Überschattet von dem Hamas-Überfall auf Israel und den Landtagswahlen in Bayern und Hessen wollen Deutschland und Frankreich ab Montag ihre Beziehungen auf eine neue Ebene stellen. Erstmals kommen in Hamburg dazu die Kabinette beider Regierungen zu einer zweitägigen Kabinettsklausur zusammen. Ausdrücklich geht es dabei nicht um konkrete Vereinbarungen, sondern einen gemeinsamen Gedankenaustausch. „Denn wenn beide Länder nicht wissen, wohin sie eigentlich wollen, kann der deutsch-französische Motor auch nicht effektiv laufen“, heißt es in deutschen Regierungskreisen.
Dass Bundeskanzler Olaf Scholz Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dazu nach Hamburg eingeladen hat, wo er lange Bürgermeister war, soll mithelfen, ein Manko in den Beziehungen zu beseitigen – nämlich die fehlende persönliche Note. Anders als den Kabinetten von Kanzlerin Angela Merkel fehlen der Ampel-Regierung nämlich klar frankophile Kabinettsmitglieder wie Wolfgang Schäuble oder Peter Altmaier – auch wenn etwa die Außen- und Wirtschaftsministerien betonen, wie gut Annalena Baerbock oder Robert Habeck mit ihren französischen Pendants auskommen. Aber in Paris wird eifersüchtig darauf geachtet, ob das seit der Einheit größere Deutschland Frankreich weiter als privilegierten Partner ansieht. Doch der russische Angriff auf die Ukraine hat den transatlantischen Blick in Berlin gestärkt, weil nur die USA als Schutzmacht angesehen werden.
Dazu kommen schwierige innenpolitische Ausgangslagen. Macron verfügt in der Nationalversammlung nicht über eine Mehrheit. „Und für Frankreich ist diese Drei-Parteien-Koalition in Berlin schwierig“, sagt Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag, zu Reuters. Entscheidungen in Berlin sind langwierig und der Grünen-Politiker wirft dem Kanzleramt zudem eine schlechte Koordinierung vor.
Deshalb soll in Hamburg nun strategisch über Europas Stellung in der Welt, Wettbewerbsfähigkeit, aber auch Herausforderungen wie Künstliche Intelligenz beraten werden. Und die Hoffnung von Scholz und Macron ist, dass sich die Ministerinnen und Minister untereinander besser kennenlernen, um einen kurzen Draht zueinander zu entwickeln.
Denn in den kommenden Wochen stehen auf EU-Ebene wichtige Entscheidungen an. Bei Migration sind beide Länder zwar weitgehend auf einer Linie, aber nicht in der Energiepolitik. Die Ampel-Regierung hat immer noch nicht entschieden, ob sie einen Industriestrompreis einführen will. Aber sie ist entschlossen, dass der Wettbewerbsvorteil, den Frankreich mit seinem Industriestrompreis hat, nicht über 2025 fortgeschrieben oder sogar noch ausgeweitet wird. Die Regierung in Paris argumentiert, dass die abgeschriebenen französischen Atommeiler nun einmal sehr billigen Strom liefern könnten. „Ich habe es unsere deutschen Freunden und Partnern gesagt: Die Atomenergie ist die absolute rote Linie für Frankreich“, warnt Wirtschaftsminister Bruno Le Maire.
Militärprojekte sorgen für Spannung
Dazu kommen die Probleme bei den gemeinsamen Militärprojekten eines Luftkampfsystems FCA und eines neuen Kampfpanzers. Jeweilige andere industriepolitische Interessen verhindern eine schnelle Entwicklung, Deutschland bestellte zum Ärger Macrons amerikanische F35-Kampfjets. Bei den Bemühungen um eine Stabilisierung der Lage in der Sahelzone fühlt sich Frankreich alleingelassen, während der französischen Politik in Berlin eine Mitschuld für den schlechten Ruf des Landes in der afrikanischen Region gegeben wird. Angesprochen werden dürfte in Hamburg auch der sich wandelnde Blick aufeinander. Galt Deutschland in der französischen Debatte lange Zeit vielen als Vorbild, so hat sich dies mit der Rezession in Deutschland geändert. Immer wieder äußern auch französische Regierungsvertreter Zweifel an einem Erfolg der deutschen Energiewende. Macron hatte nach dem Abgang von Merkel zudem gehofft, dass er die „Nummer eins“ in Europa werden könnte – obwohl er letztlich in seiner zweiten Amtszeit ein politisches „Auslaufmodell“ ist. „Der Unterschied zur Ära Merkel ist, ... dass sowohl Nicolas Sarkozy als auch Francois Hollande die deutsche Führung und die deutsche Dominanz im europäischen Kontext akzeptiert haben, während Macron das nicht tut“, sagt Jacob Ross, Europa-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zu Reuters mit Verweis auf die beiden französischen Ex-Präsidenten. Aber während Merkel Macron das Feld blumiger Europa-Reden überlassen hatte, pocht Scholz darauf, mit seinen Reden zur EU selbst den Weg der Europäischen Union vorzugeben.
In beiden Regierungen wird die Bedeutung der Differenzen aber immer wieder heruntergespielt. „Denn es gehört nun einmal zu dem bilateralen Verhältnis, Differenzen zu überwinden – das ist nun mal der Kern der EU“, sagt ein französisches Kabinettsmitglied. In der Bundesregierung wird darauf verwiesen, dass Scholz und Macron doch gerade strategische Vorstellungen teilten, wohin sich Europa entwickeln müsse.
„Trotzdem muss die deutsch-französische Freundschaft immer wieder neu erarbeitet werden“, heißt es zur Begründung für die im internationalen Vergleich einzigartige gemeinsame Klausurtagung. Deshalb kam in Frankreich auch nicht gut an, dass just vor der Kabinetts-Klausur bekanntwurde, dass das Goethe-Institut einige Niederlassungen in Frankreich schließt – um neue in anderen Teilen der Welt eröffnen zu können. (dpa)