Weltwirtschaft

Warum boomt Brasiliens Wirtschaft?

Lesezeit: 3 min
15.06.2023 15:44
Brasilien verzeichnet starke Exporte und eine abflauende Inflation. Ökonomen sind schockiert von dem unerwarteten Boom. Doch es gibt handfeste Erklärungen.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die brasilianische Wirtschaft ist im ersten Quartal um 4 Prozent gewachsen. Dies ist weit mehr als die Konsensprognose von nur 0,78 Prozent für das Gesamtjahr 2023. Alles sieht danach aus, als würde Brasilien das dritte Jahr in Folge deutlich schneller wachsen als die Ökonomen es zum jeweiligen Jahresbeginn prognostiziert haben. Doch warum hat das Land die Analysten in den letzten Jahren immer wieder positiv überrascht? Und warum wächst die brasilianische Wirtschaft so erstaunlich stark?

Ein wichtiger Faktor ist sicherlich das Ende der strengen Corona-Maßnahmen in China. Denn in der Folge boomen die brasilianischen Exporte wie Sojabohnen und Zucker, die in den letzten zwölf Monaten einen Rekordwert von fast 340 Milliarden Dollar erreichten. Sie waren entscheidend für den historischen Handelsüberschuss Brasiliens verantwortlich. "Es gibt keinen anderen Schwellenmarkt, der auch nur annähernd einen solchen Wandel erlebt hat", sagte jüngst Robin Brooks, der Chefökonom des Institute of International Finance, auf Twitter.

Brooks vertritt schon seit langem die Ansicht, dass die brasilianische Währung einen fairen Wert von 4,50 Real zum Dollar hat. In den letzten Monaten ist der Real tatsächlich wieder deutlich zum Dollar gestiegen. Die Währung handelte diese Woche vorübergehend bei 4,80 Real pro Dollar. Das war der höchste Stand seit Mai letzten Jahres.

Analysten waren auch davon überrascht, wie schnell die Inflation in Brasilien wieder zurückgeht zurück. Die brasilianische Inflationsrate liegt mit nur 3,9 Prozent deutlich niedriger ist als in den meisten anderen Ländern der Welt. In Deutschland lag die Inflationsrate im Mai bei 6,1 Prozent, in den USA immerhin bei 4 Prozent. Auch die Inflationserwartungen für Brasilien haben sich deutlich verbessert. Der Verbraucherpreisindex wird nun bis zum Jahresende bei 5,42 Prozent gesehen, verglichen mit einer Prognose von 6,05 Prozent Ende April.

Die brasilianischen Zentralbank ist es gelungen, den Preisanstieg nach dem sprunghaften Anstieg auf über 12 Prozent im April letzten Jahres zu bremsen. Daher sollte die Zentralbank den Übernacht-Zinssatz (Selic) senken. Der Selic liegt derzeit bei 13,75 Prozent und macht Brasilien zum Land mit dem höchsten Realzins der Welt in Höhe von fast 10 Prozent. Eine Zinssenkung würde die Nachfrage ankurbeln und die verschuldeten Verbraucher entlasten. Außerdem erholt sich der Arbeitsmarkt bereits. Die Arbeitslosenquote sank im April auf 8,5 Prozent und liegt damit wieder nahe dem Niveau von 2015.

"Im Gegensatz zu anderen Ländern der Region reagieren brasilianische Unternehmen sehr empfindlich auf Zinsschwankungen, sodass die übermäßige Straffung der Geldpolitik ihre Bilanzen belastet", schreibt Juan Pablo Spinetto, Lateinamerika-Editor bei Bloomberg. Sobald die Kreditkosten sinken, wird dies seiner Ansicht nach eine Quelle für zusätzliches Wachstum sein. Anzeichen der verbesserten fiskalischen und monetären Lage veranlassten S&P Global Ratings am Mittwoch, den Ausblick für die brasilianischen Schulden von stabil auf positiv anzuheben.

Schließlich gibt es Spinetto zufolge auch an der politischen Front Grund zum Optimismus. Denn seiner Ansicht nach werden die linken Tendenzen von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva derzeit durch einen Mitte-Rechts-Kongress abgemildert. Wie der Sprecher des Hauses, der mächtige Arthur Lira, kürzlich gegenüber CNN Brasil erklärte, ist Brasiliens Nationalkongress nicht links, sondern "reformorientiert, liberal, gesprächig und hat seine eigenen Positionen". Um seine Agenda voranzubringen, muss Lula immer wieder Kompromisse machen.

Der neue Rahmen von Finanzminister Fernando Haddad wird wahrscheinlich die Zustimmung des Kongresses erhalten. Selbst wenn Lula mit seinen Plänen zur Bekämpfung der seit langem bestehenden Ungleichheiten und sozialen Defizite in Brasilien vorankommt, dürfte die Haushaltslage des Landes gesichert sein. Brasilien hat in den letzten Jahren von seiner Offenheit gegenüber neuen Technologien, den jüngsten Infrastrukturprojekten, der Expansion seiner Kapitalmärkte und einem günstigen Unternehmensumfeld profitiert, so Spinetto. All dies trage dazu bei, dass die brasilianische Wirtschaft bereit ist aufzusteigen.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Zu Weihnachten Zukunft schenken

Gerade zu Weihnachten wünschen sich viele Menschen, etwas von ihrem Glück zu teilen und sich für diejenigen zu engagieren, die es nicht...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutsche Flugsicherung erhöht Gebühren: Gründe, Auswirkungen und Forderungen
27.12.2024

Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hat angekündigt, zum Jahreswechsel die Gebühren für Fluggesellschaften deutlich zu erhöhen. Während...

DWN
Politik
Politik Normenkontrollrat plant Empfehlungen für neue Regierung
27.12.2024

Eine Institution, von der man viel zu wenig hört: Ohne ein verbessertes Datenmanagement, einfachere Gesetze und mehr digitale Prozesse...

DWN
Immobilien
Immobilien Die teuersten deutschen Immobilien in 2024: Welche Städte sind die Spitzenreiter?
27.12.2024

Der deutsche Luxusmarkt scheint wieder gesund und munter zu sein, nachdem das Segment im Jahr 2023 unter Druck geraten ist als Verkäufe...

DWN
Politik
Politik In der deutschen Wirtschaft überwiegt Pessimismus
27.12.2024

Wohin steuert die deutsche Wirtschaft nach dem zweiten Rezessionsjahr in Folge? Viele Verbände blicken mit Sorgen nach vorn. Die Gründe...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Clean Industrial Deal: Warum die EU jetzt handeln muss
26.12.2024

Vor fünf Jahren setzte die EU mit dem Europäischen Green Deal neue Maßstäbe im globalen Klimaschutz. Heute, angesichts wachsender...

DWN
Politik
Politik „Atomkraft? Nein Danke“: Habeck-Ministerium manipulierte wohl AKW-Studie für Atomausstieg
26.12.2024

Manipulation im Wirtschaftsministerium? Wie interne Unterlagen jetzt aufdecken, soll das Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck gezielt...

DWN
Politik
Politik Papst eröffnet Heiliges Jahr mit Hoffnungsbotschaft
26.12.2024

Ein strammes Programm hatte der gesundheitlich angeschlagene Papst an Weihnachten zu stemmen: Er eröffnete das Heilige Jahr der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschland schafft Gasspeicherumlage ab: Entlastung für Nachbarländer, Mehrkosten für Verbraucher
26.12.2024

Deutschland verabschiedet sich von der umstrittenen Gasspeicherumlage an Grenzübergangspunkten zu Nachbarländern. Mit einer Änderung des...