Unternehmen

Sekt ohne Folienkapsel - EU gibt Winzern und Kellereien mehr Freiheiten

Abschied von einem Qualitätsmerkmal: Neue EU-Vorschrift erlaubt Schaumweinflaschen ohne Folienkapsel um den Korken. Die Branche im Land der Weltmeister im Sekttrinken ist gespalten.
15.08.2023 10:01
Aktualisiert: 15.08.2023 10:01
Lesezeit: 3 min

Winzer Florian Lauer von der Saar ist überglücklich. Womit er juristisch bisher keinen Erfolg hatte, macht jetzt eine neue EU-Vorschrift möglich: Sekt darf ohne Folienkapsel am Flaschenhals verkauft werden. Viele große Sekthersteller sind skeptisch.

„Verbraucherinnen und Verbraucher können einen Schaumwein von außen sofort an der charakteristischen Schaumwein-Glasflasche und der Umkleidung des Flaschenhalses mit einer Folie erkennen“, stellt Oliver Hennes vom Verband Deutscher Sektkellereien fest. Dies könne sich mit der neuen EU-Vorschrift ändern. „Ein Vorteil ist die größere optische Vielfalt am Markt, da die Designmöglichkeiten der Aufmachung größer werden.“ Dem Verband, der für 95 Prozent der Sektherstellung in Deutschland stehe, sei es aber wichtig, „dass die traditionelle und als Qualitätsmerkmal von Verbraucherinnen und Verbrauchern gelernte Schaumweinausstattung“ eine Orientierungshilfe bleibe.

Denn verboten wird die Folie durch die neue EU Regelung keinesfalls. Die Verwendung der Folien solle weiterhin Schaumweinen, Qualitätsschaumweinen und aromatischen Schaumweinen als charakteristisches Merkmal vorbehalten bleiben, heißt es darin. Die neue Freiheit zu Verzicht und Neudesign gibt es zudem nur „sofern kein Sicherheitsrisiko durch unbeabsichtigtes Öffnen oder Manipulation der Haltevorrichtung für das Erzeugnis besteht“.

„Die Sektkapsel gehört seit jeher zum optischen Merkmal von Qualitätsschaumweinen“, sagt auch Angelina Demeuth von der Henkell&Co Sektkellerei in Wiesbaden. Der Beschluss der EU-Kommission biete nun zusätzliche Möglichkeiten in der Gestaltung des Designs.

Mehr Nachhaltigkeit, weniger Kosten

Volker Raumland vom gleichnamigen VDP-Sektgut in Flörsheim-Dalsheim nennt die Entscheidung „zeitgerecht“. Sie helfe, künftig flexibler reagieren zu können. „Die Verpflichtung eine Sektkapsel anzubringen, hat früher durchaus Sinn gemacht, um Schaumweine in traditioneller Flaschengärung von anderen Produkten unterscheiden zu können – zum Schutz des Schaumweines gegenüber günstigeren Perlweinen.“

In der Vergangenheit habe Raumland aber mitunter bis zu zwei Jahre auf seine Sektkapseln warten müssen, etwa aufgrund von Lieferengpässen bei den Materialien. „Einer der größten Kapsellieferanten hatte seinen Sitz in der Ukraine.“ Die Produktion sei dort nach dem Beginn des Angriffskrieg Russlands zum Stillstand gekommen. „All dies hatte zur Folge, dass wir mit dem Verkauf von einigen Sekten teilweise pausieren mussten beziehungsweise eine einfache neutrale Kapsel verwenden mussten.“

Agraffe schützt Korken vor Herausploppen

Sein Haus werde allein aus Nachhaltigkeitsgründen bei einigen Produkten wie seinen Sekten nach der sogenannten Méthode Ancestrale die Kapsel weglassen, kündigt Raumland an. Nun könne darüber nachgedacht werden, welche anderen Sekte künftig keine Kapsel mehr tragen. „Wichtig bleibt jedoch: der Verschluss der Sektflasche muss sicherstellen, dass es zu keiner „Gefahr“ bei der Lagerung oder Öffnung der Flasche kommt“, betont er. „Das richtige Anbringen der Agraffe - das Metallplättchen mit Metalldraht - stellt sicher, dass der Kork nicht ohne Weiteres herausploppen oder entweichen kann.“

Das Deutsche Weininstitut (DWI) begrüßt die EU-Regelung. Es sei sinnvoll, künftig aus betrieblichen Gründen, um Kosten zu sparen und Abfall zu vermeiden, auf die Verwendung von Kapselfolien für Sektflaschen verzichten zu können, wenn die Mitgliedsstaaten und Erzeuger dies so festlegten, sagt DWI-Sprecher Ernst Büscher.

