ETFs sind relativ unbekannt, wie eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Quirin Privatbank im November 2020 ergab. Nur 44 Prozent der Deutschen kennen ETFs als Anlageform und 15 Prozent investieren in die börsengehandelten Indexfonds. Befragt wurden 16- bis 75-Jährige mit einem Anlagevermögen von mindestens 10.000 Euro oder einem Nettoeinkommen von mindestens 1500 Euro pro Monat.
Diejenigen, die ETFs kannten, aber nicht in diese investierten, nannten als Hauptgrund Unwissenheit („kenne mich zu wenig aus“, 34 Prozent). 28 Prozent vertrauten eher anderen Anlageformen und 16 Prozent gaben an, ETFs seien zu unsicher beziehungsweise die Risiken seien zu hoch.
Die Finanzökonomin Stefanie Hehn hält ETFs aber nicht für riskanter als andere Finanzprodukte. „Bei ausgeschlossener Wertpapierleihe ist das Vehikelrisiko bei physischen ETFs vernachlässigbar“, erklärt die Professorin der Hochschule Ludwigshafen auf DWN-Anfrage.
Wertpapierleihe und Swap-Geschäfte als Risiken
Hehn sieht bei der Wertpapierleihe und bei Swap-Geschäften mögliche Risiken. Die meisten ETF-Anbieter verleihen Wertpapiere aus dem ETF-Vermögen, um Zusatzerträge zu erzielen. Der Leihnehmer ist in der Regel eine große Bank, die für die geliehenen Wertpapiere Sicherheiten hinterlegen muss.
Bei den Sicherheiten handelt es sich üblicherweise um sehr liquide Wertpapiere mit hohem Rating. Laut der EU-Anlegerschutzrichtlinie UCITS sind zugelassene Sicherheiten etwa Staatsanleihen der G10-Staaten, Unternehmensanleihen mit mindestens A+-Rating und Aktien aus OECD-Märkten, erklärt Stefanie Hehn.
Spezialisierte Risikomanagement-Teams von ishares und Co. prüfen täglich den Marktwert der erhaltenen Sicherheiten und stellen Nachforderungen, falls der Wert der Sicherheiten zu stark sinkt. Der Wert der Sicherheiten übersteigt in der Regel den Wert der verliehenen Wertpapiere: Laut der Vergleichsplattform ExtraETF liegt die Besicherungsquote je nach Anbieter zwischen 102 und 110 Prozent.
Anbieter verleihen zudem meist bloß einen Bruchteil des ETF-Vermögens. Etwa hat sich die Schweizer Großbank UBS eine Maximalgrenze von 50 Prozent gesetzt und bei der Blackrock-Tochter ishares waren es im Jahr 2020 im Schnitt rund 10 Prozent bei ETFs, die in Europa domiziliert sind.
Gleichwohl könnten Anleger in einer sehr schweren Finanzkrise auch Verluste aus der Wertpapierleihe entstehen, schreibt die Bundesbank im Monatsbericht vom Oktober 2018. Würde der Leihnehmer bankrott gehen, würden dem ETF-Anbieter die Sicherheiten zur Verfügung stehen, um Verluste auszugleichen. „Allerdings sind bei adversen Marktentwicklungen so starke Kursrückgänge möglich, dass die Überbesicherung nicht ausreicht“, schreibt die Bundesbank. Die Kurse der Sicherheiten könnten also stärker fallen als die Kurse der verliehenen Wertpapiere, wodurch dem ETF Verluste entstehen würden.
Das könnte zu einem Vertrauensverlust in ETFs führen und zu weiteren Verkäufen von ETF-Anteilen, schreibt die Bundesbank weiter. Zudem könnten auch Sicherheiten knapp werden, wenn viele ETF-Anbieter ihre Wertpapierleihgeschäfte nicht mehr verlängern würden.
Bislang gab es ein solches Extremszenario aber nicht, wie etwa die Verbraucherzentrale erklärt. Die Sicherheiten aus Swap-Geschäften oder der Wertpapierleihe seien noch nie wertlos geworden, „auch nicht während der letzten Finanzkrise“. Blackrock gibt ebenfalls an, dass man seit Beginn des Wertpapierleihe-Programms im Jahr 1981 für jeden Fonds Gewinne aus den Geschäften erzielt habe.
Selbst bei einem Euro-Crash dürfte die Wertpapierleihe laut Stefanie Hehn halten. Die Expertin für Portfolio- und Kapitalmarkttheorie hält ein Auseinanderbrechen des Euro zwar für durchaus möglich. Das würde aber vor allem die Performance der Wertpapiere beeinflussen, die der ETF unmittelbar im Portfolio halte. Wären diese Wertpapiere verliehen und Euro-Staatsanleihen als Sicherheiten hinterlegt, könnten dem ETF Verluste entstehen.
Allerdings würde der ETF-Anbieter den Wert der Sicherheiten spätestens alle zwei Bankarbeitstage kontrollieren. „Da davon auszugehen ist, dass eine Währungsreform nicht über Nacht kommt, würde der ETF-Anbieter und der Entleiher miteinander vereinbaren, ob die Sicherheiten in der jeweiligen Währung noch akzeptabel sind, ein Sicherheitsaufschlag notwendig wird oder aber die Sicherheiten ausgetauscht werden müssen“, erklärt Hehn.
Synthetische ETFs gelten als riskanter
Stefanie Hehn sieht synthetische ETFs etwas kritischer. Diese halten nicht die Wertpapiere, die im Index gelistet sind (physische Replikation), sondern setzen Swap-Geschäfte ein. Dabei handelt es sich um ein Tauschgeschäft: Der Swap-Partner, der in der Regel eine große Bank ist, garantiert dem ETF-Anbieter die Auszahlung der Indexrendite.
