Die Mitglieder des Europaparlaments müssen ihre Aktivitäten künftig deutlich transparenter machen. Sie müssen ihre Treffen veröffentlichen, Interessenkonflikte benennen, mögliche Lobbyarbeit einstellen, Nebeneinkünfte und Geschenke melden und sich im Zweifel der Kontrolle eines Beratungsausschusses aussetzen.
Nach der Erschütterung durch den jüngsten Korruptionsskandal Katargate, hat sich das EU-Parlament am Mittwoch selbst strengere Regeln verordnet. Damit wollen die Parlamentarier das Vertrauen der Bürger in ihre Arbeit stärken und die Gefahr der Einflussnahme von Drittstaaten eindämmen. Die Reform war lange überfällig. Eine Einflussnahme auf das EU-Parlaments wurde nicht nur wie zuletzt von Katar und Marokko versucht. Auch China und Russland und die Vereinigten Arabischen Emirate stehen im Verdacht, über mehr oder weniger verdeckte Lobbyarbeit Entscheidungen zu ihren Gunsten zu manipulieren und Einfluss auf die europäische Demokratie zu nehmen.
Interessenkonflikte und Lobbyarbeit im Visier
Der Skandal um die griechische Abgeordnete und Stellvertretende Parlamentsvorsitzende Eva Kaili hatte das EU-Parlament in seinen Grundfesten erschüttert. Im größten Korruptionsskandal in der Geschichte des EU-Parlaments wirft die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten Korruption, Geldwäsche und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor. Nun gilt es, auch mit Blick auf die kommenden Europawahlen, Rückgrat zu zeigen. Um mögliche Schlupflöcher zu schließen, reagierte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola mit einem 14-Punkte-Plan zur Stärkung von Integrität, Unabhängigkeit und Rechenschaftspflicht. Der konstitutionelle Ausschuss des EU-Parlaments arbeitete dafür eine Änderung seiner Geschäftsordnung aus, über die nun abgestimmt wurde. Künftig gelten für die Parlamentarier folgende verschärfte Regeln.
- Das Verbot aller Aktivitäten der Abgeordneten, die als Lobbyarbeit gelten können
- Die Verpflichtung, Erklärungen zu Ideen oder Vorschlägen externer Akteure vorzulegen. Sie müssen allen Berichten und Stellungnahmen beigefügt werden.
- Strengere Sanktionen im Falle eines Verstoßes gegen den Verhaltenskodex für die EU-Abgeordneten.
- Alle Abgeordneten müssen künftig ihre Treffen mit Lobbygruppen sowie mit Vertretern von Drittländern veröffentlichen. Zuvor galt das nur für Parlamentarier in offiziellen Positionen.
- Strengere Regeln zur Bekämpfung des „Drehtüreffekts“, die es den Abgeordneten verbieten, Kontakt zu ehemaligen Abgeordneten aufzunehmen, die das Parlament in den letzten sechs Monaten verlassen haben und als Lobbyisten tätig wurden, zusätzlich zum Verbot solcher Aktivitäten für ehemalige Abgeordnete des Europäischen Parlaments in diesem Zeitraum.
- Eine erweiterte Definition von Interessenkonflikten, bessere Regeln für öffentliche Erklärungen und Entscheidungsbefugnisse für zuständige Gremien darüber, ob Abgeordnete mit einem Interessenkonflikt bestimmte Positionen besetzen können.
- Gesenkte Schwellenwerte für die Meldung bezahlter Aktivitäten.
- Vermögenserklärungen zu Beginn und am Ende jedes Mandats.
- strengere Regeln für die Annahme von Geschenken und die Abrechnung von Reise- und Aufenthaltskosten, die von Dritten, Abgeordneten und Vertretern des Parlaments, gezahlt werden.
- Der für das Verhalten der Abgeordneten zuständige Beratungsausschuss wird gestärkt und erweitert.
- Inoffizielle Abgeordnetengruppen und Freundesgruppen müssen bei ihren Tätigkeiten transparent machen, dass sie nicht im Namen des EU-Parlaments sprechen.
Das Regelwerk ist nur ein erster Schritt
„Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung“, sagte Berichterstatterin Gaby Bischoff (S&D/DE) im Plenum. „Man kann Korruption und kriminelle Energie nicht zu 100 Prozent verhindern, man kann sie aber erschweren und unser Handeln transparenter machen. Demokratie findet im Tageslicht statt und nicht in dunklen Ecken“, so Bischoff weiter, und forderte frei nach Goethe „mehr Licht“.
Wäre es nach dem Willen von Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken gegangen, hätte es strengere Regeln gegeben. Schon im Vorfeld der Entscheidung hatte Bischoff eine Blockade von konservativen und rechten Politikern beklagt, die von besserer Kontrolle nichts wissen wollten. Sie machen Konflikte mit der Freiheit des Mandats geltend und halten echte kriminelle Energie für schwer einhegbar. „Die Debatte zeigt unterschiedliche Ambitionslevel", konstatierte die Sozialdemokratin im Plenum. Für die einen sei ihr Vorschlag zu viel, für die anderen ginge er nicht weit genug. Es handele sich also um einen hart errungen Kompromiss, gegen heftige Widerstände aus den konservativen und rechtspopulistischen Lagern. „Transparenz ist die Voraussetzung für Demokratie“, so Bischoff.
Übergreifende Ethik-Kommission verhindert
Das Parlament wollte eigentlich noch weiter gehen und hatte eine starke, institutionsübergreifende Ethik-Kommission mit unabhängigen Experten gefordert. Das scheiterte jedoch am Widerstand der EU-Kommission. Im EU-Parlament wird nun der Beratende Ausschuss zum Verhalten von Mitgliedern gestärkt und mit mehr Kompetenzen ausgestattet. Drei externe Sachverständigte mit persönlicher Integrität und Erfahrung auf dem Gebiet von Standesregeln ergänzen künftig die fünf EU-Abgeordneten in dem Gremium. Der Ausschuss darf zudem die Einhaltung des Verhaltenskodex durch die Abgeordneten proaktiv überwachen. Da er vertraulich arbeitet, gibt es hier auch Raum für mögliche Whistleblower, oder Abgeordnete, die ausloten wollen, inwieweit sie von einem Interessenkonflikt betroffen sind.
Die Änderungen der wurden am Mittwoch im Plenum mit 505 Ja-Stimmen, 93 Nein-Stimmen und 52 Enthaltungen angenommen.
Sie treten am 1. November 2023 in Kraft, es sei denn, die Änderungen ermächtigen das Präsidium und die Quästoren, Durchführungsmaßnahmen zu erlassen, die sofort gelten. Interessenbekundungen, die vor diesen Änderungen eingereicht wurden, behalten ihre Gültigkeit bis zum Jahresende.