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Der gläserne Bürger wird Realität: Was die kommende EUID-App alles überwachen soll

Bis 2030 soll jeder Bürger in der EU eine EUID-App als sogenannte digitale Brieftasche auf seinem Smartphone haben. Damit sollen die Bürger umfassend digitalisiert werden – Finanzen, Ausweise, Impfpässe, Stromverbrauch, Patientenakte und vieles mehr soll dann auf Knopfdruck abrufbar sein.
20.07.2025 16:03
Lesezeit: 4 min
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Der gläserne Bürger wird Realität: Was die kommende EUID-App alles überwachen soll
Europäische Digitale Identität (EUID) kommt: Im Februar 2025 fand ein grenzüberschreitender Test in Warschau statt, bei dem 15 nationale Geldbörsen und 20 Dienste im Peer-to-Peer-Verfahren Daten austauschten. (Foto: dpa) Foto: Marijan Murat

Die digitale Identität der Bürger ist keine Sci-Fi-Fantasie mehr, sie steht direkt vor der Tür. Mit der EU-Verordnung „elDAS 2.0“ von 2024 ist das klare Ziel der EU ausgesprochen, die Grundlage zur Schaffung einheitlicher digitaler Identitäten in der EU zu entwickeln. Spätestens ab 2030 soll sie für alle EU-Bürger kommen.

EU-Arbeitsgruppe erarbeitet Nutzungsvorschläge für die EUID

Bereits seit 2023 arbeitet die eigens dafür geschaffene Arbeitsgruppe „Potential“ daran, ein derartiges System europaweit auszurollen. Potential arbeitet dabei mit 155 Organisationen aus 19 Ländern zusammen, unter anderem auch mit militärtechnischen Unternehmen und Digitalkonzernen. Die Arbeitsgruppe hat verschiedene Nutzungsvorschläge für die digitale Brieftasche erarbeitet. Dazu gehören z. B. der Zugang zu Behördendiensten, die Eröffnung eines Bankkontos, der mobile Führerschein, die eSignatur, die Registrierung von SIM-Karten und die Einreichung von Rezepten.

In der digitalen Brieftasche soll sich dann praktisch unser ganzes Leben befinden – vom Ausweis über Steuernummer, Führerschein, Impfpass, Patientenakte hin zum digitalen Euro. Österreich ist mit der ID Austria in Sachen digitale Brieftasche bereits sehr weit fortgeschritten. Dort soll die ID Austria bereits 2026 kommen als Angebot, wobei die Freiwilligkeit schon nach und nach abgebaut wird.

Noch befindet sich die EUID in der Testphase. Im Februar 2025 fand ein grenzüberschreitender Test in Warschau statt, bei dem 15 nationale Geldbörsen und 20 Dienste im Peer-to-Peer-Verfahren Daten austauschten. Sogar die Ukraine nahm an Testläufen teil, um die Kompatibilität ihrer digitalen Dokumente mit den EU-Systemen zu überprüfen.

EUID – Datenschützer schlagen Alarm

Die oben beschriebenen, geplanten Anwendungsfälle stellen zunächst einmal für die Bürger Erleichterungen dar. Allerdings bringt die EU-App natürlich eine ganze Menge Gefahren mit sich. Es ist noch völlig ungeklärt, wie in diesem digitalen System die persönlichen Daten gespeichert werden, wie sie genutzt werden und vor allen Dingen, wie sie geschützt werden können.

Kein Wunder, dass Datenschützer und Aktivistengruppen eindringlich warnen, dass durch die digitale Identität die Überwachungs- und Datensammelmöglichkeiten sowohl von staatlicher Seite als auch von privaten Unternehmen dramatisch ausgeweitet werden können. Das Missbrauchspotenzial ist extrem hoch, unter anderem dann auch für Hacker.

Wie auch ein Vertreter des Unternehmens Ubiqu, ein großer Player bei der Entwicklung der digitalen Identität, einräumte, wird die digitale Identität zwar unbegrenzte Möglichkeiten bieten, aber eben auch ein unbegrenztes Missbrauchspotenzial.

Die Arbeitsgruppe Potenzial hat bereits unterschiedliche Möglichkeiten aufgezeigt, wie und wo die Bürger dann aufgefordert werden können, ihre Identität digital nachzuweisen. Hierfür werden verschiedene Technologien vorgeschlagen, wie das durch persönliche Kontrollen, bei Interaktionen beim Einkauf oder im Büro oder auch durch Fernanmeldungen an digitalen Geräten möglich ist. Jede dieser Technologien bringt allerdings Schwachstellen mit sich, die die Privatsphäre gefährden können, sofern keine umfangreichen Schutzmaßnahmen ergriffen werden.

