Die Aktienkurse der Tech-Giganten sind seit Jahresanfang enorm gestiegen. Das zeigt sich etwa bei den fünf nach Börsenwert größten Unternehmen der Welt, die allesamt IT-Konzerne aus den USA sind. Apple stieg um 33 Prozent, Microsoft um 31 Prozent, A-Aktien der Google-Mutter Alphabet um 36 Prozent, Amazon um 53 Prozent und der KI-Spezialist Nvidia sogar um 212 Prozent (zu Ende August).
Tech-Aktien machen einen relativ großen Anteil von kapitalisierungsgewichteten ETFs aus. Etwa beträgt er in „MSCI World“-ETFs derzeit 22,1 Prozent. Allein Apple (5,3 Prozent) und Microsoft (4,1 Prozent) stehen für fast ein Zehntel des Index. Zählt man die Aktien von Google, Nvidia und Amazon dazu, steigt der Anteil auf rund 15 Prozent.
Insgesamt haben die zehn größten Unternehmen ein Gewicht von 20,1 Prozent. Der USA-Anteil beträgt sogar 69,4 Prozent. Sollten sich bloß ein paar der IT-Unternehmen schlecht entwickeln, könnte das Anleger bereits empfindlich treffen.
Kritik am MSCI World
Der Honorar-Finanzanlagenberater Kevin Kronauer sieht den MSCI World denn auch kritisch. Zwar solle man die Geldanlage möglichst simpel halten und könne auch über einen einzigen ETF in Aktien investieren. „Ich würde allerdings dazu raten, Schwellenländer immer mit ins Portfolio zu nehmen und deshalb lieber einen ,FTSE All-World'- oder ,MSCI ACWI'-ETF zu wählen als einen reinen Industrieländer-ETF wie den MSCI World.“
Der Portfoliomanager Reinhard Panse vom Family Office Finvia rät ebenfalls zu einem geringeren USA-Anteil. US-Aktien seien derzeit „außerordentlich hoch“ bewertet. Der Unterschied in den Perspektiven der regionalen Aktienmärkte sei noch nie so groß gewesen.
„Die Bewertung gibt in den Modellen, die leider eine unangenehm hohe statistische Qualität seit Jahrzehnten haben, nur Erträge von rund einem Prozent pro Jahr für die nächsten zehn Jahre her“, erklärte Panse in einem Handelsblatt-Interview.
Der MSCI USA war Ende Juli deutlich höher bewertet als andere regionale Indizes. Etwa lag das Kurs-Gewinn-Verhältnis aller Unternehmen laut Indexinformationsblatt im Schnitt bei 24 und das Kurs-Buchwert-Verhältnis bei 4,5. Aktien aus Europa und den Schwellenländern waren aus dieser Perspektive deutlich günstiger: Etwa wies der MSCI Europe ein KGV von 15 und ein KBV von 2,0 auf. Beim MSCI Emerging Markets waren die Kennzahlen nochmals leicht geringer (KGV: 14, KBV: 1,7).
Forscher der Bankholding Rothschild sehen die Schwäche von kapitalisierungsgewichteten Indizes in einem Momentum Bias. In einem Bullenmarkt würde das Gewicht von den am besten laufenden Aktien am meisten steigen. Indizes wie der MSCI World verkauften nämlich Gewinner-Aktien nicht.
Dadurch könnten etwa bestimmte Sektoren oder Länder relativ hoch gewichtet sein, obwohl die Fundamentaldaten dies nicht rechtfertigten. „Da ein nach Marktkapitalisierung gewichteter Index Bewertungen, Gewinne und sogar Erträge ignoriert, gibt es keinen ,Gesundheitscheck' des Portfolios“, heißt es in einer Analyse.
Blasenrisiko bei MSCI World und Co.
Kapitalisierungsgewichtete Indizes würden daher von Aktienmarktblasen besonders getroffen. Etwa habe sich die IT-Gewichtung im S&P 500 in den Neunzigern dramatisch erhöht und erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 2000, bevor der Sektor um 80 Prozent einbrach. Von 1990 bis 2007 sei der Anteil von Finanzwerten von 7 auf 22 Prozent gestiegen, bevor der Sektor um 76 Prozent schrumpfte. Laut dem Handelsblatt machten japanische Aktien Ende der Achtziger sogar 40 Prozent des MSCI World aus, bevor der Aktienmarkt einbrach und sich jahrzehntelang nicht erholte.
Der Portfoliomanager Andreas Beck sieht bei US-Tech-Aktien gleichwohl keine Blase. Die Situation sei eine andere als in der Vergangenheit. Diese Unternehmen erzielten hohe Gewinne und seien Infrastruktur-Unternehmen des Internets, die quasi-Monopolcharakter hätten. „Das große Risiko ist die Regulierung“, erklärte der Münchner in einem Youtube-Interview. Sollten Staaten die Tech-Konzerne mehr an die Leine nehmen, könne das zu Kursverlusten führen.
