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EU-Politik: Italiens Verteidigungsminister will Zusammenarbeit von EVP und EKR stärken

Lesezeit: 5 min
19.07.2023 14:14  Aktualisiert: 19.07.2023 14:14
Die alten Brandmauern zwischen Konservativen und Rechtsnationalen beginnen zu bröckeln. Italiens Verteidigungsminister Crosetto will Europas EVP und EKR zur Zusammenarbeit motivieren. Rückt damit auch eine Zusammenarbeit von AfD und CDU auf Bundesebene näher?
EU-Politik: Italiens Verteidigungsminister will Zusammenarbeit von EVP und EKR stärken
Mark Rutte (l), Ministerpräsident der Niederlande, besucht zusammen mit Ursula von der Leyen (2.v.l), Präsidentin der Europäischen Kommission, und Giorgia Meloni (r), Ministerpräsidentin von Italien, Kais Saied, Präsident von Tunesien. (Foto: dpa)
Foto: Freek Van Den Bergh

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Dieser Tage könnte man meinen, Europas Rechte befänden sich im Zerfall. Umso überraschender ist es, dass Italiens Verteidigungsminister Guido Crosetto die Zusammenarbeit der Europäischen Volksparte (EVP) und der Partei Europäische Konservative und Reformer (EKR) forcieren möchte.Ist ein solches Bündnis möglich und könnte es auch die Zusammenarbeit von AfD und CDU ermöglichen?

Europas rechte Parteien: ein Flickenteppich

Europas Rechte ist grundsätzlich heterogen. Während es grünen und linken Verbänden einfacher fällt, universelle Ziele wie den Klimaschutz zu formulieren und sich auf diese zu einigen, müssen rechte Parteien stets nationale, europäische und ideologische Ziele gegeneinander abwägen. Und so wetterte Marine Le Pen gegen Giorgia Meloni , weil diese gegenüber Brüssel Zugeständnisse in Migrationsfragen gemacht habe.

Die Beziehungen zwischen Polens PiS und Ungarns FIDESZ sind seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine historisch schlecht. Und auch kleinere rechte Parteien Europas weisen heute mehr Unterschiede auf als noch vor dem Ukrainekrieg. Der Ton verschärft sich, gemäßigte Parteien wie die CDU in Deutschland koalieren derzeit lieber mit progressiven und liberalen Kräften, während in anderen Ländern wie Italien und Frankreich die politische Mitte erodiert und sich ein Grabenkampf zwischen Rechten und Linken abzeichnet.

Umso überraschender war es, als Italiens Verteidigungsminister Guido Crosetto im Interview mit der WELT offen über die Pläne einer Vereinigung von EKR und EVP sprach: „Das Bündnis, von dem Ursula von der Leyen gewählt wurde, war eine technische Mehrheit, keine politische“ , so der Minister. Diese Zwittermehrheit aus eigentlich unversöhnlichen Positionen sei blutleer und müsse daher überwunden werden. Nur durch eine konservative Zusammenarbeit könne die Entkopplung vom Volk rückgängig gemacht werden. Andernfalls drohten soziale Konflikte.

Das Projekt Crosettos, das von Giorgia Meloni, der Vorsitzenden der EKR und auch von Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der EVP, begrüßt wird, sieht allerdings eine Verbindung der EKR und der EVP vor, aber keine Zusammenarbeit mit der ID-Fraktion, der auch die italienische Lega angehört.

Die beiden Fraktionen sitzen im Europäischen Parlament nebeneinander. Während die EVP mit 177 von insgesamt 705 Sitzen die größte Kraft des Parlaments darstellt, sind Linke (37 Sitze), Sozialisten (143 Sitze), Grüne (72 Sitze) und Liberale (101 Sitze) ebenfalls stark aufgestellt. Rechts von der EVP sitzen die EKR und die ID, die mit 66 beziehungsweise 62 Sitzen das Mehrheitsgefüge wesentlich beeinflussen können, sofern es gelingt, die Liberalen der Renew Partei ebenfalls zu konservativen Positionen zu bewegen.

Doch gerade die Liberalen stimmten in vielen Entscheidungen für eher progressivere Entscheidungen wie das Verbrenner-Aus und den Green Deal. Eine verstärkte Zusammenarbeit der Konservativen wäre deshalb aus Sicht der EVP sinnvoll, aber ist sie auch realistisch?

Die informelle Koalition Europas und der Green Deal

Das Europaparlament bildet keine Fraktionen und Oppositionen. Im Gegensatz zur nationalen Regierungsarbeit entscheiden hier informelle Beschlüsse und Richtlinien. Dabei müssen sich die Parteifamilien auf EU-Ebene verabreden, um für Mehrheiten zu sorgen, etwa bei der Wahl des Kommissionspräsidenten. Doch während zwischen 2014 und 2019 eine informelle Form der großen Koalition zwischen der EVP und der S&D (Sozialisten und Sozialdemokraten) geherrscht hat, sind die Randparteien heute erstarkt.

