Politik

Schuldenbremse: Finanzminister Lindner unter Druck

Auf der letzten Etappe der Haushaltsberatungen nehmen die Widerstände gegen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) erheblich zu. Nach dem Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, hat nun auch der Ministerpräsident Niedersachsens, Stephan Weil (SPD), eine Lockerung der Schuldenbremse gefordert. Dies hatten zuvor auch Grüne und Gewerkschaftsfunktionäre verlangt.
05.11.2023 17:20
Aktualisiert: 05.11.2023 17:20
Lesezeit: 2 min

Der Regierungschef von Hannover begründete seine Forderung nach einer Lockerung mit einem seiner Meinung nach gestiegenen Investitionsbedarf. „Wir müssen jetzt die Weichen für eine CO₂-neutrale Energieversorgung im nächsten Jahrzehnt stellen und dafür beispielsweise in eine Wasserstoffinfrastruktur massiv investieren“, sagte Weil. Zudem müssten viele Wohnungen gebaut und die Landesverteidigung ertüchtigt werden.

Der SPD-Politiker äußerte sich vor dem Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Ministerpräsidenten der Länder am Montag, bei dem Fragen der Finanzverteilung eine wichtige Rolle spielen. „Ich finde es richtig, dass die Schuldenbremse Kredite für laufende Ausgaben verbietet“. sagte Weil. Wenn die Schuldenbremse aber „dringend notwendige Investitionen verhindert, ist das selbstschädigend“.

Weils Angriff auf Lindner

Weil attackierte damit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der bislang auf der strikten Einhaltung der Schuldenbremse beharrt. Zwar habe dieser mit seiner Kritik an einem internationalen Subventionswettlauf recht, doch „dieser Wettlauf findet trotzdem statt“ und es mache keinen Sinn, dies zu ignorieren. Man dürfe nicht nur auf die Kosten etwa zur Stützung der Industrie schauen, sondern müsse auch fragen: „Was würde uns eine nicht unerhebliche Deindustrialisierung kosten, finanziell und gesellschaftlich?“

Ausdrücklich stellte sich Weil damit hinter die Forderung von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sowie von Wirtschaftsverbänden nach einem vergünstigten Industriestrompreis. Es gehe hier um die gesamte Grundstoffindustrie. „Ich kann nur dringend davon abraten, diesen Teil unserer industriellen Substanz aufs Spiel zu setzen“, warnte der Ministerpräsident. Skeptisch zu einem Industriestrompreis hat sich allerdings bisher auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geäußert.

SPD-Fraktionschef Mützenich hatte zuvor in Interviews gesagt: „Wenn es in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und internationalen Situation erklärbar gewesen ist, die Schuldenbremse auszusetzen, dann gilt das jetzt erst recht.“ Es wäre daher vernünftig, „von der Ausnahmeregel der Schuldenbremse noch einmal Gebrauch“ zu machen.

„Das Investieren in eine gute und wettbewerbsfähige Zukunft Deutschlands dürfen wir nicht aufgeben“, betonte auch er. Die notwendigen Weichstellungen für ein klimaneutrales Land, für mehr Sicherheit und für die Sicherung des Wohlstands müssten finanziert werden, sagte der SPD-Fraktionschef. Die Finanzpolitik müsse sich einer veränderten Weltlage genauso anpassen wie andere Politikfelder.

Die Kritik der Gewerkschaften

Ähnliches hatte auch das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Stefan Körzell, gefordert. Er drang ebenfalls auf Ausnahmen für Investitionen. Zudem solle mehr Geld in den Klima- und Transformationsfonds fließen, das Eigenkapital öffentlicher Unternehmen aufgestockt und ein neues Sondervermögen für Bildung eingerichtet werden.

„Die Schuldenbremse muss ausgesetzt werden. Der Staat muss wieder handlungsfähig werden“, betonte auch der Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Frank Werneke. Er warnte in Berlin, mit ihrer maßgeblich von der FDP beeinflussten Haushaltspolitik samt Kürzungen im sozialen Bereich „legt die Ampelkoalition die Axt an den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft“. Notwendig seien jetzt massive Investitionen in Bildung, Gesundheit, Digitalisierung, Wohnen und Klimaschutz.

Lindner hatte noch einmal am Wochenende sein Festhalten an der Schuldenbremse bekräftigt. Damit ist klar, dass der stabilitätsorientierte Ansatz, den Finanzminister Lindner auf der letzten Etappe der Beratungen zum Bundeshaushalt verfolgt, zunehmend unter Druck gerät. Der Haushalt 2024 soll den Planungen zufolge am 1. Dezember verabschiedet werden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Wirtschaft unter Druck: Im Spannungsfeld zwischen China und USA
09.11.2025

Globale politische Spannungen und Handelskonflikte belasten derzeit Europas Wirtschaft. Militärische Krisen in der Ukraine und im Nahen...

DWN
Technologie
Technologie Autonomes Fahren in Europa: Pony AI testet Robotaxis mit Stellantis
09.11.2025

Europa steht vor einem neuen Kapitel der urbanen Mobilität. Technologische Entwicklungen und internationale Kooperationen treiben die...

DWN
Technologie
Technologie Phishing schlägt Firewalls: Warum Technik allein nicht schützt
09.11.2025

Firewalls, Verschlüsselung, Millionenbudgets – und doch reicht ein schwaches Passwort oder ein unbedachter Klick, um ein ganzes...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Gaskraftwerke für Deutschland: Teuer, umstritten und auch politisch fragwürdig
08.11.2025

Können Wind und Sonne nicht genug erneuerbare Energien liefern, sollen bis zu 40 große Gaskraftwerke einspringen, die...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin, Ether und Co.: Wie Sie an der Börse sicher in Kryptowährungen investieren
08.11.2025

Wollen Sie Kryptowährungen kaufen? Dann müssen Sie dafür nicht auf irgendwelchen unseriösen Internetportalen herumsurfen. Kurse von...

DWN
Politik
Politik Donald Trump und die US-Präsidentschaftswahl 2028: Strebt er eine dritte Amtszeit an und geht das so einfach?
08.11.2025

Die Diskussion um Donald Trumps mögliches politisches Comeback zeigt das Spannungsfeld zwischen Recht, Strategie und Macht in den USA....

DWN
Technologie
Technologie Deep Tech als Rettungsanker: Wie Deutschland seine industrielle Zukunft sichern kann
08.11.2025

Deutschland hat große Stärken – von Forschung bis Ingenieurskunst. Doch im globalen Wettlauf um Technologien zählt längst nicht mehr...

DWN
Technologie
Technologie So optimiert KI in Belgien die Landwirtschaft: Schwankende Ernten prognostizieren? Kein Problem!
08.11.2025

Die Landwirtschaft muss Erträge effizient planen und Schwankungen ausgleichen, wobei KI zunehmend Entscheidungen auf verlässlicher Basis...