Datenschützer warnen vor allen Dingen auch vor einer überstürzten Einführung der EUID, die den Weg frei macht für eine digitale Kontrollgesellschaft.

Chinesisches Sozialkreditsystem als Vorbild?

In China überwacht die Regierung bereits durch ein digital gesteuertes Sozialkreditsystem seine Bevölkerung. Wer sich konform verhält, wird belohnt – Fehlverhalten wird bestraft. Unzählige Überwachungskameras mit Gesichts- und Gangerkennung sorgen dafür, dass das System immer genau weiß, wer was wann und wo tut. Auch werden Informationen aus den chinesischen sozialen Medien, dem Onlineshopping und Daten zum Surfverhalten gesammelt und dann mit anderen Daten verknüpft, wie beispielsweise dem Strafregister. Die Fülle der gesammelten Daten ermöglicht es der Regierung dort, ihre Bürger umfassend zu kontrollieren und sie dann auch zu bewerten, zu belohnen oder zu bestrafen. Gesteuert wird dies über ein Punktesystem, bei dem man mit „gutem“ Verhalten Punkte sammelt und bei „schlechtem“ Verhalten Punkte abgezogen bekommt.

Wer als „gutes“ Mitglied der Gesellschaft viele Punkte gesammelt hat, kann von verschiedenen Vergünstigungen profitieren: ein einfacherer Zugang zu Behörden, eine bessere Krankenversicherung oder auch niedrige Kreditzinsen. Wer allerdings Punkte durch „schlechtes“ Verhalten verliert, muss sich auf Sanktionen einstellen, wie teure Kredite oder der Ausschluss der eigenen Kinder von guten Schulen.

Die Totalüberwachung ist auch in Europa auf dem Vormarsch

Auch hierzulande wird die digitale Überwachung zügig ausgebaut und die EUID ist nur ein weiterer Baustein. So werden durch Smart Meter bereits Stromverbräuche erfasst und können mit der digitalen Identität dann später verknüpft werden. Auch das Lieferkettengesetz zielt darauf ab, über den digitalen Produktpass, der Angaben zu Herkunft, Nachhaltigkeit etc. speichert, die Lieferketten lückenlos verfolgen zu können. Über digitale Wartungsberichte, die mit der digitalen ID verknüpft werden, ist dann auch der TÜV Bericht des eigenen Autos erfasst.

Im Bereich Gesundheit ermöglicht die digitale Identität jedem Arzt und jeder Klinik einen schnellen Zugang zur Patientenakte. Auch digitale Rezepte und andere medizinische Aufzeichnungen werden dann EU-weit nutzbar sein. Impf- und sonstige Testpässe werden EU-weit standardisiert und anerkannt. Zusätzlich lassen sich auch Versicherungsverträge in die EUID-App integrieren und die Zahlungen mit dem digitalen Euro. Auch elektronische Signaturen und Identitätsnachweise werden dann über die App laufen und eine physische Unterschrift ablösen. Im Umgang mit Behörden und Anträgen werden sich die Bürger dann über ihre App identifizieren. Dann werden über die App Zugriffsrechte gesteuert, wie z. B. für das Grundbuchamt.

Auch beim Thema Mobilität wird dann demnächst vieles über die digitale ID laufen – im öffentlichen Verkehr, beim Carsharing, Bikesharing oder bei Elektrorollern. Der digitale Führerschein wird dann EU-weit vorzuzeigen sein – schöne neue Welt!

Die wichtigen Rechts- und Sicherheitsfragen bleiben offen

Wie Lilith Wittmann, eine der bekanntesten Hackerinnen und renommierte IT-Sicherheitsexpertin, bereits anmahnte, ist zwar im Rahmen der Entwicklung der EUID bereits bis ins Detail spezifiziert, wie Unternehmen Daten aus der ID empfangen und verarbeiten können, die wichtigsten Fragen zum Verbraucherschutz bleiben allerdings offen oder werden einfach ignoriert.

So ist z. B. noch völlig unklar, wie es um die Haftbarkeit bestellt ist, wenn Dokumente aus der ID-Wallet gestohlen werden und Betrügern in die Hände fallen. Das wird schon beim Onlineshopping ein Problem. Viele Shopsysteme haben Sicherheitslücken und die eigene Identität gerät dann vielleicht in Hände, die sie nicht haben sollten. Wie der Bürger vor einem Identitätsklau geschützt werden kann, ist noch vollkommen unklar – und wer muss dann beweisen, dass er eben nicht mit seiner verifizierten, digitalen Ausweiskopie z. B. einen Kredit beantragt hat?

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