Keine andere Währung hat bei Swift-Transaktionen so sehr an Akzeptanz verloren wie der Euro. Das geht aus Swift-Daten für den Juli 2023 hervor. Demnach stand das Volumen der Zahlungen, an denen der Euro beteiligt war, für 24 Prozent des Gesamtvolumens aller Zahlungen, die von Swift erfasst wurden.
Vor zwei Jahren waren es hingegen 38 Prozent gewesen und im Juni 2023 lag der Anteil immer noch bei 31 Prozent. Besonders groß war der Akzeptanzverlust außerhalb der Eurozone: Hier betrug das Minus 26 Prozentpunkte zwischen Juli 2021 und Juli 2023 (von 40 auf 14 Prozent).
Gleichzeitig konnte der US-Dollar seine Vormachtstellung ausbauen: 46 Prozent des über Swift gemeldeten Transaktionsvolumens wurde in US-Dollar abgerechnet. Vor zwei Jahren waren es noch 39 Prozent gewesen.
Folge der Sanktionen und wirtschaftlichen Schwäche Europas
Der Ökonom Thorsten Polleit sieht den Rückgang gegenüber DWN als „gewaltig“ an. „Es drängt sich ganz zu Recht der Eindruck auf, die gesunkene Rolle des Euro im internationalen Zahlungsverkehr geht Hand in Hand mit der verminderten Rolle des Euroraums im internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem“, erklärt der Honorarprofessor der Universität Bayreuth.
Die Swift-Daten seien „eine entlarvende Statistik für die Einheitswährung – zumal der Euro ja ein Gegengewicht zum US-Dollar sein sollte, so versprach man den Menschen noch vor und kurz nach seiner Einführung“. Dieses Versprechen habe sich als falsch herausgestellt.
Der Leipziger Währungsexperte Gunther Schnabl hält den Rückgang vor allem für eine Sanktionsfolge. „Zwar dürften Ölgeschäfte mit Russland schon bisher über die Spotmärkte weitgehend auf Dollarbasis gelaufen sein, doch waren meines Wissens viele langfristige Verträge zu Gaslieferungen in Euro denominiert“, schreibt er an DWN.
Zudem dürfte Russland schon seit längerem aufgrund der Rivalität mit den USA internationale Geschäfte lieber in Euro statt US-Dollar abgewickelt haben. Daher dürften beträchtliche in Euro denominierte Zahlungsströme mit den Sanktionen zusammengebrochen sein. „Dies deutet darauf hin, dass der Ukraine-Krieg nicht nur Europa wirtschaftlich geschwächt hat, sondern auch die internationale Rolle des Euros geschädigt hat“, erklärt Schnabl.
Die EZB-Präsidentin Christine Lagarde erklärte erst im Juni im Zuge der Veröffentlichung eines Berichts zur internationalen Rolle des Euro, die Währung habe sich im Jahr 2022 als „resilient“ erwiesen. Der Euro habe seine Anteile am internationalen Handel über verschiedene Indikatoren bei etwa 20 Prozent halten können.
Laut dem Bericht ist ein Index der EZB, der die Rolle des Euro im internationalen Handel anhand verschiedener Anhaltspunkte misst, wechselkursbereinigt um 1,3 Prozentpunkte gestiegen. Auch der Anteil des Euro an den globalen Währungsreserven der Zentralbanken sei im Jahr 2022 in etwa konstant geblieben (20,5 Prozent).
Andere Indikatoren seien ebenfalls stabil geblieben. Der Bericht verweist etwa auf den Anteil des Euro am Gesamtvolumen von internationalen Schuldverschreibungen (ein Plus von mehr als einem Prozentpunkt zum Jahr 2021), den Anteil am ausstehenden Volumen von internationalen Krediten (+2,4 Prozentpunkte) und Einlagen (+1,5 Prozentpunkte) und den Anteil an internationalen Devisengeschäften (+3 Prozentpunkte).
Droht eine Ent-Euroisierung?
Ursache der Diskrepanz zwischen den Zahlen der EZB und der Swift könnte der Betrachtungszeitraum sein. Während die Swift-Daten auch die Monate bis einschließlich Juli 2023 berücksichtigen, umfassen die Zahlen der EZB bloß das Jahr 2022. Das Wachstum von 3 Prozentpunkten bei internationalen Devisengeschäften bezieht sich sogar auf April 2022. Womöglich erfassen die EZB-Zahlen nicht alle negativen Folgen der Sanktionen oder der wirtschaftlichen Entwicklung des Euroraums.
