Während die Corona-Pandemie auf der einen Seite in vielen Bereichen Stillstand bedeutete, schuf sie auf der anderen Seite zugleich neue Möglichkeiten, die sich auch in der Arbeitswelt oder Freizeit etablierten. Manchmal wurde auch beides neu kombiniert, Freizeit und Arbeit. Die in dieser Zeit entstandene Clubhaus-App ist eine solche Blüte der Pandemie. Sie wurde gehypt, man konnte ihr nur auf Einladung beitreten. Es gab Clubräume, vor allem jüngere Menschen verlagerten während des Lockdowns ihre privaten, aber auch beruflichen Themen in die digitale App.
New Work – Wie die Zukunft des Arbeitens aussehen kann
In dieser Zeit entstand auch das „Zentrum für neue Arbeit“ in Berlin, welches es in dieser Form so bis dahin nicht gab. Leonie Müller, Mitbegründerin des Zentrums und selbständige Unternehmensberaterin, fand den Zeitpunkt des Lockdowns passend, um Menschen in Berührung mit Frithjof Bergmann zu bringen, den historischen Begründer der neuen Arbeitswelt. „Wir wollten Menschen dazu inspirieren, herauszufinden was sie wirklich, wirklich wollen, sowohl im Leben als auch im Beruf,“ erklärt sie.
Viele Menschen hatten durch die Pandemie zum ersten Mal die Gelegenheit in ihrem Leben, die Arbeit von zuhause zu erledigen. Diese Erfahrung hat etwas bewirkt. Bereits ein Jahr nach der Pandemie wollten zum Beispiel die meisten Schweizer Angestellten das Homeoffice nicht mehr missen. Dies ergab eine Studie von Okta und Censuswide im Jahr 2021, berichtete die Schweizer Computerworld. 70 Prozent der befragten Schweizer befürworteten gar Gesetzesänderungen, die es Unternehmen verbieten würden, Menschen zu zwingen, vor Ort im Büro zu arbeiten.
Leonie Müller hat ihre eigene Mission, die bereits vor dem Studium begann. Zuerst machte sie eine Weltreise. Im Anschluss tauschte sie Wohnung gegen eine Bahncard 100 ein und lebte während ihres Studiums abwechselnd bei Freunden und Familie. Ihre Erfahrungen während dieser Zeit hat sie in einem Buch mit dem Titel „Tausche Wohnung gegen Bahncard“ niedergeschrieben. Heutzutage lebt die ehemalige Zugnomadin in einem Bus. Ihr „New Work Van“ ist Arbeitsstätte und Wohnort zugleich. Statt mit dem Zug fährt sie nun mit ihrem fahrbaren Zuhause zu den Kunden vor Ort. „Für mich ist es ein großes Freiheitsgefühl, ein Gefühl des Abenteuers, aber dennoch habe ich eine vernünftige Arbeit. Beides muss sich nicht ausschließen.“
„Ventilatoren sind Hubschrauber, die ihren Traum aufgegeben haben und jetzt im Büro sitzen“
Viele Menschen haben ihr Mindset über Arbeit während der Pandemie geändert. So schließt für viele mittlerweile die Begrifflichkeit „Flexibilität“ nicht nur den Ort ein, sondern auch die Arbeitszeiten, an denen gearbeitet werden kann. Insbesondere die Generation der Millennials und der Generation Z räumen den Themen Selbstständigkeit und Gestaltungsmöglichkeit mehr Bedeutung bei als den Generationen zuvor. „Wir müssen unterscheiden, ob die geleistete Zeit oder das Ergebnis bei der Arbeit im Vordergrund stehen soll“, so Leonie Müller.
Stundenumfänge waren und sind bei den meisten Unternehmen immer noch eines der wichtigsten Kriterien im Arbeitsvertrag. Allerdings sind gute Ergebnisse nicht zwingend an eine bestimmte Stundenzahl oder Arbeitszeit gekoppelt. Zu sehr wird noch an den Fünftage-Rhythmus und dem neun bis siebzehn Uhr Fenster festgehalten. Produktivität und Kreativität halten sich aber ungern an Uhrzeiten. Manch einer hat spät abends seine besten Einfälle. Umbrüche entstehen bereits. Unternehmen erkennen, dass sie Ihre Forderungen den Wünschen der Arbeitnehmer anpassen müssen. Erst recht, seit viele Berufszweige so gut wie keinen Nachwuchs mehr finden.
