Politik

Der Überlebenskampf der Linkspartei hat begonnen

Der angekündigte Rücktritt der Ko-Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Bundestag, Amira Mohamed Ali, stürzt die Partei in eine Existenzkrise. Beobachter werten den Rücktritt Alis, die als enge Vertraute von Sahra Wagenknecht gilt, als den Auftakt zur Gründung einer neuen Partei um Wagenknecht. Der Überlebenskampf der Linkspartei hat damit begonnen.
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07.08.2023 16:40
Aktualisiert: 07.08.2023 16:40
Lesezeit: 3 min

Die Ankündigung vom Mohamed Ali, nicht wieder für den Fraktionsvorsitz kandidieren zu wollen, wirkte wie ein Paukenschlag, und ihre Begründung war an Deutlichkeit nicht zu überbieten. Sie könne den Kurs der Parteispitze nicht unterstützen. „Den letzten Ausschlag für meine Entscheidung hat der einstimmige Beschluss des Parteivorstandes vom 10. Juni 2023 gegeben und der Umstand, dass sich die große Mehrheit der Landesvorstände diesen Beschluss zu eigen gemacht hat", heißt es darin. „Darin wird gesagt, Sahra Wagenknecht habe in der Linken keine Zukunft mehr und solle zusammen mit anderen Abgeordneten ihr Mandat niederlegen. Dies zeigt in bis dahin noch nicht gekannter Deutlichkeit den Wunsch und das Ziel, einen Teil der Mitgliedschaft aus der Partei zu drängen."

Mit der Erklärung Alis ist nun in aller Offenheit deutlich geworden, was sich schon seit langem abzeichnete. Seit Monaten schon schwelt der Streit um die frühere Frontfrau der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, die sich inhaltlich immer mehr von der Führung der Partei entfernt hatte. Seitdem lotet Wagenknecht, die ob ihrer medienwirksamen Auftritte lange Zeit als das „Gesicht der Partei“ galt, die Möglichkeiten zur Gründung einer neuen Partei aus. Die Voraussetzungen scheinen günstig.

Strategische Fehlentscheidungen

Zum einen ist da die durch schwerwiegende strategische Fehlentscheidungen hervorgerufene Dauerkrise der Linkspartei: Im Zuge des Versuchs, die Partei auch in den westlichen Bundesländern zu etablieren, änderte sie ihre Zielrichtung. Plötzlich, so schien es nicht wenigen Stammwählern in den Neuen Ländern, waren ihre sozialen Nöte, ihre Bedürfnisse der Führung der Linksparte nicht mehr ganz so wichtig. In den Vordergrund rückte aber ein studentisches, eher links-grünes Publikum. Klimawandel, Minderheiten aller Art und Migration waren plötzlich die Themen, mit denen sich die Partei beschäftigte.

Doch die Rechnung ging nicht auf: Um die Stimmen im links-grünen studentischen Milieus im Westen buhlten schon die Grünen. Und für jede Stimme, die die Linkspartei dort gewann, verlor sie mindestens zwei bei ihren bisherigen Stammwählern in den Neuen Ländern.

Die Folge: Die Linkspartei hat mit Ausnahme des Sonderfalls Thüringen schon seit langem ihre Hochburgen in den Neuen Ländern verloren. In den vergangenen Landtagswahlen hat dort die Linkspartei im Durchschnitt zwischen 20 bis 30 Prozent ihrer Wähler verloren. Schlimmer noch: Zur gleichen Zeit sicherte sich die AfD dort eine solide Machtbasis und kann mit Umfragewerten bis zu 30 Prozent den Anspruch erheben, dort Volkspartei zu sein.

Verlust der Stammwähler

Der Meinungsforscher Hermann Binkert, dessen Institut INSA zu den führenden in Deutschland und besonders in den Neuen Ländern zählt, sieht eine ganze Reihe von Gründen für den Niedergang der Linkspartei.

So hätten alle Untersuchungen seines Instituts ergeben, dass die Grünen die unbeliebteste Partei in den Neuen Ländern seien. So würden die Grünen bei der sogenannten „negativen Sonntagsfrage („Welche Partei würden Sie am nächsten Sonntag auf gar keinen Fall wählen?“) regelmäßig den Spitzenplatz einnehmen. Es sei dann, so Binkert im Gespräch mit den Deutschen Wirtschaftsnachrichten, „nicht weiter verwunderlich, dass die Linkspartei in den Neuen Ländern bei Umfragen abschmiert, wenn sie grüne Themen übernimmt“.

Zudem sei es klar, dass die Linkspartei nicht mehr glaubhaft als Protestpartei auftreten könne, wenn sie selbst an Landesregierungen beteiligt sei oder, wie in Thüringen, diese sogar anführe. Alle Untersuchungen würden zudem ergeben, dass ein nicht unerheblicher Teil der Stammwählerschaft der Linkspartei eher strukturkonservativ sei und dem Thema „Migration“ eher ablehnend gegenüberstehe.

Gegen diese Politik hatte der Kreis um Sahra Wagenknecht schon früh mobil gemacht. Wagenknecht selbst hatte in ihrem 2021 erschienenen Buch „Die Selbstgerechten“ den neuen links-grünen Kurs der Parteiführung einer ätzenden Kritik unterzogen. Wagenknecht machte dabei die Unterscheidung zwischen traditionellen Linken, zu denen sie sich selbst zählt und den sogenannten „Lifestyle-Linken“. Letztere zeichneten sich nach Wagenknecht dadurch aus, dass sie allen anderen mit „moralischen Haltungsnoten“ überziehen und abschätzig auf jene herabblicken würden, die Fragen der Migration kritischer sähen, als sie, die zu der Schicht der Besserverdienenden gehören.

Mit dem angekündigten Rücktritt von Amira Mohamed Ali vom Fraktionsvorsitz könnte sich der Bruch in der Bundestagsfraktion jetzt sehr schnell vollziehen – mit fatalen Folgen für das Überleben der Linkspartei. Bei der letzten Bundestagswahl war die Linkspartei nur durch eine Sonderregelung als Fraktion in den Bundestag zurückgekommen. Zwar war die Linkspartei unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben, hatte jedoch drei Direktmandate gewonnen, was ihr den Wiedereinzug als Fraktion sicherte. Sollte es aber zu einem Bruch innerhalb der Fraktion kommen und nur drei Abgeordnete die 39-köpfige Fraktion verlassen, verlöre die Linkspartei den Status als Fraktion. Dies bedeutet weniger Präsenz, weniger Redezeit – und weniger Geld. Kurzum: Die Linkspartei träte im Bundestag den Weg in die parlamentarische Bedeutungslosigkeit an.

Wagenknechts Chancen

Und auch bei Wahlen würde eine Partei rund um Sahra Wagenknecht für die Linkspartei zu einer geradezu tödlichen Bedrohung werden. Das INSA-Institut von Hermann Binkert hatte die Potentiale für eine solche Partei ermittelt. Ergebnis: Wären am nächsten Sonntag Bundestagswahlen käme nach Berechnungen des INSA-Instituts eine Sahra-Wagenknecht-Partei aus dem Stand auf 14,6 Prozent. Die Linkspartei hingegen würde demnach gerade noch 3,4 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Und das wäre aller Voraussicht nach das Ende der Linkspartei.

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