Italien will in den kommenden Jahren seine Gaslieferungen in den Norden ausbauen und dann neben Österreich auch Bayern versorgen. Mithilfe der neu entstehenden Röhre "Adriatic Line" von dem zentralitalienischen L'Aquila nach Bologna könnten Österreich, Bayern und auch Ungarn versorgt werden, sagte Italiens Energieminister Gilberto Pichetto Fratin der Nachrichtenagentur Reuters. Die Pipeline soll bis 2027 für 2,5 Milliarden Euro unter der Ägide des italienischen Fernleitungsnetzbetreibers Snam gebaut werden, um Gas und später auch Wasserstoff aus Nordafrika in den industrialisierten Norden zu bringen.
Erste Gespräche mit der bayerischen Landesregierung gibt es bereits, wie mehrere Beteiligte der Nachrichtenagentur Reuters sagten. Der staatlich kontrollierte Energieversorger ENI fördert seit Jahrzehnten Gas in Nordafrika und ist Italiens größter Gas-Importeur. Nach dem Ende der russischen Lieferungen für große Teile Europas will die rechtsgerichtete Regierung von Giorgia Meloni Italien zum Energie-Drehkreuz von Afrika nach Europa machen. Dazu soll die Energie-Infrastruktur ausgebaut werden, auch mit neuen LNG-Terminals. Mit Hilfe der "Adriatic Line" können ENI und andere Versorger leichter und mehr in Afrika gefördertes Gas über die Alpen transportieren. Von 2030 an soll auch Wasserstoff von Afrika durch ein Pipeline-Netz nach Nordeuropa fließen.
"Deutschland organisiert LNG-Terminals und andere Lösungen im Norden, aber man kann Verzögerungen oder eine Blockade der Infrastruktur nie ausschließen. Deshalb wollen die südlichen Bundesländer einen 'Plan B', um sicherzugehen", sagte Markus Kerber. Der ehemalige Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI und frühere Staatssekretär im Bundesinnenministerium unter Horst Seehofer (CSU) fungiert heute als strategischer Berater der CDU.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte auf dem Höhepunkt der Gas-Krise im vergangenen Jahr Gas-Pipelines über die Alpen ins Gespräch gebracht. Für Süddeutschland wäre eine Belieferung über Mittelmeerhäfen Italiens und Kroatiens günstiger als über die Nord- und Ostsee: "Wir brauchen dringend auch Süd-Leitungen", sagte Söder damals.
BAYERNS INDUSTRIE BRAUCHT VIEL GAS
Die bayerische Industrie ist stark vom Gas abhängig - etwa Wacker Chemie, deren Produktion in Burghausen allein acht Prozent des bayerischen Stromverbrauchs verschlingt, vor allem für die Herstellung von Silizium für Computerchips. Rund die Hälfte des Strombedarfs deckt Wacker mit einem eigenen Gaskraftwerk.
Das bayerische Wirtschaftsministerium erklärte auf Anfrage von Reuters: "Eine Diversifizierung der Gaslieferquellen und -wege ist wichtig für die Versorgungssicherheit und hilft dabei, neue Abhängigkeiten zu vermeiden." Daher ergreife man "alle Möglichkeiten, um ausreichend Gas und Wasserstoff nach Bayern zu schaffen – aus allen Himmelsrichtungen, auch aus dem Süden". Das gelte auch für die Wasserstoffversorgung. Über den geplanten "H2-Südkorridor" solle perspektivisch Wasserstoff aus Nordafrika über Italien und Österreich nach Bayern fließen. Die bayerische Landesregierung stehe dazu "im engen Austausch mit den Nachbarländern" und unterstütze die Fernleitungsbetreiber. Eine Entscheidung der EU über europäische Wasserstoff-Infrastrukturprojekte, die auch für Bayern hohe Relevanz hätten, werde im November erwartet.
Italien, vormals selbst stark von russischen Lieferungen abhängig, exportiert inzwischen Überschüsse in Richtung Norden, vor allem nach Österreich. 2022 wurden 67 Milliarden Kubikmeter (cbm) im Land selbst verbraucht, 4,2 Milliarden cbm wurden weitergereicht. Der Wiener Ölkonzern OMV erklärte, er habe sich zusätzliche Gastransport-Kapazitäten für die nächsten Jahre gesichert. Gespräche über Gas aus Afrika gebe es aber nicht. Die ungarische Regierung äußerte sich nicht zu Gesprächen mit Italien über Gaslieferungen. (Reuters)