„Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.“ – heißt es im Gedicht „Herbsttag“ von Rainer Maria Rilke. Auch wenn Rilke sich in seinem Gedicht nicht auf den deutschen Wohnungsmarkt bezog, so passen diese Zeilen doch recht gut: Aufgrund der gestiegenen Baukosten, teurer und schwer zu findender Baugrundstücke, verschärfter Vergaberichtlinien für Baukredite und der allgemeine Inflation fällt es heute selbst Familien im soliden Mittelstand immer schwerer, Wohneigentum zu finanzieren.
„Wer ein Haus bauen möchte, muss rechnen, gerade in Zeiten steigender Bauzinsen. Und selbst wenn die Immobilie an sich noch finanzierbar wäre, bringen die teils immens hohen Preise in Ballungsgebieten für Grundstücke Bauwillige an ihre Grenzen“, bringt Peter Wegner, Präsident Verband Wohneigentum (VWE), die Situation auf den Punkt. Weiter unterstreicht er: „Hier kann es sich lohnen, über eine Erbpacht nachzudenken als eine bezahlbare Alternative zum Grundstückskauf.“
Das Modell scheint, jedenfalls auf den ersten Blick, verlockend: Das Grundstück wird nicht gekauft, sondern gegen eine jährlich zu entrichtende Gebühr genutzt, so dass lediglich der Bau oder Kauf der Immobilie finanziert werden muss. Gerade vor dem Hintergrund der enorm hohen Grundstückspreise scheint dies die Lösung für Menschen mit mittlerem Einkommen, um sich doch noch den Traum vom Häuschen mit Garten erfüllen zu können.
Erbbaurecht: Das eigene Haus auf fremdem Grund
Das Erbbaurecht ist keineswegs ein neues Instrument. Das Erbbaurechtsgesetz (ErbbauRG), das die rechtliche Grundlage für das Erbbaurecht bildet, gibt es seit 1919. Die Idee ist simpel: Ein Grundstück wird vom Eigentümer, Erbbaugeber genannt, an den Erbbaunehmer für eine bestimmte Zeit verpachtet. Auf dem Grundstück darf der Erbbaunehmer nun ein Haus erreichten und darin wohnen. Als Gegenleistung zahlt der Erbbaunehmer einen jährlichen Erbbauzins an den Erbbaugeber. Über den privatrechtlich ausgehandelten Erbbaurechtsvertrag wird die Laufzeit festgelegt. In der Regel beträgt diese zwischen 50 und 99 Jahren.
Um zu verstehen, warum das Instrument für Erbbaunehmer nicht ausnahmslos positiv ist und zugleich für Erbbaugeber das Potential hat, ein lohnendes Renditeinstrument zu sein, ist ein Blick auf die Details des Erbbaurechts wichtig: Statt das Grundstück zu kaufen, wird eine jährliche Nutzungsgebühr entrichtet. Der so genannte Erbbauzins liegt meist bei drei bis fünf Prozent des Verkehrswertes des Grundstücks. „Ein Risiko dabei ist, dass der Erbpachtzins meist mit den Jahren teurer wird, nicht zuletzt wenn der Grundstückswert steigt. Ob sich das langfristig lohnt, sollte man sich vorher genau ausrechnen“, erklärt Wegner.
Ein Rechenbeispiel mit fiktiv gewählten Werten verdeutlicht zudem, dass selbst bei konstanten Erbbauzinsen die summierten Pachtzahlungen höher sein können als die Kosten für einen Grundstückskauf: Hat ein Grundstück einen Marktwert von 200.000 Euro, zahlt der Erbbaunehmer bei einem Erbpachtzins von vier Prozent pro Jahr 8.000 Euro, in zehnt Jahren werden 80.000 Euro gezahlt und in 50 Jahren summieren sich die Erbpachtzahlungen auf 400.000 Euro. Das ist sicher günstiger, als den Grundstückskauf über eine Bank zu finanzieren. Allerdings erwirbt der Erbbaunehmer das Grundstück nicht, sondern darf es nur zeitlich begrenzt nutzen.
Erbbaunehmer und Immobilieneigentümer – mit Einschränkungen
Grundsätzlich ist der Erbbaugeber der Eigentümer des Grundstücks und der Erbbaunehmer der Eigentümer der Immobilie, die sich auf dem Grundstück befindet. Man sollte also meinen, dass der Immobilieneigentümer mit der Immobilie im Rahmen der in Deutschland geltenden Baurechte nach Belieben verfahren darf. Das jedoch ist ein Irrtum. Denn der Erbbaugeber hat in vielen Fragen ein Mitbestimmungs- und Vetorecht.
