet.

Schwierige Suche nach Mitarbeitern

Der Grundgedanke einer Umlage gehe von der grundsätzlichen Fehlannahme aus, dass Unternehmen mit Zwang und unter Androhung von Strafzahlungen dazu gebracht werden müssten, in ihren Unternehmen auszubilden. Tastsächlich sei es aber so, dass die Unternehmen ein „ureigenes Interesse“ hätten, geeignete Mitarbeiter zu finden. Das aber werde immer schwieriger, klagt der Verband: Immer mehr Schulabgänger zieht es direkt in die Universität in eine akademische Ausbildung, Abgänger mit niedrigem Schulabschluss seien aber nicht selten in der Berufswelt „kaum einsetzbar“, da es – so klagen Unternehmer – es oft an Wissen und Fähigkeiten mangele. Der Verband kritisiert dabei die Politik, dass sie mit der Einführung einer Umlage versuche, ihre ungemachten Hausaufgaben den Unternehmen vor die Tür zu kehren Schon seit Jahren beklagen Unternehmen wie Verbände in Deutschland nicht nur eine verminderte Qualität der schulischen Bildung, sondern auch eine nicht selten anzutreffende schwach entwickelte Motivation der Schulabgänger, sich in das Berufsleben einzupassen.

Die Probleme sind auch der Industrie- und Handelskammer in Berlin nur allzu bekannt. Es werde für unsere Mitgliedsunternehmen immer schwieriger, geeignete Bewerber zu finden, sagt die Projektleiterin Ausbildungsplatzoffensive der IHK Berlin, Bianca Enderlein. Die Ausbildungsplatz-Offensive der IHK versucht dabei, die Unternehmen bei der Suche nach passenden Bewerbern zu helfen. In einer ersten Beurteilung des Koalitionsvertrages kommen die Vertreter der IHK auch zu einem eindeutigen Urteil: Die angekündigte Ausbildungsplatz-Umlage ist „ein klares No-Go. Angesichts tausender unbesetzter Ausbildungsplätze bringen Maßnahmen zur Verbesserung der Bildung in Berlin“ mehr.

Einführung wäre problematisch

Zu einer sehr ähnlichen Einschätzung kommt auch der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeber (BDA), der in einem Positionspapier die Einführung einer Umlage grundsätzlich untersucht. Ergebnis: Die Einführung einer solchen Umlage sei ausgesprochen problematisch – sie führe zu „Fehlanreizen und zu einer Schlechterstellung von kleineren Betrieben“, so der BDA: Betriebe würden bei Androhung einer Umlage auch dann ausbilden, wenn sie selbst keinen Bedarf hätten und kleinere Betriebe, die oft gar nicht die Kapazität hätten, um regelmäßig auszubilden, würden zudem durch die Umlage bestraft.

In Berlin kommt noch ein weiterer Umstand dazu: Die Politik stützt sich bei der Grundlage ihrer Entscheidungen auf diesem Feld auf die Erhebungen der Bundesanstalt für Arbeit. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit enthält die betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsplätze nach dem Berufsbildungsgesetz und der Handwerksordnung. In der Statistik aber werden beispielsweise nicht landesrechtlich geregelte Berufe wie die im Gesundheits- oder im Sozialwesen erfasst. Der Ausbildungsmarkt ist in Berlin – so die Studie „Fachliche Impulse zur Optimierung des Berliner Übergangssektors Schule-Beruf“ des Forschungsinstituts Betriebliche Bildung – wesentlich größer als es die Statistik der Bundesagentur aufweist. Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass der Dienstleistungssektor in Berlin deutlich größer, hingegen der Anteil des produzierenden Gewerbes an den sozial- und nicht sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nur halb so groß wie der Bundesdurchschnitt ist. Dazu komme noch, dass Berlin als Bundeshauptstadt einen besonders stark entwickelten Sektor im öffentlichen Dienst aufweise.

Hinzu kommt ein weiteres Spezifikum. Gerade in Berlin ist der Übergangsbereich zwischen Schule und Beruf mit seinen beruflichen Fördermaßnahmen besonders stark ausgebaut. Jahr für Jahr landen mehr als 4000 Schulabgänger in diesem Bereich, der allerdings, so die Studie, „umfangreiche, aber auch komplexe Strukturen“ aufweise. Dies führe dazu, so die ernüchternde Schlussfolgerung, dass die Vielfalt der Angebote zu Lasten der Transparenz gehe und dies eine passgenaue Zuweisung in geeignete Maßnahmen gefährde. Es wäre deshalb, so der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Verbandes Schirp, zielführender und eine deutlich lohnendere Aufgabe für die Berliner Politik, endlich das „unentwirrbare Gestrüpp aus Einzelmaßnahmen zur beruflichen Weiterbildung zu lichten, statt ausbildungswillige Unternehmen mit einer sinnfreien Umlage zu drohen.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

 

DWN
Politik
Politik Russlands Desinformationskampagnen: Wie Europa gegen Putins Trolle kämpft
06.12.2025

Europe wird zunehmend Ziel digitaler Einflussoperationen, die gesellschaftliche Stabilität, politische Prozesse und wirtschaftliche...

DWN
Immobilien
Immobilien Baufinanzierung Zinsen: Entwicklung des Bauzinses 2025 - und wie es 2026 weitergeht
06.12.2025

Nachdem die Zinsen – darunter der Bauzins – in Deutschland seit 2019 eine gewisse Schieflage erreicht haben, scheint nun Ruhe...

DWN
Finanzen
Finanzen Marktausblick 2026: Internationale Aktien und Small-Cap-Aktien sind am besten positioniert
06.12.2025

KI treibt Teile der Weltwirtschaft nach vorn, während andere Branchen stolpern. Gleichzeitig locken Staaten mit neuen Ausgabenprogrammen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schiene unter Druck: Expertenrunde soll Bahnverkehr stabilisieren
06.12.2025

Wegen anhaltender Probleme im Zugverkehr arbeitet eine neue Taskforce an kurzfristigen Lösungen für mehr Pünktlichkeit und Stabilität...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Automobilindustrie erholt sich: Nachfrage kehrt zurück
06.12.2025

Die europäischen Neuzulassungen ziehen spürbar an und signalisieren eine langsame, aber stabile Erholung der Automobilindustrie. Doch...

DWN
Technologie
Technologie Bidirektionales Laden in Schweden: E-Autos und Solaranlagen bieten neue Energie für Haushalte
06.12.2025

In Schweden entwickelt sich eine neue Form der dezentralen Energieversorgung, bei der Haushalte Strom selbst erzeugen und intelligent...

DWN
Politik
Politik Benelux-Einigung: Wie ein radikaler Zusammenschluss Europa herausfordern würde
06.12.2025

Mitten in einer Phase wachsender geopolitischer Spannungen nehmen belgische Politiker eine Vision wieder auf, die lange undenkbar schien...

DWN
Politik
Politik Trumps US-Sicherheitsstrategie und die Folgen für Europa
05.12.2025

Donald Trumps neue US-Sicherheitsstrategie rückt Europa ins Zentrum – allerdings als Risiko. Das 33-seitige Papier attackiert...