Die Politikerin Sahra Wagenknecht verlässt die Linke und gründet ihre eigene Partei. „Wir haben uns zur Gründung einer neuen Partei entschieden, weil wir überzeugt sind, so wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen“, sagte Wagenknecht am Montag in Berlin. „Denn sonst werden wir unser Land in zehn Jahren wahrscheinlich nicht wiedererkennen.“ Deutschland drohe ein Wohlstandsverlust. Das Land müsse weg von einem blinden Öko-Kurs, der Mindestlohn müsse deutlich angehoben werden.
Die neue Wagenknecht-Partei soll Anfang 2024 gegründet werden und zur Europawahl im Juni 2024 antreten. Bis zur Gründung wollen Wagenknecht und ihre Mitstreiter mit Mandat weiter in der Linken-Bundestagsfraktion bleiben, wie sie deutlich machten. Wagenknecht begründete das auch mit Rücksicht auf Beschäftigte in der Fraktion und einem „geordneten Übergang“. Spätestens ab Januar werde die Linken-Bundestagsfraktion aber nicht mehr bestehen können, fügte die 54-Jährige hinzu.
Die Linken-Fraktion hat nur 38 Abgeordnete. Wenn mehr als zwei von ihnen austreten oder ausgeschlossen werden, verliert sie den Fraktionsstatus und kann nur noch als Gruppe weitermachen. Die Linken-Spitze hat Wagenknecht und ihre Unterstützer hingegen zur Abgabe der Mandate aufgefordert.
Wagenknecht hatte bereits seit Monaten Erwägungen zur Gründung der Partei angestellt. Vor einigen Wochen hatten ihre Unterstützer den Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit“ registrieren lassen. Dieser soll die Parteigründung nun vorbereiten und Spenden einsammeln. Vorsitzende ist die bisherige Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohamed Ali. Geschäftsführer ist der frühere Geschäftsführer der Linken in NRW, Lukas Schön, Schatzmeister der Millionär Ralph Suikat.
Der Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht - Für Vernunft und Gerechtigkeit“ sei gegründet worden, „um eine neue Partei vorzubereiten“, hieß es in einer schriftlichen Erklärung. In Deutschland werde seit Jahren „an den Wünschen der Mehrheit vorbei regiert“. Statt Leistung zu belohnen, werde von den Fleißigen zu den oberen Zehntausend umverteilt. Lobbywünsche würden bedient und öffentliche Kassen geleert. Beklagt wird ein „autoritärer Politikstil“. Industrie und Mittelstand stünden auf dem Spiel.
„Viele Menschen haben das Vertrauen in den Staat verloren und fühlen sich durch keine der vorhandenen Parteien mehr vertreten“, heißt es in der Erklärung weiter. Wagenknecht kritisierte erneut scharf die Ampel-Koalition, die Deutschland schlecht regiere.
Der Bundestagsabgeordnete Christian Leye sagte, Wagenknecht und ihre Unterstützer hätten sich zu der Parteigründung entschlossen, weil „uns politisch keine andere Wahl bleibt“. Er sprach von einer undurchdachten Politik, schlechten Schulen und maroden Brücken. „Das Land wurde kaputtgespart, inzwischen bröckelt nicht nur die Fassade“, sagte Leye.
Viele Menschen mit geringem Einkommen fühlten sich nicht mehr vertreten. Für sie wolle die neue Partei „den Rücken gerade machen“. Viele gingen gar nicht mehr zur Wahl. „Wir haben ein Demokratieproblem“, sagte Leye. Die neue Partei strebe einen langsamen Aufbau an und wolle sich langfristig etablieren.
Einer Insa-Umfrage für „Bild am Sonntag“ zufolge könnten sich 27 Prozent der Befragten in Deutschland vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Wahlumfragen sind aber generell mit Unsicherheiten behaftet. Die Linke-Parteispitze will gegen die Wagenknecht-Mitstreiter vorgehen. Gegen die Beteiligten des Vereins BSW sollen Parteiausschlussverfahren eingeleitet werden.
Wagenknecht hat zusammen den Bundestagsabgeordneten Amira Mohamed Ali und Christian Leye sowie dem Unternehmer Ralph Suikat und dem ehemaligen Geschäftsführer der Linken in Nordrhein-Westfalen, Lukas Schön, einen Verein ins Leben gerufen, um eine Parteigründung vorzubereiten. Experten trauen ihr zu, einen größeren Teil an Nicht- und Protestwählern auf sich zu vereinen. Für die Linke könnte dies der Todesstoß sein.
Die bisherige Co-Fraktionschefin der Linken, Amira Mohamed Ali, sagte, die Gruppe sei bereits aus der Linkspartei ausgetreten. „Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen.“ Die Linke habe trotz immer neuer Wahlniederlagen ihren Kurs nicht korrigiert und sei auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. Viele Menschen hätten das Vertrauen in die Politik verloren. In diese Lücke wolle die neue Partei stoßen. (dpa/Reuters)