Thorsten Polleit findet die Interpretation naheliegend, dass der Euro-Rückgang der Beginn einer Ent-Euroisierung sein könnte, also einem Akzeptanzverlust des Euro als internationale Handelswährung und Reserve der Zentralbanken.
„Die Hochinflation, für die die Europäische Zentralbank gesorgt hat, verbunden mit dem wirtschaftlichen Niedergang vieler Euro-Volkswirtschaften, machen den Euro auch als Anlagewährung unattraktiver“, erklärt der Ökonom. Vor allem nicht-westliche Länder würden die westlichen Währungen für ihre Reserveposition zusehends skeptisch sehen.
Eine Ent-Euroisierung könnte den Euro unter Abwertungsdruck bringen. Er könnte also gegenüber anderen Währungen an Wert verlieren. Das könnte die Inflation im Euroraum erhöhen, weil importierte Güter teurer würden. Außerdem könnte die Nachfrage nach Euro-Staatsanleihen sinken, wodurch Euro-Länder höhere Zinsen für neue Schulden bezahlen müssten und die öffentlichen Finanzen unter zusätzlichen Druck geraten könnten.
Laut Gunther Schnabl ist der US-Dollar seit dem Zweiten Weltkrieg eine globale Leitwährung. Er habe aber diesen Status in Europa nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems an die D-Mark verloren. Der Leitwährungsstatus der D-Mark sei später an den Euro übergegangen. „Der Euro hat deshalb immer noch eine erhebliche Bedeutung bei den von den Zentralbanken gehaltenen Devisenreserven, die aus Risikoerwägungen in der Regel bis zu einem gewissen Grad diversifiziert werden.“
Euro ist in Europa und angrenzenden Ländern verbreitet
Laut Schnabl dürfte der Euro bei internationalen Zahlungen vor allem innerhalb von Europa und an Europa angrenzenden Ländern wie der Türkei, Marokko und Russland eine signifikante Bedeutung haben, weil enge Wirtschaftsbeziehungen bestünden. „Ostasien einschließlich China ist hingegen dollarisiert, so dass der Handel mit dieser Region überwiegend in Dollar abgewickelt wird“, erklärt er.
Der Wirtschaftsstandort Europa steht im Zuge des Ukraine-Kriegs aufgrund relativ hoher Energiepreise und fehlender Versorgungssicherheit unter einem enormen Druck. Etwa ergab eine Umfrage der DIHK im Juni und Juli unter 1200 deutschen Industrie-Unternehmen, dass 32 Prozent eine Produktionsverlagerung ins Ausland planen oder realisieren beziehungsweise die Produktion im Inland einschränken wollen. Im Jahr 2021 waren es noch 16 Prozent gewesen.
Die ausländischen Investitionen in Deutschland brachen im vergangenen Jahr regelrecht ein: Während ausländische Firmen 10,5 Milliarden Euro investierten, zogen sie über 135 Milliarden Euro ab. Das ergab eine Studie des IW Köln. Umgerechnet entsprach der Unterschied zwischen Zu- und Abflüssen 132 Milliarden US-Dollar. In den neun Jahren von 2013 bis 2021 hatten die Nettoabflüsse im Schnitt bei 56 Milliarden US-Dollar pro Jahr gelegen.
Swift ist eine belgische Genossenschaft, die Informationen über Finanztransaktionen übermittelt. Weltweit sind über 11.500 Banken in mehr als 200 Ländern und Regionen beteiligt. Swift befindet sich im Besitz der beteiligten Banken und Finanzinstitutionen und unterliegt der Überwachung der EZB und der Zentralbanken der G10-Staaten.
Swift übermittelt dabei bloß Zahlungsinformationen in standardisierter Form und ist an der Verrechnung und Abwicklung nicht beteiligt, wie die Bundesbank auf ihrer Internetseite erklärt. „Die eigentliche Verbuchung erfolgt über Zahlungsverkehrssysteme oder Korrespondenzkonten, die die beteiligten Finanzinstitute füreinander führen.“
Die russischen Banken wurden im Zuge der Sanktionen vom Swift-System ausgeschlossen, heißt es auf der Internetseite der Bundesregierung. Außerdem unterliege die russische Zentralbank weitreichenden Beschränkungen für den Zugriff auf ihre Devisenreserven in der EU. „Über 70 Prozent des russischen Bankenmarktes und wichtige staatliche Unternehmen sind – auch im Verteidigungsbereich – von den wichtigsten Kapitalmärkten abgeschnitten.“