Kürzlich und mit einer knappen Mehrheit stimmte das EU-Parlament für das Renaturierungsgesetz, das von Konservativen abgelehnt wurde. Wie auch beim Verbrennerverbot setzte sich eine Mehrheit aus Sozialisten, Grünen, Linken und Liberalen gegen die EVP durch.

Es scheint, dass die EVP das konservative Profil der EU aufgrund dieser Widerstände stärken möchte. Mithilfe der Liberalen (Renew) Partei und Stimmen von der Lega (ID), der PIS (EKR) und der FIDESZ (fraktionslos) konnte sie die Von-der-Leyen-Koalition errichten, doch so gut wie alle diese Stimmen würden wohl nicht mehr an von der Leyen gehen, denn die Vorschläge der Kommission werden in diesen Kreisen heute oftmals abgelehnt.

Die EVP schlägt sich aber nicht auf die Seite der linken Parteien, um die Arbeit von der Leyens zu unterstützen, sondern stärkt eine Zusammenarbeit mit der EKR. Diese Neuausrichtung lässt sich derzeit gut beobachten: Die EU hat mit der tunesischen Regierung einen Pakt gegen irreguläre Migration geschlossen, der unter Parteien links von der EVP auf Ablehnung stößt.

Eine konservative Revolution in Europa und Deutschland?

Ein Zusammenschluss der beiden Fraktionen ist nicht geplant, doch könnte eine verstärkte Zusammenarbeit die Entscheidungsfindung im Parlament deutlich erleichtern. Derzeit gleichen sich viele Positionen der EVP und der EKR einander an, so etwa Forderungen nach weniger Verboten in der Landwirtschaft, einer Neuverhandlung des Green Deals oder der Begrenzung irregulärer Migration. „Es ist eine revolutionäre Idee, die das gesamte politische System der EU zu einer positiven Entwicklung zwingen würde“, so Crosetto.

Aber funktioniert so eine Verschmelzung überhaupt ohne Konzessionen? Die EKR scheint derzeit ungewohnt sanfte Töne zu schlagen. Meloni, die im Wahlkampf noch mit brüsselkritischen und einwanderungsskeptischen Inhalten provozierte, hat den Kurs ihres Landes tatsächlich liberaler gestaltet, als viele Beobachter vermuteten. Auch ein befürchteter Rechtsruck durch Spaniens Vorsitz in der EU-Ratspräsidentschaft blieb derweil aus. Polens konservative PIS-Partei bleibt migrationskritisch, bekennt sich aber klar zum Westen.

Die Brandmauer nach rechts in EU und Deutschland

Italiens Ministerpräsidentin und Vorsitzende der Brüder Italiens, einer postfaschistischen und von außen als rechtsextrem deklarierte Partei, hat es geschafft, sich durch punktuelle Konzessionen an den großen Partner Manfred Weber anzugleichen und somit in große Entscheidungsprozesse eingebunden zu werden. Das schaffte sie aber nur, weil sie sich an die drei informellen Kriterien hielt, die Manfred Weber als entscheidend für eine Kooperation sieht: das Bekenntnis zur Ukraine, zur EU und zum Rechtsstaat.

Eine „Postfaschistin“ im TeamEurope — Giorgia Meloni hat es geschafft, ihre Partei in der EU salonfähig zu machen.

Die Brandmauer, die es in Deutschland der CDU und FDP faktisch verbietet, mit der AfD zu arbeiten, gilt auch im Parlament Europas. Die ID (Identität und Demokratie), welcher der Rassemblement National, die AfD, die Lega, Österreichs FPÖ und weitere Parteien angehören, wird von den Mitte-Parteien geächtet und nach Möglichkeit nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden, obgleich sie beinahe zehn Prozent der Sitze des Parlaments besetzt.

Ein Argument für die Exklusion dieser teilweise mehrheitsfähigen Volksparteien liegt in ihrer Russlandnähe. Noch gelten Bekenntnisse zum Westen etwa des RN oder der Lega Partei nicht als ausreichend, um in das politische Tagesgeschäft wiederaufgenommen zu werden. Manfred Webers EVP hat große Schritte geleistet, um die Arbeit des EU-Parlaments konservativer zu gestalten. Um in diesen konservativen Block aufgenommen zu werden, müssten die ID-Parteien ihrerseits Konzessionen machen.

Auf Bundesebene bleibt es fraglich, ob sich die AfD mit ihrer traditionellen Russlandnähe von innen heraus verändern wird und das überhaupt möchte. Tut sie das nicht, wird sie weiter von wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen werden, sowohl bundesweit als auch auf EU-Ebene. Auf beharrliches Nachfragen gesteht auch Crosetto, dass er sich keine Zusammenarbeit mit der AfD und dem RN vorstellen kann, durchaus aber mit der Lega Partei, die ebenfalls in der ID-Fraktion vertreten ist.

***

Virgil Zólyom, Jahrgang 1992, lebt in Meißen und arbeitet dort als freier Autor. Sein besonderes Interesse gilt geopolitischen Entwicklungen in Europa und Russland. Aber auch alltagsnahe Themen wie Existenzgründung, Sport und Weinbau fließen in seine Arbeit ein.


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