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Erweitertes Anti-Spionagegesetz in China sorgt auch deutsche Unternehmen

Die Kommunistische Partei Chinas hat seinen Rechtsrahmen um kleine, aber bedeutende Änderungen erweitert. In Zukunft droht bei Verletzung der nationalen Interessen und Sicherheit bereits Ausreiseverbot. Was dazu zählt, bleibt offen.
29.06.2023 09:03
Aktualisiert: 29.06.2023 09:03
Lesezeit: 5 min
Erweitertes Anti-Spionagegesetz in China sorgt auch deutsche Unternehmen
Xi Jinping (r), Präsident von China, empfängt Charles Michel, Präsident des Europäischen Rates. (Foto: dpa) Foto: Ding Lin

In einem Land, indem ein Comedian wegen einem Witz über die Armee festgenommen wird, sollte man sich keine Fehler erlauben. Seit der Machtübernahme von Xi Jinping im Jahr 2012 geht China restriktiv gegen Regimekritiker vor und auch die Anwendung von Ausreiseverboten wurde stetig ausgeweitet. Sie sind eines der vielen Instrumente, die die Kommunistische Partei Chinas (CCP) einsetzt, um die Kontrolle über möglichst viele Aspekte des Lebens der Bevölkerung zu erhalten. Es gibt bereits viele Gesetze und Verordnungen, die sich auf Ausreiseverbote beziehen. Diese geben einer Vielzahl von Behörden die Befugnis, Ausreiseverbote zu verhängen. Die Gründe können vielfältig sein, um jemanden an der Ausreise zu behindern.

Vorsicht bei der Einholung von Auskünften

Ende April 2023 wurden das Spionagegesetz erneut ausgeweitet, welches am 01.07.2023 in Kraft tritt. Während im Gesetz von 2014 die Weitergabe von Staatsgeheimnissen und Geheimdienstinformationen unter den Spionagebegriff fielen, wurde dieser inhaltliche Rahmen um sehr allgemeine Begriffe wie Dokumente, Daten und Materialien erweitert, welche die „nationalen Interessen und Sicherheit“ gefährden könnten. Das Gesetz sieht zwar vor, dass die Rechte der Firmen und Individuen geschützt werden (Art. 3) jedoch führen die vagen Formulierungen, die hinzugefügt wurden dazu, dass man nun bei jeden erdenklichen Inhalt in den Fokus der Ermittler gerät. Banale Aktivitäten, wie die Überprüfung der Handelsbilanz, die Verbindungen und den Ruf eines Unternehmens sowie die dahinter stehenden Personen, die bisher ein Unternehmen im Rahmen der Sorgfaltspflicht vor dem Abschluss eines Geschäfts oft durchgeführt wurden, könnten von nun als illegal eingestuft werden. Das hat das in Shanghai ansässige deutsche Unternehmen die Kanzlei Schulz Noack Bärwinkel bereits in Alarmbereitschaft versetzt. „In unserem eigenen Unternehmen neigen wir bereits zur Vorsicht bei der Einholung von Kreditauskünften und Informationen über chinesische Schuldner. Im Zweifelsfall betreuen wir damit ausländisch investierte Anbieter. Ebendiese schrecken aber auch bereits davor zurück, bestimmte Aufträge anzunehmen, die sich nicht durch Nachschau in öffentlich zugänglichen Registern erledigen lassen“, beschreibt Johannes Weilharter, Rechtsanwalt und Senior Associate, die Situation in seinem Unternehmen vor Ort.

Bereiche, die früher unter die Datenschutzbestimmungen des Strafgesetzbuches fielen und höchstens eine Strafe von drei Jahren Gefängnis vorsahen, wurden nun geändert, so dass lebenslange Haftstrafen oder gar die Todesstrafe ausgesprochen werden können. „Ein enger Kontakt zu den Lokalbehörden, die dabei helfen zu klären, was man zu unterlassen hat, sollte auch helfen. Die lokalen Behörden haben meist ein Interesse an Investitionen und können hier helfen. Zunächst müssen wir abwarten, wie gute diese von Peking instruiert werden, sagt China-Experte, Dr. Matthias Niedenführ, Direktor des Center for Leadership und Innovation in Asia (CLIA) am Leadership Excellence Institut Zeppelin (LEIZ).