Dennoch gibt es offenbar wenig Alternativen zur Gewichtung nach Börsenwert der Unternehmen. Kapitalisierungsgewichtete Indizes seien „schwer zu schlagen“ und daher besonders als Basis für ETFs geeignet, wie der Finanzwissenschaftler Craig Lazzara in einem Blogbeitrag erklärt. „Kapitalisierungsgewichtete Indexfonds sind relativ einfach (und günstig) zu verwalten“, führt er aus. „Sofern sich der zugrunde liegende Index nicht ändert, ist der Handel bei einem ordnungsgemäß aufgebauten, kapitalisierungsgewichteten Indexfonds nicht erforderlich.“ Andere Gewichtungsmethoden wie Gleichgewichtung oder Faktorstrategien verursachten mehr Transaktionskosten, weil mehr umgeschichtet werde.
Zudem erzielen die meisten Aktien laut einer Studie Verluste, wie Forscher aus den USA und China berichten. Diese untersuchten die Aktienrenditen von 61.000 Unternehmen weltweit zwischen 1990 und 2018.
Demnach erzielten 1,33 Prozent der Unternehmen etwa zwei Drittel der gesamten Kurszuwächse und 100 Prozent der Vermögenszuwächse. 6 Prozent der Kurszuwächse und 8 Prozent der Vermögenszuwächse waren alleine auf fünf Firmen zurückzuführen (Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet und Exxon Mobile).
Insgesamt hatten bloß 40,5 Prozent aller Aktien eine Rendite, die oberhalb der Rendite von einmonatigen US-Staatsanleihen lag. „Die Ergebnisse hier zeigen, dass der durch Investitionen am Aktienmarkt geschaffene Wohlstand größtenteils auf positive Ergebnisse bei relativ wenigen Aktien zurückzuführen ist“, schreiben die Forscher. Demzufolge kommt es also vor allem darauf an, die wenigen Gewinner-Aktien über lange Zeiträume zu halten, was für kapitalisierungsgewichtete Indizes spricht.
Europa, Schwellenländer oder Small Caps beimischen
Kevin Kronauer rät denn auch vom MSCI World ab und empfiehlt den MSCI ACWI oder den FTSE All-World als Basisanlage. Diese halten zusätzlich zu rund einem Zehntel Aktien aus Schwellenländern. Wer noch mehr diversifizieren wolle, könne einen dritten ETF mit Small Caps beimischen oder einen vierten Europa-ETF, erklärt Kronauer.
Reinhard Panse rät von einem einzigen Welt-ETF ab. Stattdessen könne man als ganz simple Lösung einen Europa-ETF beimischen, um das Gewicht der höher bewerteten US-Aktien zu verringern, erklärt er.
Am breitesten dürfte der MSCI ACWI IMI streuen. Der Index bildet 99 Prozent der globalen Aktienmarktkapitalisierung ab, also große, mittelgroße und kleine Firmen aus Industrie- und Schwellenländern.
In Deutschland ist ein ETF auf den Index zugelassen (ISIN: IE00B3YLTY66). Dieser weist eine TER von 0,17 Prozent auf, repliziert physisch und enthält knapp 2000 Aktien. Der Europa-Anteil beträgt dabei knapp 17 Prozent und Schwellenländer machen 11 Prozent aus. US-Aktien stehen allerdings weiterhin für 58,4 Prozent des ETF-Vermögens und IT-Aktien für 20,4 Prozent (China-Taiwan-Anteil: 4,9 Prozent, Apple und Microsoft: 7,4 Prozent).
Daneben gibt es ETFs auf den FTSE All-World, der die oberen 94 Prozent der weltweiten Aktienmarktkapitalisierung abbildet. Hier sind also weniger Small-Cap-Aktien enthalten als im MSCI ACWI IMI. In Deutschland sind zwei ETFs auf den Index zugelassen: Ein ETF von Vanguard (ISIN: IE00BK5BQT80) und ein ETF von Invesco, der etwas günstiger ist (TER von 0,15 Prozent zu 0,22 Prozent). Dafür hat der Invesco-ETF (ISIN: IE000716YHJ7) bloß ein sehr geringes Fondsvermögen (7 Mio. Euro) und kaum Track Record (Auflage am 26. Juni 2023).
Beide ETFs kaufen die Aktien, die im FTSE All-World gelistet sind (physische Replikation) und sind als Thesaurierer und Ausschütter verfügbar. Der Invesco-ETF enthält derzeit mit 1800 Aktien deutlich weniger Titel als der Vanguard-ETF (3700 Aktien). Der USA-Anteil liegt dabei laut Indexinformationsblatt bei 60,4 Prozent und Technologie-Werte machen 22,2 Prozent aus.