Politik

Mittelstand fordert Streichung von Sozialabgaben

Lesezeit: 3 min
13.06.2023 13:53  Aktualisiert: 13.06.2023 13:53
In Deutschland gibt es eine stille Reserve an Arbeitskräften. Die Hebung dieser Reserve würde den Facharbeitermangel, unter dem die Wirtschaft und besonders der Mittelstand leidet, erheblich entschärfen. Doch zu hohe Steuern und Abgaben stehen dem im Wege.
Mittelstand fordert Streichung von Sozialabgaben
Auch hohe Steuern und Abgaben stehen der Lösung des Fachkräftemangels im Weg. Im Bild Markus Jerger, Vorsitzender der Bundesgeschäftsführung des Bundesverbandes Der Mittelstand (BVMW). (Foto: dpa)
Foto: Bernd von Jutrczenka

Benachrichtigung über neue Artikel:  

In einer aktuellen Studie hat jetzt das Institut der Wirtschaft (IW) untersucht, inwieweit die Möglichkeiten eines Hinzuverdienstes für vorzeitig in Rente Gegangene lohnend sei. Der Grund der Untersuchung ist hochaktuell, denn zum 1. Januar dieses Jahres ist die Hinzuverdienstgrenze für vorgezogene Altersrenten gefallen. Rentner, die vorzeitig mit Abschlägen oder gar abschlagsfrei in Rente gehen, können jetzt neben dem Bezug ihrer Rente dazuverdienen und unbegrenzt sozialversicherungspflichtig weiterarbeiten. Bis 2019 betrug die Hinzuverdienstgrenze noch 6300 Euro im Jahr. Während der Corona-Pandemie wurde die Hinzuverdienstgrenze zunächst auf 44.590, dann auf 46.060 Euro angehoben, ehe sie nun zum 1. Januar ganz aufgeboben wurde. Dies geschah vor allem, um dem immer drängender werdenden Mangel an Fachkräften zu begegnen.

Die Reserve an gut ausgebildeten Kräften, die für die Wirtschaft zur Verfügung stünde, ist beträchtlich. Nach Informationen der Deutschen Rentenversicherung sind im Jahr 2021 858.000 Menschen in Rente gegangen, davon etwa die Hälfte vorzeitig. Der Wegfall der Hinzuverdienstgrenze soll, so die Überlegung der Bundesregierung, die langjährig Versicherten dazu motivieren, ihre Erwerbstätigkeit weiterzuführen – auch wenn sie bereits eine Rente beziehen.

Hohe Abgaben verschärfen Fachkräftemangel

Doch was auf den ersten Blick wie ein möglicher Ausweg aus der Fachkräftekrise erscheinen mag, scheitert in Deutschland am System von Steuern und Sozialabgaben. In seiner aktuellen Studie kommt das Institut für Wirtschaft (IW) zu der ernüchternden Erkenntnis, dass die dann fälligen Steuern und Abgaben auf den Hinzuverdienst, die Erwerbstätigkeit bei dem Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand weitgehend unattraktiv machen.

So haben die Autoren der Studie nachgerechnet, dass bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze beispielsweise die Belastung des Arbeitseinkommens mit Sozialabgaben und Steuern bereits bei einem Renteneinkommen von 15.000 Euro im Jahr und einem jährlichen Hinzuverdienst von 25.000 Euro bei 38,4 Prozent liege. Ohne Renteneinkommen würde aber die Belastung nur bei 26,6 Prozent liegen. Entsprechend steigt bei höherem Renteneinkommen die Belastung über 40 Prozent. In der Kombination, so die Studie, mit hohem Renteneinkommen und einem Hinzuverdienst von 100.000 Euro wären demnach Steuern und Abgaben in Höhe von 46 Prozent fällig.

Die Autoren kommen in ihrer Studie zu dem Schluss, dass bisher die Zahl der Menschen, die im Alter hinzuverdienen, aus diesem Grund gering sei. Die meisten Arbeitsverhältnisse seien dann auch sogenannte Minijobs, also nicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen, da diese Möglichkeit für viele Menschen oft die attraktivere Option darstelle. Martin Beznoska, einer der beiden Autoren der IW-Untersuchung, sieht im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten die Hauptursache des Problems in der Einführung der Rente mit 63. Diese habe eine erhebliche Lücke im Angebot an Fachkräften gerissen, die bis heute nicht geschlossen worden sei. Als einen möglichen Ausweg sieht der Wissenschaftler, zumindest die Option, einen Teil der Sozialbeiträge – insbesondere die Beiträge zur Arbeitslosen- und zur Rentenversicherung – zu streichen. Dies würde schon einmal die Abgabenlast erheblich mildern und könnte so Anreize für Rentner schaffen, über einen Minijob hinaus zu arbeiten, erklärt Beznoska. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ist ein den Arbeitgebern nahestehendes Forschungsinstitut. Getragen wird das Institut von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und dem Bundesverband der Deutschen Industrie. Das IW erarbeitet Analysen zu allgemeinen Fragen der Wirtschafts-, Gesellschafts- und Sozialpolitik.

