Bereits im Dezember 2022 sorgten Schlagzeilen des EU-Korruptionsskandals für Aufsehen. Doch trotz diverser Festnahmen und Reformen zur Korruptionsprävention hat sich das Problem weiter verschärft. So erregte die Hausdurchsuchung bei der belgischen EU-Abgeordneten Maria Arena für Aufsehen. Sind die jüngsten Ereignisse reine Muskelspiele oder eine wirksame Bekämpfung der Korruption, die die geopolitische Unabhängigkeit der EU gefährden könnte?
EU-Politiker gehorchten Katar und Marokko
Ende vergangenen Jahres wurde die Vizepräsidentin des EU-Parlaments und fünf Verdächtige festgenommen. Eva Kaili wurde attestiert, sich der Bildung einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption schuldig gemacht zu haben. So wurden sie und andere Politiker ihrer Ämter enthoben, Kaili und ihr Lebensgefährte Francesco Giorgi kamen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Korruptionsskandals war, dass Kaili, Antonio Panzeri und weitere Abgeordnete und Beamte der EU sich von Regierungen der Länder Katar, Marokko und Mauretanien beeinflusst wurden. Für Geld, so die Annahme, hätten die Abgeordneten und Beamten Zugeständnisse an die Länder gemacht.
Dazu gehöre im Rahmen des als „Katar-Gate“ benannten Skandals die Vergabe von Mitteln an Marokko, die Förderung eines Freihandelsabkommens und ein Fischereiabkommen zugunsten des nordafrikanischen Landes. Auch im Falle des Westsahara-Status sollen die EU-Politiker Zugeständnisse an Marokkos Regierung gemacht haben. Die schon lange geplante Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar sei ebenfalls auf bezahlte Lobbyarbeit der Parlamentarier zurückzuführen. Im Gegenzug hätte etwa Pier Antonio Panzeri, Kaili, Marc Tarabella aus Belgien und Andrea Cozzolino große Mengen an Bestechungsgeldern erhalten.
Dimension von Katar-Gate womöglich deutlich größer
Doch die medienwirksame Verhaftung bis dahin weitgehend unbekannter EU-Politiker bedeutete nicht das Ende von Katar-Gate. So wurde kürzlich das Haus der belgischen EU-Abgeordneten Maria Arena durchsucht. Der belgische Geheimdienst warf ihr vor, eine von Katar bezahlte Dienstreise zu spät offengelegt zu haben. Doch nicht nur das: Auch soll die belgische Sozialistin Gelder für politische Gefallen erhalten haben, heißt es in einem Resümee des belgischen Geheimdienstes. Arena soll darüber hinaus eine Schlüsselrolle in dem Korruptionsring spielen, durch den sie „prächtige Geschenke von Katar erhalten“ habe, für die sie im Gegenzug politische Vorstöße im Sinne des Golfstaats in die EU getragen habe. Zudem sei Arena mit Panzeri vertraut, der ihr laut dem belgischen Geheimdienst mit Ratschlägen zur Seite stand. Sie habe eng mit ihm für die Interessen Katars zusammengearbeitet haben. Arena, die im Unterausschuss für Menschenrechte (DROI) arbeitete, soll direkte Anweisungen aus Katar erhalten haben, welche politische Vorschläge sie in ihrem Amt unterstützen soll.
Die Untersuchungen zu Katar-Gate erlitten kürzlich einen Rückschlag, da der anklagende Richter Michel Claise von der Strafverfolgung zurücktreten musste. Ein Bericht hatte offengelegt, dass Claises Sohn Nicolas mit Udo Lemaire, dem Sohn Arenas, ein Geschäft zum Vertrieb von CBD-Produkten gegründet habe. Im Rahmen dieses Interessenkonflikts sei eine objektive Untersuchung nicht mehr möglich. Nicht nur Arenas, auch die Häuser von vier weiteren engen Vertrauten seien von der belgischen Polizei untersucht worden, hieß es weiter. Wie groß die Dimension der Korruptionsaffäre jedoch sind, lässt sich kaum bestimmen. Auf Nachfragen verweigern beinahe alle Angeklagten den Kommentar. Die Haftstrafen der mutmaßlich korrupten EU-Politiker sind ohnehin bald verbüßt, Eva Kaili plant ein Comeback in das EU-Parlament und sieht in der Affäre eine Verschwörung gegen ihre Person. Auch Arena gibt sich sicher, es würde schon bald offengelegt werden, dass sie mit der ganzen Sache nichts zu tun habe. Kaili vermutet sogar, dass Arena eine besondere Immunität genießt und sie keinen Schaden nehmen wird. Dramatisch wird die Affäre sich höchstens auf die S&D-Fraktion auswirken, die „Sozialisten und Demokraten“ sind bei der Korruptionsaffäre im besonderen Ausmaß beteiligt.
EU-Politik im Sinne der Golfstaaten?
Die EU-Institutionen sind uneins darüber, ob ihre Strukturreformen zur Korruptionsbekämpfung ausreichend sind, um Vorfälle wie Katar-Gate in Zukunft zu verhindern. Ob überhaupt die Schaffung eines Ethik-Gremiums oder Überwachung der EU-Strukturen ausreicht, um die Korruption in der EU zu beenden, sei dahingestellt. Die medienwirksame Festnahme einiger EU-Abgeordneter und Beamter täuscht nämlich nicht über evidente Einflussnahmen des Nahen und Mittleren Ostens auf die EU hinweg. So wurden die Gaslieferungen aus Katar in die Bundesrepublik trotz einer klimaschädlichen Vorkettenlast von etwa 18 Gramm, zusätzlich zu den ohnehin vorliegenden 56 Gramm CO₂-Äquivalent pro Megajoule Energie auf 15 Jahre festgelegt. Von 2026 bis 2041 sollen jährlich zwei Tonnen Gas in die Bundesrepublik fließen, was weder einen nennenswerten Bedarf decken wird, noch zu einer Verbesserung der deutschen Klimabilanz führen wird. Mit der Förderung eigenen Schiefergases oder der Schaffung von Deals mit sauberen Lieferanten wie Norwegen wären Deutschland und die EU hingegen moralisch und auch ökologisch auf der sicheren Seite. Doch insbesondere die Bundesrepublik droht, Europa in neue Abhängigkeiten von dubiosen Staaten zu ziehen. Welche Gründe letztendlich dafür ausschlaggebend sind, kann nur vermutet werden.