Politik

Wegen Niger-Krise: Gas-Pipeline nach Europa bedroht

Lesezeit: 5 min
10.08.2023 16:58  Aktualisiert: 10.08.2023 16:58
Die Krise im Niger bedroht ein wichtiges Pipeline-Projekt, das Gas nach Europa bringen soll. Nach dem Ende anderer Pipelines ist dies ein weiterer Rückschlag für die europäische Versorgung.
Wegen Niger-Krise: Gas-Pipeline nach Europa bedroht
Eine Pipeline durch Nigeria, Niger und Algerien soll Europa mit Gas versorgen. (Foto: dpa)
Foto: Eni / Handout

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Die frühere Kolonialmacht Frankreich könnte durch die Krise im Niger den Zugriff auf die reichen Uranvorkommen des Landes verlieren. Dies wäre ein harter Schlag, auch wenn Frankreich auch Uran aus Kasachstan bezieht. Die Militärregierung, die vor zwei Wochen durch einen Putsch an die Macht kam, hat Berichten zufolge die Uran- und Goldexporte nach Frankreich gestoppt. Das französische Industriekonzern Orano, der auf dem Gebiet der Herstellung und des Verkaufs von Nukleartechnikanlagen und -brennstoff tätig ist und im Niger eine Uranmine betreibt, hat jedoch gemeldet, dass sein Betrieb nicht behindert oder gefährdet ist.

Auch wenn das Uran für Frankreich wichtig ist, für Niger ist das wichtigste Exportgut Gold. Im Jahr 2021 machte es 71,4 Prozent seiner Exporte aus. Laut einem Bericht von Reuters haben weder Niger noch Mali oder Burkina Faso die Uran- oder Gold-Exporte gestoppt. Bedroht ist auch die 5.600 Kilometer lange Trans-Sahara-Gaspipeline (TSGP) im Wert von 13 Milliarden Dollar, die 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Europa liefern soll. Sie soll von Nigerias Hafen Warri durch Niger zum Gasknotenpunkt Hassan R'Mel in Algerien verlaufen und dort an bestehende Pipelines nach Europa angeschlossen werden.

Die Pipeline ist ein gemeinsames Projekt von Algerien, Nigeria und Niger. Im Juli 2022 unterzeichneten die Länder eine Absichtserklärung für die Realisierung der Pipeline. Die Verzögerung des Projekts ist ein weiterer Schlag für Europa. Der Kontinent hat wegen eines Anschlags bereits die Gaslieferungen aus der Nord-Stream-Pipeline verloren und wegen Einwänden der USA auch aus der East Med-Pipeline. Die beiden Pipelines sollten 120 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr liefern. Derzeit sieht sich Europa gezwungen, teures Flüssigerdgas (LNG) aus den USA zu importieren.

Die drei an der Pipeline beteiligten Staaten haben zusätzliche Partner nicht ausgeschlossen, aber ein früherer algerischer Energieminister sagte: "Nur Partner, die etwas zu dem Projekt beitragen können, nicht nur Geld, sollten dabei sein." Natürlich könnte es für China einfacher sein, die Kapazitäten in Nigeria zu erweitern, wo es ein Großinvestor ist, aber Nigeria ist auch aufgrund der anhaltenden Aufstände im Nigerdelta instabil. Russland könnte eine Stimme oder einen Anteil am Geschehen bekommen, da sich die Militärregierung in Niger mit ihrer Bitte um eine Intervention der Wagner-Söldner auf die Seite Moskaus gestellt hat.

Andererseits kann Peking durch die Lieferung von Erdgas in den Norden von Afrika seine Beziehungen zu Marokko, Algerien und Libyen vertiefen. Letzteres hat sich bereit erklärt, seine nationalen Entwicklungspläne über den Fünfjahresplan bis 2026 für die umfassende strategische Zusammenarbeit zwischen China und der arabischen Welt mit Pekings Neuer Seidenstraße (englisch: Belt and Road Initiative) zu koordinieren, um Chinas langfristiges wirtschaftliches Engagement in Libyen zu würdigen.

China entwickelt derzeit den algerischen Zentralhafen El Hamdania, den größten und ersten Tiefseehafen Algeriens. China half auch bei der Fertigstellung der 750 Meilen langen Ost-West-Autobahn, die Algerien mit Marokko und Tunesien verbindet, und etwa 1.000 chinesische Unternehmen sind in Algerien tätig. Dies wurde dadurch erleichtert, dass die bisherige Vorschrift, wonach eine algerische Mehrheitsbeteiligung an allen neuen Unternehmen vorgeschrieben war, nur noch für strategische Sektoren gilt.

Wenn China das afrikanische Gas nicht abnimmt, sondern sich bereit erklärt, es nach Europa zu liefern, wird es seinen Einfluss dort ausbauen, so wie es die USA getan haben, indem sie nach dem Aus für die russischen Gas-Pipelines ihre LNG-Lieferungen erhöhten. Die Europäische Union strebt eine "langfristige strategische Partnerschaft" für Erdgas und Strom mit Algerien an. Zugleich versucht Frankreich, seine Beziehungen zu Algerien durch wirtschaftliche Zusammenarbeit zu verbessern, obwohl China inzwischen dessen größter Handelspartner ist.

Am 26. Juli war Nigers Präsident Mohamed Bazoum von seiner Präsidentengarde gestürzt worden und der Kommandant der Garde, General Abdourahmane Tchiani, wurde zum Präsidenten des Nationalen Rates für den Schutz des Vaterlandes ernannt. In der vergangenen Woche haben die ECOWAS-Militärs einen Plan zur Wiedereinsetzung von Präsident Bazoum ausgearbeitet. Der nigerianische Senat hat jedoch ein militärisches Eingreifen abgelehnt, und ohne Nigeria, das über das größte Militär in der Region verfügt, wird voraussichtlich nichts geschehen.

