Weltwirtschaft

Saudi-Arabien wandelt sich und will neue Rohstoffquellen erschließen

Lesezeit: 5 min
13.10.2023 15:04  Aktualisiert: 13.10.2023 15:04
Mit seinem „Vision 2030“ genannten Programm arbeitet Saudi-Arabien an der gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Transformation. Auch der bislang durch die Erdölproduktion dominierte Energiesektor wandelt sich, schon in Kürze soll der Wüstenstaat zur Drehscheibe für die Energiewende benötigten Metalle heranwachsen.
Saudi-Arabien wandelt sich und will neue Rohstoffquellen erschließen
Mit seinem „Vision 2030“ genannten Programm entwickelt Saudi-Arabien wirtschaftliche Konzepte, um auch in veränderter globaler Landschaft prosperieren zu können. (Foto: dpa)

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Seitdem das amerikanische Ölunternehmen Standard Oil of California (Socal) im Jahre 1938 den ersten Tropfen Erdöl aus dem Boden des zwischen Rotem Meer und Persischem Golf gelegenen Wüstenstaates gefördert hatte, wuchs Saudi-Arabien in atemberaubendem Tempo zu bedeutender wirtschaftlicher Größe heran. Der stetig zunehmende Energiehunger der Welt bescherte der bis dahin bettelarmen Monarchie sowohl bemerkenswerten Wohlstand als auch politisches Gewicht – als seit jeher unangefochtene Führungsmacht des OPEC+-Erdölkartells ist es vor allem Saudi-Arabien, welches dessen Politik bestimmt und maßgeblich auf die Weltmarktpreise einwirkt.

Zwar sinkt die Abhängigkeit von saudischem Öl seit einiger Zeit, was vor allem dem Aufstieg der USA als Produzent geschuldet ist, nichtsdestotrotz profitiert das Königshaus immer noch vor allem von seinem Reichtum am „schwarzen Gold“. Saudi Aramco, die heute größte Erdölfördergesellschaft der Welt, geht auf Socal zurück und absolvierte 2019 seinen Börsengang, der dem Unternehmen schlagartig mehr als 23 Milliarden Euro in die Kassen spülte. Der saudische Staat profitiert seither enorm von dieser Gelddruckmaschine, an der das Königshaus rund 98,2 % der Anteile hält. Mit einem Börsenwert von umgerechnet mehr als 2 Billionen Euro ist Saudi Aramco zurzeit einer der wertvollsten Konzerne der Welt. Im Jahr 2022 erzielte Saudi Aramco mit knapp 152 Milliarden Euro einen Rekordgewinn und überwies dem saudischen Staat fast die Hälfte davon an Dividende.

Saudi-Arabiens „Vision 2030“

Zwar widersetzen sich die gigantischen saudischen Ölfelder hartnäckig der Peak-Oil-Theorie und zeigen keinerlei nennenswerte Erschöpfungsanzeichen, dennoch erkennt auch das Königreich den weltweit fortschreitenden Wandel hin zu einer Welt, die möglichst umfänglich ohne fossile Energieträger auskommen soll. Mit seinem „Vision 2030“ genannten Programm bereitet sich Saudi-Arabien auf diese Zeit vor und entwickelt wirtschaftliche wie gesellschaftliche Konzepte, in der das Land auch in einer derart veränderten globalen Landschaft prosperieren kann. Kronprinz Mohammed bin Salman setzt dabei auf Tourismus, erneuerbare Energien, grünen Wasserstoff und eine eigene Autoproduktion, elektrisch, versteht sich.

Als ehrgeizigstes Bauprojekt steht die bereits im Bau befindliche 170 Kilometer lange, 200 Meter breite und 500 Meter hohe Stadt „The Line“ sinnbildlich für den Ehrgeiz hinter den Wandlungsbemühungen. Neun Millionen Menschen sollen dort ihr zu Hause finden, ohne Autos, vollkommen CO2-frei, mit Stadien, Schwimmbädern, Schulen, Kinos und dergleichen mehr, dazu ausgestattet mit einer Art Schnellbahnsystem, welchen jeden Punkt der Stadt in 20 Minuten erreichbar machen soll. Auf gesellschaftlicher Ebene soll unter anderem ein eigenes Arbeits- und Steuerrecht etabliert werden, wohl auch, um das Land für private Investoren attraktiver zu machen. Zwar ist das Säckel des saudischen Staatsfonds, seines Zeichens einer der größten der Welt, mit schätzungsweise 700 Milliarden. Euro prall gefüllt, allein die Kosten für „The Line“ übersteigen dieses Vermögen jedoch bei weitem.