Anne Schmidt von den Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien in Eltville betont: „Unabhängig von den EU-Vorschriften zur Schaumweinausstattung arbeiten wir laufend daran, die Ausstattung und Verpackung unserer Produkte, zu denen auch die Kapsel gehört, zu optimieren.“

Winzer scheiterte vor deutschen Gerichten

Lauer von der Saar ist „unheimlich froh über die Hilfe von politischer Seite aus der EU“ und einen Antrag aus Italien, „der Bewegung in die Sache gebracht hat“. Dabei sei es um die Frage gegangen, ob die Folie beim Export in Ländern außerhalb der EU weggelassen werden dürfe. In Deutschland hätten weder das Wirtschaftsministerium noch die Grünen sein Anliegen unterstützt, sagt Lauer enttäuscht. Vor dem Verwaltungsgericht Trier hatte er vor rund zwei Jahren - unterstützt von Gleichgesinnten - erfolglos versucht, den Verkauf von Sektflaschen ohne Folie durchzusetzen.

Nach der EU-Entscheidung fühlt er sich ein wenig wie David, der gegen Goliath gewonnen hat. Denn er selbst fülle nur rund 15.000 Flaschen Schaumwein pro Jahr ab, die fast 70 Winzer, die sein Anliegen unterstützten, zusammen schätzungsweise eine der einige Hundert Millionen Flaschen in Deutschland. „Der juristische Weg ist sehr lang und unheimlich teuer“, sagt Lauer. Die Revision vor dem Oberverwaltungsgericht Koblenz sei zwar zugelassen und er habe eigentlich bis zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gehen wollen - aber der Klageweg sei jetzt hoffentlich überflüssig.

„Warum sollten wir eine nicht-recyclebare Folie einsetzen?“, fragt Mosel-Winzer Stephan Steinmetz, der sich wie Lauer für Flaschen ohne Kapsel stark macht. Den Winzern gehe es aber nicht ausschließlich um Umweltschutz, sagt Lauer, sondern auch um die unnötigen Kosten für die Folien. Und um die Optik, die Präsentation des handwerklichen Produkts mit Naturkorken und attraktiv gestalteten Agraffen-Plättchen. Diese sähen ja ganz anders aus als mancher „furchterregender Plastikstopfen mit Bügelagraffe“. (dpa)

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Kommt die Wehrpflicht? Nur jeder dritte Deutsche würde heute Wehrdienst leisten
18.06.2025

Die Nato drängt: Um der Bedrohung durch Russland zu begegnen, hat die Nato ein großes Aufrüstungsprogramm beschlossen. Doch wie soll die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Raus ist raus: Russland droht westlichen Firmen mit Rückkehr-Verbot
18.06.2025

Westliche Konzerne wollten erst raus – und nun leise zurück nach Russland? Die Regierung macht dicht: Rückkaufrechte gestrichen,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Stellenabbau: Deutsche Industrie verliert in nur einem Jahr 100.000 Arbeitsplätze
18.06.2025

Die desaströse Wirtschaftspolitik der letzten Jahre führt in der Konsequenz zu immer mehr Stellenabbau in der deutschen Industrie. Vor...

DWN
Finanzen
Finanzen Silberpreis und Platinpreis explodieren – verdrängen diese Metalle bald das Gold als Krisenwährung?
18.06.2025

Der Silberpreis und der Platinpreis schießen in die Höhe – und Anleger wenden sich zunehmend vom teuren Gold ab. Droht dem einstigen...

DWN
Politik
Politik Diäten, Rente und Pflege - was sich im Juli ändert
18.06.2025

Gerade in der Urlaubszeit wäre mehr Geld auf dem Konto ein Traum: Für wen ab Juli mehr drin ist und welche Fristen Sie beachten sollten.

DWN
Politik
Politik Neuer BND-Chef wird Martin Jäger - bisher deutscher Botschafter der Ukraine
18.06.2025

Der deutsche Botschafter in der Ukraine, Martin Jäger, wird neuer Präsident des Bundesnachrichtendienstes. BND-Präsident Bruno Kahl...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Überstundenabbau: Ansammeln von Überstunden - Welche Rechte haben Arbeitgeber?
18.06.2025

Das Überstundenvolumen liegt in Deutschland, auch ohne steuerfreie Überstunden, auf einem hohen Niveau: 2024 wurden 1,2 Milliarden...

DWN
Politik
Politik Der Nahe Osten brennt – und Russland profitiert
18.06.2025

Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran könnte Russland in die Hände spielen – durch steigende Ölpreise, geopolitische Umbrüche und...