Letzte Woche besuchte der Vizechef der Militärregierung Mali und soll sich um die Hilfe der dort stationierten Wagner-Söldner bemüht haben. Tatsächlich sagte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin, seine Truppen könnten dem Niger helfen. Zudem hat die Militärregierung die Unterstützung der Nachbarländer Burkina Faso, Mali und Guinea. Algerien und Libyen hingegen verurteilten den Putsch. Allerdings reiste letzte Woche der Stabschef der algerischen Armee zu einem Treffen mit dem russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu nach Moskau, wo es sicherlich auch um den Niger ging.

Reuters berichtet am Donnerstag über die aktuelle Lage im Niger:

Ungeachtet einer harten Haltung der neuen Militärjunta im Niger setzt die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas vorrangig auf eine politische Lösung der Krise in dem Land. Es sei wichtig, der Diplomatie Priorität zu verleihen, sagte der nigerianische Präsident und Ecowas-Vorsitzende Bola Tinubu am Donnerstag zum Auftakt des Niger-Krisengipfels in Abuja. Bislang haben die 15 Ecowas-Staaten aber auch nicht ausgeschlossen, die verfassungsgemäße Ordnung im Niger mit einem Militäreinsatz wiederherzustellen.

Damit hat die Ecowas den Putschisten für den Fall gedroht, dass sie sich weigern, den in seiner Residenz festgehaltenen, demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum wieder ins Amt einzusetzen. Bislang zeigt die Junta in Niamey aber keine Bereitschaft zum Machtverzicht oder Einlenken. Im Gegenteil stellten die Putschisten, die Ende Juli die Kontrolle im Niger übernahmen, in der Nacht zum Donnerstag eine neue Regierung vor. Im staatlichen Fernsehen verlasen sie eine Namensliste mit 21 Personen, die Minister werden sollen.

Ecowas-Chef Tinubu signalisierte dennoch Gesprächsbereitschaft: "Wir müssen alle beteiligten Parteien einbeziehen, einschließlich die Putsch-Anführer, und sie in ernsthaften Gesprächen überzeugen, auf die Macht zu verzichten und Präsident Bazoum wieder einzusetzen", erklärte er in seiner Eröffnungsrede. "Es ist unsere Pflicht, alle Wege des Engagements auszuschöpfen, um schnell eine verfassungsgemäße Regierung im Niger zurückzubekommen." Der Putsch vom 26. Juli sei eine Gefahr für die Stabilität von ganz Westafrika, betonte Tinubu zudem.

Vor Beginn des Gipfels betonte ein Ecowas-Vertreter, dass eine Militärintervention nur letztes Mittel sein sollte. Mehrere internationale Bemühungen zur diplomatischen Lösung des Konflikts hatten in den vergangenen Tagen aber keinen Durchbruch ergeben. Ein Hoffnungsschimmer kam zwar am Mittwoch auf, als Anführer der Putschisten Gesandte des Ecowas-Vorsitzenden Tinubu empfingen. Doch die spätere Vorstellung der Regierung zeigt offenbar, dass die Junta daran festhält, ihre Agenda durchzusetzen.

Verlesen wurde die Liste der neuen Kabinettsmitglieder von Mahamane Roufai Laouali, der als Generalsekretär der Regierung vorgestellt wurde. Die künftige Regierung soll mit 21 Ministern etwa halb so groß wie die gestürzte sein. Schlüsselressorts wie das für Verteidigung und das für Inneres gehen an Anführer der Putschisten. Unterstützt wird die Junta im Niger von den Militärregierungen in Mali und Burkina Faso.

Die Ecowas hatte der Junta ursprünglich eine Woche Zeit gegeben, Präsident Bazoum zurück auf seinen Posten zu lassen und die verfassungsmäßige Ordnung wieder herzustellen. Die Putschisten ließen die gesetzte Frist jedoch in der Nacht zu Sonntag verstreichen, ohne darauf einzugehen. Stattdessen ordneten sie noch am Sonntag vorsorglich und bis auf weiteres eine Sperrung des Luftraums über dem Niger an. Internationale Flüge in dem Gebiet wurden daraufhin teils gestrichen oder umgeleitet.

Bazoum wird zusammen mit Familienangehörigen nach Angaben seiner Partei in der Präsidentenresidenz festgehalten. Dort gebe es weder Strom noch fließendes Wasser, hieß es. Seit Tagen seien keine frischen Lebensmittel geliefert worden. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, äußerte sich besorgt und forderte abermals Bazoums Freilassung und Wiedereinsetzung. Niger gilt als eines der letzten Länder in der Region, die der westlichen Welt freundlich gesinnt sind.

Sollte es zu einem militärischen Konflikt kommen, droht eine weitere Destabilisierung in West- und Zentralafrika, wo allein in den vergangenen drei Jahren nunmehr bereits sieben Putsche verübt wurden. Die von Hunger und Gewalt geplagte Sahel-Zone zählt zu den ärmsten Regionen der Welt. Tausende Menschen sind ums Leben gekommen, Millionen auf der Flucht, auch mit dem Ziel Europa. Speziell der Niger ist zudem wegen seiner führenden Rolle bei der Bekämpfung von Islamisten in der Region sowie seiner Uran- und Ölreserven sowohl sicherheitsstrategisch als auch wirtschaftlich relevant für Europa, die USA, China und Russland.


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