Für den Fall, dass sich der all überall gepredigte Nachfrageeinbruch nach fossilen Energieträgern tatsächlich einstellen sollte, hat das Königreich eine neue Einnahmequelle ausgemacht: Metalle. Laut Saudi-Arabien lagern die für die angestrebte Elektrifizierung der Welt so wichtigen Bodenschätze, wie Kupfer und Zink im Gegenwert von mehr als 1,2 Billionen Euro im saudischen Wüstenboden. Und diese sollen nun erschlossen werden. Sollte dies tatsächlich gelingen, hätte dies Auswirkungen weit über den Nahen Osten hinaus. Damit würde nicht nur die bestehenden Verhältnisse im Metallbergbau durcheinandergewirbelt werden, sondern auch die Beziehungen Saudi-Arabiens zu den USA, China und den BRICS-Staaten, denen sich das Königreich gerade annähert.

Metalle sind das neue Öl

Derzeit ist die saudische Metallproduktion noch winzig, Testprojekte holen dort pro Jahr etwa so viel Erz aus dem Boden, wie etablierte Minen in beispielsweise Südamerika in weniger als einem Tag. Aber der Kronprinz ist ambitioniert und verfügt über Geld, Geld welches aktuell zum einen in die Exploration auf eigenem Grund fließt, mit dem aber auch, als zweites Standbein, Ressourcen aus anderen Ländern aufgekauft werden, um diese dann in neuen Anlagen innerhalb des Königreichs zu veredeln und zu verarbeiten. So sicherte sich Saudi-Arabien erst im Juli einen Anteil von 10 % an der Basismetalleinheit der brasilianischen Vale SA, einem der wichtigsten Nickel- und Kupferlieferanten. Mehr als 3 Milliarden Dollar stehen ab sofort pro Jahr bereit, um mittels solcher Beteiligungsgeschäfte die Rolle in der heimischen Produktion zu verstärken und gleichzeitig Zugang zu globalen Ressourcen zu erhalten.

Saudi-Arabien arbeitet im Rahmen eines 207-Millionen-Dollar-Vertrags mit dem chinesischen Geologischen Dienst zusammen, um bei der Identifizierung von Mineralien im so genannten Arabischen Schild, wo sich die meisten Vorkommen befinden, zu helfen. Darüber hinaus gibt es den Plan, an der Westküste Saudi-Arabiens die größte Zink- und Kupferverarbeitungsanlage im Nahen Osten zu errichten. Das Hauptaugenmerk dieser Raffinerie wird auf der Inlandsnachfrage liegen, aber es gibt auch bereits Angebote von chinesischen und europäischen Handelshäusern, die sämtliche Rohstoffe abnehmen wollen, die die Anlage produzieren kann.

Barrick Gold, das größte Goldbergbauunternehmen der Welt mit darüber hinaus umfassender Silber- und Kupferförderung, ist bereits umfänglich eingestiegen und betreibt eine Kupfermine an der südwestlichen Küste Saudi-Arabiens in der Nähe des Roten Meeres. Für ausländische Unternehmen ist das saudische Vorhaben äußerst reizvoll, denn die Regierung bietet große Anreize für Unternehmen, die mit dem Bergbau beginnen wollen. So bietet der saudische Industrieentwicklungsfonds Finanzierungen für bis zu 75 % eines Projekts an, es gibt eine fünfjährige Frist für die Zahlung von Lizenzgebühren, eine Obergrenze für die Besteuerung und die Zusage, keine Sondersteuern zu erheben. Alle staatlichen Einnahmen aus dem Bergbau fließen zudem in einen speziellen Fonds, der in die Industrie reinvestiert wird.

Gemäß dem Projekt „Vision 2030“ wird der Metallbergbau zur dritten Säule der saudischen Wirtschaft, neben der Öl- und Gasindustrie. Den Zielen zufolge würde die Branche bis 2030 mehr als 250.000 Menschen beschäftigen und rund 75 Milliarden US-Dollar zum saudischen Bruttoinlandsprodukt beitragen.