Um die ganze Situation noch komplizierter zu machen, gibt es keinen abschließenden Regelkatalog darüber, in welchen Punkten der Erbbaugeber ein Mitspracherecht in Bezug auf die Immobilie hat. Grundsätzlich gilt, dass der Erbbaugeber sein Veto sachlich begründen muss. Im Zweifelsfall entscheiden dann Gerichte darüber, ob im konkreten Fall ein Mitspracherecht gegeben ist. Ein Blick auf Gerichtsurteile zum Erbbaurecht zeigt, dass Erbbaugeber beispielsweise mitentscheiden dürfen, ob die Immobilie weitervermietet werden, ob ein An- oder Umbau erfolgen und wie hoch die Immobilie beliehen werden darf. Die große Freiheit, von der deutsche Immobilieneigentümer träumen, ist also stark begrenzt.
Eine weitere massive Einschränkung für den Erbbaunehmer besteht darin, dass die Finanzierung einer Erbbau-Immobilie deutlich schwerer ist, als Baufinanzierungen derzeit ohnehin schon sind. Grundsätzlich ist die Situation derzeit so, dass die meisten Banken ohnehin nur solche Erbbau-Immobilien finanzieren, bei denen der Erbbaugeber keine Privatperson ist. Dies stellt in der Regel kein Problem dar, da die meisten Erbbaugrundstücke von Kirchen oder Gemeinden stammen. Doch die Einschränkungen betreffen auch die Höhe der Beleihung, die meist bei 60 bis 80 Prozent gedeckelt ist. Das bedeutet, dass ein Eigenkapital für den Bau der Immobilie von 20 bi 40 Prozent erforderlich ist.
Und schließlich ist und bleibt das Erbbaurecht ein Nutzungsrecht auf Zeit: Danach fällt das Eigentum uneingeschränkt an den Erbbaugeber zurück. „Meist erhält man ein Angebot über einen neuen, oft teureren Vertrag. Trennt man sich jedoch bekommt die einstige Bauherrin oder der Erbe nur eine Entschädigung für das Gebäude. Das können ca. 2/3 des Hauswertes sein, aber der Immobilienwert selbst ist bei älteren und wenig sanierten Häusern oft enttäuschend niedrig“, weiß Wegner. Über das Bauen auf einem Erbbaugrundstück werden also keine bleibenden Werte geschaffen.
Eine Frage des politischen Willens
Das Erbbaurecht ist in Deutschland unterrepräsentiert. Schätzungen gehen davon aus, dass rund fünf Prozent der genutzten Flächen als Erbbaugrundstücke vergeben sind. In der Regel sind es Gemeinden, Kirchen und Stiftungen, die ihre Grundstücke als Erbbaugrundstücke vergeben. Privatpersonen sind bei den Erbbaugebern in der absoluten Minderheit. Allen Erbbaugebern gemeinsam ist jedoch, dass sie mit der Vergabe ihrer Grundstücke im Wege des Erbbaurechts Ziele verfolgen. Meist sind es finanzielle Ziele.
Die ursprüngliche Idee bei der Einführung des Erbbaurechts vor rund 100 Jahren war es, den Wohnungsbau zu fördern, die finanziell schwächeren Bevölkerungsschichten beim Erwerb von Wohneigentum zu unterstützen und Bodenspekulationen entgegenzuwirken. „Aus dem ursprünglichen sozialen Ansatz des Erbbaurechts ist allzu oft ein Renditemodell geworden“, so Wegner und fordert von der Politik: „Daher muss das Gesetz über das Erbbaurecht novelliert werden, mit dem Ziel, wieder ein familienfreundliches und bezahlbares Wohneigentum - nicht zuletzt als Altersvorsorge - zu ermöglichen.“
Konkret bedeutet das für Wegner maßvolle Erbbauzinsen durch eine entsprechende Änderung der Anpassungsklausel, ein Ankaufsrecht, eine Entschädigung beim Auslaufen des Erbbaurechts in voller Höhe des Gebäudeverkehrswertes. „Basis für den steigenden Erbpachtzins sollte die Entwicklung des Lebenshaltungskosten-Indexes sein“, lautet eine weitere Forderung Seitens des VWE. Durch diese Änderungen würde das Institut des Erbbaurechts für private Immobilienkäufer und Häuslebauer wieder interessanter werden.
Und wie sieht es mit dem Erbbaurecht als Kampf gegen den Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen aus? Mehrere deutsche Städte wollen künftig ihre Grundstücke nicht an Investoren verkaufen, sondern im Wege des Erbbaurechts zur Verfügung stellen. Die Erbbauzinsen sollen moderat gestaltet werden und im Gegenzug müssen unter anderem, so beispielsweise die Vorstellung der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, die Mieten in den errichteten Wohnungen niedrig sein. Das Problem dürfte hier sein, dass solche Modelle für die Immobilienwirtschaft wenig interessant sind.