Mittelstand für Streichung der Sozialabgaben

Mit dieser neuen Studie des IW sieht sich auch der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft bestätigt. Der Verband, der parteiunabhängig die Interessen der mittelständischen Wirtschaft in Deutschland vertritt und rund 27.000 Mitgliedsfirmen hat, glaubt, dass der Gesetzgeber mit seinen bisherigen Regelungen weit unter seinen Möglichkeiten bleibe, um den Mangel an Fachkräften zumindest deutlich abzumildern. Gegenüber den Deutschen Wirtschaftsnachrichten (DWN) erklärt ihr Geschäftsführer Markus Jerger, dass in den vergangenen Jahren der Arbeitsmarkt unzählige Beschäftigte durch Eintritt in die Rente verloren habe. „Schon jetzt“, so Jerger, „fehlen uns mehr als eine halbe Million qualifizierte Fachkräfte pro Jahr.“ Um diesen Trend umzukehren, müssten die finanziellen Anreize erhöht werden, damit Menschen bereit seien, zumindest in Teilzeit weiterzuarbeiten.

Mit Sorge sieht der Spitzenverband der mittelständischen Wirtschaft, dass mit dem massenhaften Eintritt in den vorgezogenen Ruhestand der Wirtschaft und insbesondere dem Mittelstand ein „enormes Potential“ an professionellem Fachwissen unwiederbringlich verlorengehe, wenn nicht jetzt entschieden dagegen gesteuert werde. Der Verband unterstützt deshalb mit Nachdruck nicht nur die Forderung nach einer ersatzlosen Streichung der Abgaben für die Renten und Arbeitslosenversicherung, sondern will sich auch für eine grundsätzlich geringere Versteuerung einsetzen. Verbandschef Jerger zu den DWN: „Angesichts des Fachkräftemangels und des enormen professionellen Knowhows dieser Arbeitnehmer, ist das Weiterarbeiten nach vorzeitigem Renteneintritt für die Gesellschaft wertvoller als zusätzliches Einkommenssteueraufkommen.“



 

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenz von HH2E: Rückschlag für Habecks Energiewende - Wasserstoffprojekte in Sachsen in Gefahr
22.11.2024

Der Wasserstoff-Spezialist HH2E hat Insolvenz angemeldet, die Finanzierung durch ein britisches Private-Equity-Unternehmen ist gestoppt....

DWN
Finanzen
Finanzen US-Aktien sind heiß gelaufen: Warum immer mehr Analysten den europäischen Aktienmarkt in den Blick nehmen
22.11.2024

Vermögensverwalter Flossbach von Storch sieht zunehmend Risiken für US-Aktien. Nach der jüngsten Rekordjagd an den US-Börsen verlieren...

DWN
Politik
Politik SPD-Kanzlerkandidat steht fest: Pistorius zieht zurück und ebnet Weg für Scholz
21.11.2024

Nach intensiven Diskussionen innerhalb der SPD hat Verteidigungsminister Boris Pistorius Olaf Scholz den Weg für die erneute...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit Rekordhoch kurz vor 100.000 Dollar - wie geht's weiter?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag hat die wichtigste Kryptowährung direkt nachgelegt. Seit dem Sieg von Donald...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
21.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Konjunkturflaute, Handelskonflikte, leere Büroimmobilien - Banken stehen vor akuten Herausforderungen
21.11.2024

Eigentlich stehen Deutschlands Finanzinstitute in Summe noch ganz gut da – so das Fazit der Bundesbank. Doch der Blick nach vorn ist...

DWN
Finanzen
Finanzen Von Dividenden leben? So erzielen Sie ein passives Einkommen an der Börse
21.11.2024

Dividenden-ETFs schütten jedes Jahr drei bis vier Prozent der angelegten Summe aus. Wäre das auch was für Ihre Anlagestrategie?...