New Work – New Hiring: Warum Personaler umdenken müssen
Der Fachkräftemangel hat über die letzten Jahrzehnte aufgrund des demografischen Wandels kontinuierlich zugenommen. Immer weniger Berufsanfänger, stehen immer mehr ausscheidenden Arbeitskräften gegenüber. Über 770.000 Stellen sind laut Statista aktuell unbesetzt in Deutschland, das sind beinahe doppelt so viele wie noch 2011. Die Lebensrealität zeigt es jeden Tag. Ärztepraxen mit freundlichen Hinweisen, dass die Wartezeit aufgrund mangelnden Personals erhöht sein kann. Schulstunden, die aufgrund fehlender Lehrer ausfallen müssen und kleine Geschäfte, die an manchen Tagen aus demselben Grund erst gar nicht aufmachen.
Der Arbeitsmarkt ist in besonderen Segmenten mehr oder weniger leergefegt. War es bereits zu besseren Zeiten nicht einfach gute Fachkräfte zu bekommen, so liegt die Messlatte jetzt noch ein Stück höher für Rekruter und Unternehmen. Mit einer normalen Stellenanzeige ist es daher nicht mehr getan. Sie müssen umdenken. Wer aus dem vollen schöpfen kann, lässt sich von einer klassischen Stellenanzeige, die mehr verlangt als sie anbietet, nicht mehr beeindrucken.
„Activ Sourcing“ ist ein Stichwort, dass immer wieder in diesem Zusammenhang fällt. Wo finde ich den richtigen Kandidaten, auf welcher passenden Plattform und viel wichtiger noch, wie spreche ich ihn an und binde ihn an das Unternehmen? Noch im Pandemiegeschehen 2020 hat die bekannte Plattform Xing den Bereich Onlyfy Talentservice gestartet, um bei der Identifikation und Ansprache passender Kandidaten Unternehmen zu unterstützen. Auftraggebende Unternehmen haben die Möglichkeit, transparent alle Schritte des Auswahlverfahrens auf einem Dashboard nachzuverfolgen.
Sobald eine bestimmte Anzahl an in Frage kommenden Kandidaten von Onlyfy ausgewählt wurde, übernimmt das Unternehmen wieder den regulären Bewerbungsprozess. „Mit dem XING TalentService helfen wir Rekrutierern dabei, einen großen Schritt in Richtung Digitalisierung zu gehen und wettbewerbsfähig bei der Kandidatenansprache zu bleiben“, zitiert die Plattform, David Vitrano, Geschäftsführer XING E-Recruiting. Die neue Sparte könnte ein Hinweis dafür sein, dass es Unternehmen aus eigener Anstrengung immer weniger schaffen, geeignetes Personal zu finden.
Weniger Arbeiten, mehr schaffen?
Die Arbeitnehmer sind in einer selten so guten Position wie bisher. Sie können Forderungen durchsetzen und sogar Jobs ablehnen. Der Ruf nach einer 4-Tage-Woche wird lauter, trotz Fachkräftemangel. Das bestätigt auch eine aktuelle repräsentative Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung. Allerdings wünscht die Mehrheit eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn.
Für Kai Kitschler, Wegbegleiter für Entwicklung und Veränderung, so der Titel des Coachs, steht Fachkräftemangel und weniger Stundenumfang in keinem Widerspruch. „Der oft angeführte Grund Fachkräftemangel liegt in vielen Fällen an veralteten Arbeitsumgebungen. Menschen wollen nicht mehr in so einem engen Korsett der Überwachung arbeiten. Wer sich wohl fühlt und wie ein Erwachsener behandelt wird, zeigt Leistung. Und in Selbstorganisation schaffe ich die Dinge eben oft auch in verkürzter Zeit“, sagt der erfahrene Coach.
Außerdem gebe es unterschiedliche Formen der 4-Tage-Woche. So könnte auch die gleiche bisherige Stundenzahl auf vier Tage verteilt werden. Unter dem Motto „Endlich mal was Handfestes“ widmet sich am 21. und 22. Juni in Hamburg ein ganzes Wochenende dem Thema Transformation und neue Arbeitsräume. „Uns steht noch ein weiter Weg bevor. „New Work ist in erster Linie eine Transformation der Führung und der Übernahme von Verantwortung. Das will erstmal umgesetzt und gelebt werden“, sagt Kitschler.