Es drohen lange Haftstrafen

Bereits am 15. April 2021 war ein 78-jähriger Amerikaner (John Shing-Wan Leung, ein in Hong Kong ansässiger Chinese mit amerikanischem Pass) wegen Spionagevorwürfen festgenommen worden. Im Mai 2023 gaben die Behörden bekannt, dass der Festgenommene zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Zudem wurden 72.000 US-Dollar seines Privatvermögens beschlagnahmt, heißt es in der offiziellen Erklärung des Gerichts. China wirft dem Amerikaner den Verrat von Staatsgeheimnissen vor. Es wurden keine weiteren Einzelheiten über sein Verfahren oder die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen genannt. Eine übliche Praktik im kommunistischen China. Gerichtsverhandlungen in Fällen der nationalen Sicherheit finden meist hinter verschlossenen Türen statt. Die Behörden geben nur selten Informationen über heikle Fälle bekannt. Fast kein Gesetz oder keine Verordnung sieht in China Rechtshilfe gegen Ausreiseverbote vor, auch nicht die beiden wichtigsten Gesetze, das Ausreise- und Einreise-Verwaltungsgesetz und das Überwachungsgesetz. Allein zwischen 1995 und 2019 wurden mindestens 41 ausländische Geschäftsleute in China wegen ziviler Geschäftsstreitigkeiten mit Ausreiseverboten bestraft, das ergab eine Untersuchung aus dem Jahr 2022. Die Dunkelziffer wird jedoch von den Autoren deutlich höher geschätzt. So warnt aktuell die kanadische Regierung Mitbürgern vor der Einreise nach China aufgrund der Gefahr, dass die lokalen Gesetze willkürlich durchgesetzt werden könnten. Mit der Gesetzeserweiterung im Juli dürfte auch diese Sorge begründet zunehmen. Das neue Gesetz weitet die Befugnisse der Organe der Staatssicherheit aus. So haben Beamte der nationalen Sicherheitsbehörden in Verfolgung ihrer Aufgaben nur ihren Dienstausweis vorzuzeigen, um Befragungen von Einzelpersonen und Organisationen durzuführen.

Unternehmen sollten künftig Vorsorgemaßnahmen treffen

Die hohe lebenslange Haftstrafe, die Leung als US-Bürger erhalten hat, dürfte die wachsende Besorgnis über den schrumpfenden Spielraum für ausländische Personen und Unternehmen in China verstärken. Wenn die neue Revision Pekings in Kraft tritt, ist damit zu rechnen, dass ausländische Personen, die in sensiblen Branchen wie Journalismus, Technologie, Forschung und Datenüberwachung tätig sind, stärker als bisher in den Fokus geraten. Weilharter rät daher Vertreter und Unternehmen in China Vorsorge zu treffen. „Um den besagten Risiken vorzubeugen, sind ausländische und ausländisch investierte Unternehmen gut beraten, ihr Compliance System an die Erfordernisse des Spionagegesetzes anzupassen. Das betrifft insbesondere Maßnahmen wie die kontinuierliche Beobachtung der Rechtslage in Bezug auf die Definition von

Staatsgeheimnissen und nationalen Interessen, die Einführung klarer Berichtsstrukturen, die Durchführung stringenter Audits und Background Checks für Lieferanten und neue Angestellte, die Einführung von Datenmanagement- und klassifizierungssysteme, die Abhaltung regelmäßiger Trainings, die Aufstellung von Krisenplänen sowie die Vorbereitung auf unvorbereitete Hausdurchsuchungen.“ Die Liste ist lang, die in Zukunft im Auge behalten werden muss.

Bereits in den letzten Monaten kam es zu einer Reihe von Festnahmen, wie aus einem aktuellen Bericht der Menschenrechtsorganisation „Safeguard Defenders“ hervorgeht. Im März verhaftete die Polizei eine japanische Führungskraft von Astellas Pharma unter dem Vorwurf der Spionage. Im April teilte die Familie eines Redakteurs der kommunistischen Parteizeitung Guangming Daily, den Medien mit, dass er seit mehr als einem Jahr wegen Spionagevorwürfen inhaftiert sei, nachdem er 2022 mit einem japanischen Diplomaten zu Mittag gegessen hatte.

