Unternehmen

Schwache Investitionen: Deutschland zehrt seine Substanz auf

Eine Studie bringt es an den Tag: Deutschland lebt seit 20 Jahren von der Substanz. Die Folge: Das Land büßt seine Konkurrenzfähigkeit ein.
Autor
20.07.2023 09:26
Aktualisiert: 20.07.2023 09:26
Lesezeit: 3 min

Die Ergebnisse der Studie des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) sind in hohem Maße alarmierend: Nicht nur, dass Deutschland beim Wirtschaftswachstum inzwischen einen hinteren Platz einnimmt, der Fachkräftemangel die Wirtschaft immer mehr belastet, nun ist auch bekannt geworden, dass der Kapitalstock Deutschlands zusehends veraltet. Seit 20 Jahren sei, so das Ergebnis der Studie, der Wert des volkswirtschaftlichen Vermögens geschrumpft. Damit lebt Deutschland seit nunmehr 20 Jahren von seiner Substanz

Wirtschaft fährt auf Verschleiß

Unter einem Kapitalstock versteht man in der Volkswirtschaft die Fabrikanlagen, Straßen, Schulen und die Verkehrsinfrastruktur eines Landes. Dazu zählen aber auch das geistige Eigentum, das sich in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Software oder Datenbanken abbildet. Dabei unterscheidet man zwischen dem Bruttokapitalstock und dem Nettokapitalstock. Ersteres beschreibt die Kosten für die Anschaffung, das zweite den tatsächlichen Wert nach Abschreibung. Wird also der Kapitalstock nicht beständig erneuert und modernisiert, veralten die Investitionen und ein Land fährt seine Wirtschaft auf Verschleiß. Und genau das geschieht in Deutschland seit 20 Jahren!

Nach Berechnungen des Verbandes ging der Modernitätsgrad des deutschen Kapitalstocks deutlicher zurück als in anderen Ländern, die der vfa in seiner Studie untersuchte. So stünden sowohl Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und vor allem Kanada in dieser Hinsicht deutlich besser da. Der Autor der Studie, Simon Junker, Referent für Konjunkturpolitik beim vfa, sieht eine Vielzahl von Gründen für die deutsche Investitionsschwäche.

Vielfach, so Junker im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten (DWN), fehle es an einer „intelligenten Clusterbildung“. Oftmals sei es so, dass öffentliche Investitionen private nach sich zögen. Besonders öffentliche Forschungsinvestitionen könnten eine Vielzahl privater Investitionen anschieben, wie Beispiele aus anderen Ländern zeigten: „Da passiert zwar in Deutschland auch schon eine ganze Menge, aber wir müssen auf diesem Feld noch deutlich besser werden“, so Junker zu den DWN. Eine weitere mögliche Ursache sieht Junker in der seiner Meinung nach wie vor unterentwickelten Ausstattung junger Unternehmen mit Kapital.

Eine Entwicklung, die auch der Mittelstand bestätigt. Demnach falle es jungen Unternehmen immer noch deutlich zu schwer, an Kapital für Investitionen zu gelangen. Doch seien es genau die Investitionen junger auf den Markt drängender Unternehmen, die das Potential hätten, den Kapitalstock erheblich zu modernisieren.

Tatsächlich gibt es aber auch Hoffnung für den Industriestandort Deutschland: Während der Bestand bei Anlagen und Bauten rasant an Wert verliert, gewinnt das Investitionsvermögen in den Bereichen „Geistiges Eigentum“, das sind die Bereiche Forschung und Entwicklung, an Wert, wenn auch noch nicht so stark, dass es das Gesamt-Negativsaldo ausgleichen könnte.

Auswirkungen auf die Produktivität

Der Verband stellt in seiner Studie fest, dass „der Zusammenhang zwischen einem modernen Kapitalstock und der Produktivität einer Volkswirtschaft naheliegend“ sei. Denn: „Je moderner der Kapitalstock, desto höher die Wertschöpfung je Beschäftigten.“ Eine drastische Erhöhung der Produktivität sei aber gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels von besonderer Dringlichkeit.

Aufgrund des weithin ernüchternden Befunds erhebt der Verband in seiner Studie weitreichende politische Forderungen: Der Staat solle Investitionen viel stärker als bisher Abschreibungen gewähren. Davon verspricht sich der Verband, dass zunehmend Investitionen in moderne Produktionsanlagen erfolgen.