Der ETF-Anbieter baut mit den Anlegergeldern ein sogenanntes Trägerportfolio und überweist die Rendite des Trägerportfolios und eine Swap-Gebühr an den Swap-Partner. Dieses Vorgehen soll den Unterschied zwischen der Wertentwicklung des ETFs und des Index klein halten.
Das Problem: Das Trägerportfolio muss nicht die Wertpapiere des Index enthalten, den der ETF abbildet. Etwa könnte ein Swap-ETF auf den MSCI Emerging Markets auch Aktien aus Japan oder den USA halten. Dennoch gelten für das Trägerportfolio ebenso wie für die Wertpapierleihe die UCITS-Regeln. Anbieter dürfen also keine Schrottpapiere kaufen.
Geht nun der Swap-Partner bankrott, stünden theoretisch nur 10 Prozent des ETFs im Feuer. Laut den UCITS-Regeln darf der Swap-Wert bloß 10 Prozent des Referenzindex betragen. Spätestens dann müssen die beiden Geschäftspartner den Swap auf null setzen und der ETF-Anbieter muss zusätzliche Wertpapiere für das Trägerportfolio kaufen.
Swap-Partner hinterlegen in der Regel sogar zusätzliche Sicherheiten, die den Wert des Swaps übersteigen können. Die ETFs mit besicherten Swaps werden auch Funded-Swap-ETFs genannt. Das Risiko sei daher eher klein, aber es verbleibe ein Restrisiko, erklärt Stefanie Hehn.
Laut der Bundesbank könnte die 10-Prozent-Grenze in einem Extremszenario aber nicht halten. In einer sehr schweren Finanzkrise könnte es passieren, dass der Swap-Partner bankrott gehe und der ETF-Anbieter keinen neuen Swap-Partner finde. In diesem Fall müsste die Fondsgesellschaft von synthetischer auf physische Replikation umstellen.
Der ETF-Anbieter müsste die Wertpapiere im Trägerportfolio verkaufen und die Wertpapiere erwerben, die im Index gelistet sind. Sind die Sicherheiten und die Papiere im Trägerportfolio weniger wert als die Papiere aus dem Index, würden Verluste entstehen.
Was können Anleger tun?
Stefanie Hehn hält es daher für theoretisch möglich, dass die Verluste im Stressfall die 10-Prozent-Grenze übersteigen, insbesondere in volatilen Märkten oder bei ungünstigen Entwicklungen im Swap-Geschäft. „Dies ist jedoch sehr selten und dem kann eine ausgewogene Portfoliodiversifikation, eine kluge Auswahl an ETFs (zum Beispiel funded) und eine angemessene Haltedauer deutlich entgegenwirken“, erklärt die Finanzökonomin.
Die UCITS-Regeln würden Risiken begrenzen. Etwa dürfe ein Wertpapier in der Regel bloß 20 Prozent des ETF-Vermögens ausmachen. Außerdem hätten manche ETF-Anbieter festgelegt, dass der Swap bereits vor Erreichen der 10-Prozent-Grenze wieder auf null gesetzt werden müsse.
Laut Stefanie Hehn komme es letztendlich auf individuelle Faktoren wie die Risikotoleranz an, ob und wie viel ein Anleger in einen synthetischen ETF investieren sollte. Auch die Struktur des Swap-ETFs sei entscheidend: Funded-Swap-ETFs seien als sicherer anzusehen, da der Swap-Partner Sicherheiten bei einem Treuhänder hinterlege. „Grundsätzlich ist eine begrenzte Allokation in synthetische ETFs eine sinnvolle Risikomanagementstrategie, da eine breite Diversifikation über verschiedene Anlageklassen, Regionen und Anlagestile das Gesamtrisiko des Portfolios mindert“, erklärt sie.
Anleger können auch ETFs kaufen, die weder Swap-Geschäfte noch Wertpapierleihe zulassen. Weniger als 20 Prozent der Aktien-ETFs, die in Deutschland für Privatanleger zugelassen sind, setzen Swap-Geschäfte ein. Über 80 Prozent kaufen die Aktien aus dem Index (physische Replikation), wie Daten der Verbraucherseite JustETF zeigen.
Physische ETFs ohne Wertpapierleihe sind indes seltener. Laut DWN-Recherche schließen bloß drei der 15 physischen ETFs auf den MSCI World Wertpapierleihgeschäfte aus (ISIN: IE00BFY0GT14, DE000ETFL508, IE000CNSFAR2). Auf den MSCI Emerging Markets gibt es bloß einen physischen ETF ohne Wertpapierleihe (von insgesamt zehn physischen ETFs, ISIN: IE00B469F816).
Ebenfalls bloß einen entsprechenden ETF gibt es auf den Index MSCI ACWI (der Index enthält im Gegensatz zum MSCI World rund 10 Prozent Aktien aus Schwellenländern, ISIN: IE00B44Z5B48) und den MSCI ACWI IMI (ISIN: IE00B469F816). Letzterer bildet 99 Prozent der globalen Aktienmarktkapitalisierung ab und enthält auch Aktien von kleinen Firmen (Small Caps) aus Industrie- und Schwellenländern.
Beim FTSE All-World, der circa 93 Prozent des weltweit aufsummierten Börsenwerts darstellt, gibt es hingegen keinen physischen ETF ohne Wertpapierleihe.
Quellen:
www.quirion.de/presse/studie-etf-radar-2020-attraktivitat-nutzung-und-kritik