Ebenfalls im April wurden Mitarbeiter der US-amerikanischen Unternehmensberatungsfirma Bain bei einem Überraschungsbesuch im Shanghaier Büro des Unternehmens von der Polizei befragt. Es wurde zwar niemand festgenommen, aber Computer und Telefone wurden beschlagnahmt. Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich im März in den Pekinger Büros der amerikanischen Due-Diligence-Firma Mintz Group, wo fünf chinesische Staatsangehörige von den Behörden festgenommen wurden, die später die Niederlassung schlossen.

In der Zwischenzeit wurde das internationale Beratungsunternehmen Capvision, ein chinesisches Unternehmen mit Sitz in Shanghai, das zahlreiche Firmenkunden in und außerhalb Chinas mit Informationen versorgt, in Suzhou von staatlichen Sicherheitskräften durchsucht. „Firmen waren schon immer an das Einhalten der Gesetzte gebunden. Im Bereich der Datensicherheit entsteht gerade eine neue Welt paralleler Compliance-Regulierungen, in denen China, USA und Europa ihre jeweiligen Standards durchsetzen wollen“, beschreibt Niedenführ die aktuelle Lage.

Was das Gesetz prekär macht, ist die Tatsache, dass es auch über Ländergrenzen hinweg wirken soll. Wer aus dem Ausland chinesische sensible Daten abruft, kann sich demnach laut dem Gesetz ebenso strafbar machen. „Die ersten Gesellschaften brechen sich daher in getrennte Gesellschaften für die Kernmärkte Europa, USA und China auf“, weiß Niedenführ. Für Ausländer, die nach China als Tourist reisen, sieht der China-Experte keine größeren Risiken. Geschäftsleute von Schlüsselindustrien sowie Journalisten und Wissenschaftler, je nach Thema, sollten künftig aufpassen.

Johannes Weilharter fasst zusammen, welche Probleme sich im Lichte dieser Neuerungen für ausländische und ausländisch-investierte Unternehmen in und außerhalb Chinas unter anderem ergeben können:

Beeinträchtigung von Geschäftsgeheimnissen: Falls ausländisch-investierte Unternehmen Mitarbeiter abwerben, die Zugang zu Schlüsseltechnologien haben, besteht die Gefahr, dass die neu angeworbenen Mitarbeiter als Spione gelten, sobald sie die besagte Technologie einsetzen. Dieses Risiko besteht auch dann, falls es sich bei besagten Technologien nicht um Staatsgeheimnisse handelt. Denn der Schutz der betreffenden Technologie könnte im nationalen Interesse liegen.

Markt- und Branchenstudien: Ausländische Unternehmen, die wirtschaftliche Daten sammeln, um ihren Markteintritt vorzubereiten oder neue Marktsegmente zu erschließen, könnten als Spionageorganisation eingestuft werden. Zwar sind die betreffenden Vorgänge wirtschaftlich motiviert, die gesammelten Daten könnten aber auch Informationen über die Branche oder Mitbewerber enthalten, die im nationalen Interesse liegen.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit: Bei internationalen Projekten ist ein gewisses Maß an Technologie- und Informationstransfer in der Regel unausweichlich. Falls die betreffenden Daten im nationalen Interesse stehen, könnten die besagten Unternehmen als Agenten eingestuft werden.

Anstellung ehemaliger Beamter und Staatsangestellter: Die Anstellung ehemaliger Staatsangestellter durch ausländische oder ausländisch-investierte Unternehmen könnte als Form der Spionage aufgefasst werden. Teilt der ehemalige Beamte sein Insiderwissen und seine Kontakte mit seinem Arbeitgeber, könnte die Anbahnung und Erfüllung des Arbeitsvertrages nämlich als Anstiftung zum Verrat angesehen werden.

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Sofia Delgado

                                                                            ***

Sofia Delgado ist freie Journalistin und arbeitet seit 2021 in Stuttgart, nachdem sie viereinhalb Jahre lang in Peking gelebt hat. Sie widmet sich gesellschaftskritischen Themen und schreibt für verschiedene Auftraggeber. Persönlich priorisiert sie die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit, als dringendste Herausforderung für die Menschheit.

 

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