Darüber hinaus sei es entscheidend, dass der Staat zügig daran gehe, dass Umfeld für Forschung und Entwicklung voranzutreiben. Dazu solle, so der Autor der Studie, die steuerliche Forschungsförderung drastisch ausgebaut werden. Zudem solle sich der Staat auch mit Investitionen weitaus stärker als bisher engagieren. Diese seien dazu geeignet, die Produktivität privater Investitionen zu steigern.

Zumindest die letzte Forderung des Verbandes dürfte nicht nur in der Wissenschaft höchst umstritten sein, da staatliche Investitionslenkung in der Geschichte oft genug zu Wettbewerbsverzerrungen und damit zu Fehlsteuerungen geführt hat.

Die Investitionslücke

Insgesamt zeigt aber die Studie des Verbands, dass Deutschland eine erhebliche Investitionslücke aufweist. Die Studie untermauert damit vorangegangene Erhebungen. So hat erst vor einem Monat das angesehene wirtschaftswissenschaftliche Institut IMD in Lausanne sein jüngstes Ranking der attraktivsten Industriestandorte bekannt gegeben.

Demnach ist Deutschland in der Rangliste der wettbewerbsfähigsten Länder von Platz 15 auf Rang 22 zurückgefallen - noch hinter China (Platz 21), Saudia-Arabien (17) und Belgien (13. Und zu einem ähnlich düsteren Befund kam eine Studie des Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW. Demnach ist Deutschland auf Platz 18 (von 21 untersuchten Ländern) abgerutscht. Eine der Gründe für das schlechte Ranking neben zu hohen Steuern und einer aufgeblähten Bürokratie: die mangelnde Innovationsbereitschaft.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Daimler Truck-Aktie trotz Prognosesenkung an DAX-Spitze: Lkw-Bauer wehrt sich erfolgreich gegen US-Zölle
14.05.2025

Die Daimler Truck-Aktie trotzt schlechten Nachrichten, überrascht Anleger – doch bleibt der Aufwärtstrend stabil? Zwischen US-Zöllen,...

DWN
Politik
Politik Trumps Arznei-Schock: USA wollen Europas Medikamentenpreise diktieren
14.05.2025

US-Präsident Donald Trump kündigt einen Preissturz bei Arzneimitteln um bis zu 90 Prozent an – doch der Widerstand wächst, auch aus...

DWN
Politik
Politik Regierungserklärung: Merz ruft zum gemeinsamen Aufbruch auf – "Der Staat, das sind wir alle"
14.05.2025

Die erste Merz-Regierungserklärung verspricht klare Antworten auf große Herausforderungen. Doch wie viel Wandel steckt wirklich hinter...

DWN
Politik
Politik Zollschock für Ukraine – EU will Agrarimporte drastisch begrenzen
14.05.2025

Ausgerechnet mitten im Krieg plant Brüssel drastische Zollgrenzen für ukrainische Agrarprodukte – ein Signal der Schwäche, das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Preisdruck lässt nach: Inflation schwächt sich im April auf 2,1 Prozent ab
14.05.2025

Die Inflation in Deutschland hat im zweiten Monat nacheinander an Dynamik verloren. Dahinter steckt vor allem ein Faktor. Im Alltag fällt...

DWN
Finanzen
Finanzen Schenkung statt Erbe: Steuern sparen durch die Nutzung der Freibeträge
14.05.2025

Nicht erst beim Erbe kann man Vermögen innerhalb der Familie übertragen. Oft ist es sinnvoll, bereits Vermögenswerte zu Lebzeiten an...

DWN
Finanzen
Finanzen Tui-Aktie verliert deutlich nach Quartalszahlen - wie geht's weiter beim Reisekonzern?
14.05.2025

Die Tui-Aktie ist nach Veröffentlichung der Zahlen für das zweite Geschäftsquartal deutlich unter Druck geraten. Am Mittwochmorgen...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Krieg: Unklare Details vor Friedensgesprächen in Istanbul
14.05.2025

Kurz vor dem geplanten Dialog zur Lösung des Ukraine-Kriegs bleibt unklar, in welchem Rahmen die Friedensgespräche in Istanbul...