Als nachhaltig beworbene Finanzprodukte haben massiven Zulauf. Während das Volumen aller Fonds und Mandate zum Jahresende 2022 um 16 Prozent sank, wuchs der Markt für nachhaltige Geldanlagen um 12 Prozent, wie aus dem Marktbericht Nachhaltige Geldanlagen 2023 hervorgeht.
Insgesamt lag der Marktanteil von nachhaltigen Publikumsfonds, Mandaten und Spezialfonds bei 12,5 Prozent (578 Mrd. Euro). Als nachhaltig gelten dabei Finanzprodukte, die unter Artikel 8 oder 9 der EU-Offenlegungsverordnung fallen und Einlagen bei Nachhaltigkeitsbanken.
Anlageberater müssen sich seit August 2022 sogar erkundigen, ob Kunden soziale Aspekte, Umweltschutz oder Prinzipien guter Unternehmensführung wichtig sind (kurz ESG, also Environment, Social and Governance). Die EU hat entsprechende Vorschriften erlassen.
Nutzen von ESG-Produkten ist umstritten
Experten sind sich indes uneins, ob ESG-Produkte die sozialen und ökologischen Probleme lösen helfen, etwa in puncto Umweltverschmutzung oder Kinderarbeit. Der Finanzprofessor Hartmut Walz hält kapitalmarktbasierte Nachhaltigkeitsprodukte für wirkungslos. „Akzeptieren Sie, dass nachhaltiges Anlegen auf den globalen Kapitalmärkten unter den jetzigen Rahmenbedingungen wahrscheinlich nichts bewirkt“, rät er Verbrauchern in einem Beitrag auf der Internetseite des Bundes der Versicherten.
Laut Falko Paetzold gleichen ESG-Anlagen einem Placebo. Der Professor an der EBS-Universität in Oestrich-Winkel hat im Jahr 2021 eine Studie zur Wirkung von ESG-Investments veröffentlicht. „Die Produkte geben den Käufern ein gutes Gefühl und beruhigen ihr Gewissen. Doch ein großer Teil davon schafft es nicht, eine messbare Veränderung herbeizuführen“, sagte Paetzold der NZZ.
Der Finanzprofessor Christian Rieck bescheinigt nachhaltigen Fonds und ETFs hingegen eine positive Wirkung. „Ein einzelner privater Investor ist fast immer so klein, dass er keinen messbaren Einfluss hat“, erklärt der Frankfurter auf DWN-Anfrage. „In der Summe tragen die Privatanleger aber deutlich bei.“
Laut Hartmut Walz schaffen es ESG-Produkte nicht, die Finanzierungskosten von nachhaltigen Unternehmen zu senken und/oder von gewöhnlichen Unternehmen zu erhöhen. Das sei aber nötig, damit ESG eine Wirkung entfalte.
Sobald ESG-Investoren die Finanzierungskosten von nachhaltigen Unternehmen minimal unter die von gewöhnlichen Unternehmen drückten, setze eine Gegenbewegung ein. Andere Investoren, denen Nachhaltigkeitsaspekte egal seien, würden die Renditeunterschiede abschöpfen. „Ihr Investitionsverhalten kann nur dort eine Wirkung entfalten, wo Ihre Aktivität etwas bewirkt, was ansonsten nicht entstanden wäre“, erklärt Walz daher.
ESG-Experte Falko Paetzold bemängelt vor allem fehlende Standards. „Viele Fonds begnügen sich damit, aus besonders umstrittenen Branchen wie Waffen oder Tabak auszusteigen.“ Laut dem Analysten Daniel Welter weichen ESG-Ratings stark voneinander ab, wie aus dem NZZ-Artikel weiter hervorgeht. Etwa bekomme der Pharmakonzern Roche eine Topnote von S&P, während er bei Morningstar im hinteren Drittel lande.
Sündeninvestments rentierten am höchsten
Historisch gesehen rentierten Aktien von Unternehmen, deren Geschäft als moralisch fragwürdig gilt, mit am höchsten. Laut Forschern der London Business School war die Tabakindustrie zwischen 1900 und 2015 die Branche mit der besten Performance an den US-Börsen (14,6 Prozent pro Jahr). In Großbritannien lagen die Alkoholhersteller vorne.
Das Flossbach von Storch Research Institute berichtet von einer Studie des Yale-Finanzprofessors Frank Fabozzi, wonach Sündenaktien zwischen 1970 und 2007 um 19 Prozent pro Jahr stiegen. Das sei mehr als doppelt so viel wie die allgemeine Marktentwicklung gewesen (7,9 Prozent).
Fabozzi führte die Outperformance in einer früheren Studie auf gesellschaftliche Ächtung und staatliche Regulierungen zurück. Diese erlaubten es den Sünden-Firmen, Monopolrenditen zu erzielen. In einer Studie aus dem Jahr 2017 kommt der US-Professor hingegen zum Schluss, Qualitätsmerkmale der Firmen in puncto Profitabilität und Investition würden die Überrenditen erklären, wie Flossbach von Storch in einer Analyse berichtet.
Hartmut Walz von der Hochschule Ludwigshafen rät daher von nachhaltigen Kapitalmarktanlagen ab. Denn die ESG-Produkte seien unnötig teuer. „Mit dem Versprechen von Nachhaltigkeit lassen sich höhere Kosten bei Anlage- und Vorsorgeprodukten durchsetzen.“
ESG-Produkte könnten sogar schädlich sein. „Dies ist dann der Fall, wenn Menschen ihr Gewissen mit bequemen und verzichtfreien pseudonachhaltigen Anlage- und Vorsorgeprodukten entlasten und dafür eben nicht weniger konsumieren oder ressourcenschonenden Konsumverzicht üben.“ Besser sei ein Investment in einen passiven, möglichst breit streuenden ETF, etwa auf die Indizes FTSE All-World oder MSCI ACWI IMI.
Einen Nutzen für die Umwelt stifte eine Investition bloß, wenn sie etwas bewirke, was ansonsten nicht entstanden wäre – etwa den Bau einer Zisterne oder eines Windkraftrades. Solche kapitalmarktfernen Investitionen stellten aber möglicherweise ein Klumpenrisiko dar. „Prüfen Sie, ob Sie dieses gut verkraften können“, rät Walz.
Der Publizist Max Deml sah gegenüber DWN nachhaltige Fonds, ETFs und börsengelistete Aktien kritisch. Wer etwas für die Umwelt tun wolle und Rendite dabei keine große Rolle spiele, solle außerhalb des etablierten Kapitalmarkts in ein bestimmtes Projekt investieren. „In der Regel hat man keinen Finanzierungs- oder Hebeleffekt – im Gegensatz zum Beispiel zu neuen Anteilen an Wind- oder Solarparkbetreibern sowie außerbörslichen Aktien“, erklärte der Experte für nachhaltige Geldanlage.
Ein Anleger, der zum Beispiel 10.000 Euro in eine Solarparkbetreiber-KG investiere, ermögliche eine um ein Vielfaches höhere Investition in weitere Solarmodule. Denn das Unternehmen könne dank des zusätzlichen Eigenkapitals einen höheren Kredit bei einer Bank aufnehmen. Außerdem fließe das Geld direkt an das Unternehmen und nicht an die Vorbesitzer der Aktien.