Auch geopolitisch von Bedeutung

Kronprinz Mohammed bin Salman will das Königreich zu einer Drehscheibe für Rohstoffe machen, was die Energiewendemetallgroßabnehmer der westlichen Hemisphäre begrüßen dürften. Das übergeordnete Ziel Saudi-Arabiens besteht darin, sich als alternativer Lieferant von Metallen und Mineralien, die für die globale Energiewende von entscheidender Bedeutung sind, vor allem gegenüber China zu positionieren. Auch eine Metallveredelungs- und -verarbeitungsindustrie könnte das Interesse internationaler Partner wecken, die den Wettbewerb mit dem ostasiatischen Land verstärken wollen, welches derzeit die Mineralienverarbeitung und die Batterieherstellung dominiert.

Über die wirtschaftlichen Gesichtspunkte hinaus kommt allerdings ein weiterer, sicherheitsrelevanter Faktor ins Spiel: zwar liegt das Hauptaugenmerk Saudi-Arabiens auf Kupfer, der Kronprinz möchte aber auch Uran und Phosphate für sein aufkeimendes Atomprogramm abbauen. Dieses Vorhaben hat bereits die Aufmerksamkeit der westlichen Mächte und der Vereinten Nationen auf sich gezogen, die sich vor der Verbreitung von Atomwaffen im Nahen Osten fürchten. Saudi-Arabien beteuert selbstverständlich fortwährend, dass sein Atomprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dienen soll, doch Prinz Mohammed erklärt ebenfalls, das Königreich würde eine Bombe entwickeln, wenn andere Großmächte im Nahen Osten - gemeint war der Iran - dies ebenfalls täten.

Wie realistisch ist der saudische Plan?

Möglicherweise sind die weitreichenden Pläne des saudischen Kronprinzen in dieser Hinsicht doch ein wenig zu visionär. Zumindest haben bereits einige der weltweit größten Bergbauunternehmen unter Verweis auf die geologischen Gegebenheiten des Landes Zweifel angemeldet. So wurden die Uranreserven des Landes als „höchst unwirtschaftlich“ bezeichnet. Die Kupfervorkommen - das begehrteste Metall für die meisten Bergbauunternehmen - sind hauptsächlich durch vulkanische Aktivitäten entstanden, was bedeutet, dass sie wahrscheinlich nur in kleinen bis mittelgroßen Gebieten zu finden sein werden. Das macht sie für den Abbau weniger attraktiv als die Vorkommen, die sich über die Anden in Lateinamerika erstrecken und den Großteil der weltweiten Vorräte liefern.

Diese Gebiete, wie auch die Sedimentgesteinsformationen in Regionen Zentralafrikas oder der weitgehend unerschlossene Kupfersaum, der durch den Iran und Pakistan verläuft - gelten als viel aussichtsreicher für die großen, langlebigen Minen, die viele der globalen Unternehmen erschließen wollen. Hinzu kommt das Problem des Wassers. Bergbau benötigt enorme Wassermengen, und dies ist in Saudi-Arabien, das zu etwa 95 % aus Wüste besteht, Mangelware.

Dennoch, Mark Bristow, der CEO von Barrick Gold, äußerte sich kürzlich in einem Interview sehr positiv über die saudischen Erzpläne. Den durch das Königshaus ausgegebenen Wert der Bodenschätze von mehr als 1,2 Milliarden Euro wollte er zwar nicht bestätigen, bezeichnete das Land aber zumindest als „außergewöhnlich aussichtsreich“ bezüglich des vorhandenen Förderpotenzials und nannte es „eine Investition wert“. Bristow ist in der Branche für seine Risikoaffinität bekannt – und dafür, dass sich diese Risiken in aller Regel auszahlen. Von Barrick Gold einmal abgesehen, haben die saudischen Auktionen für Explorationslizenzen im Land jedoch bisher nur kleinere Unternehmen angezogen. Im August kündigte das Königreich eine weitere Ausschreibungsrunde für Investitionen an, sowie die Erschließung von acht weiteren Bergbaugebieten im ganzen Land.

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 

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