Anfang Dezember des vergangenen Jahres hatte der Europäische Rat eine Preisobergrenze für Rohöl, Erdöl und Öl aus bituminösen Mineralien, die ihren Ursprung in Russland haben und mit Hilfe westlicher Schifffahrts- oder Versicherungsunternehmen exportiert werden, auf 60 US-Dollar je Barrel festgesetzt. Durch diese Preisobergrenze für russisches Öl sollten starke Preissteigerungen aufgrund außergewöhnlicher Marktbedingungen begrenzt und die Einnahmen aus Erdöl, die Moskau bislang erwirtschaftet hat, drastisch verringert werden. Zudem sollten sie dazu dienen die globalen Energiepreise zu stabilisieren und gleichzeitig die negativen Auswirkungen auf die Energieversorgung von Drittländern abmildern. Befürworter der Obergrenze argumentieren, dass sie ein wichtiges Instrument darstellt, um die Möglichkeiten des Kreml zur Finanzierung des Krieges in der Ukraine einzuschränken. Kritiker sind der Meinung, dass Russland die Obergrenze leicht umgehen kann, so dass sie unwirksam ist. Dabei ist es Im vergangenen Jahr mit Hilfe der Ölpreisobergrenze tatsächlich weitgehend gelungen, die Einnahmen Russlands aus dem Ölgeschäft zu senken. Doch wenn man sich den Präzedenzfall anderer Sanktionsregelungen ansieht, war auch immer klar, dass Moskau es allmählich schaffen würde, die Maßnahme zu umgehen und sie langfristig unwirksam zu machen.
Erfolg bemisst sich an den Zielen
Gemessen an den angestrebten Zielen konnte die Maßnahme durchaus als Erfolg gewertet werden: auf diplomatischer Ebene demonstrierte sie die Einigkeit des Westens und sendete eine klare Botschaft an den Kreml. Darüber hinaus wollten die westlichen Länder die russischen Öleinnahmen einschränken, was mit im Vergleich zum Vorjahr um etwa 30 Prozent gesunkener Erträge zwischen Januar und September gelang. Drittens sollte eine Angebotsreduzierung vermieden werden, die den Ölpreis in die Höhe treiben und sich nachteilig auf die Weltwirtschaft auswirken würde. Als die Preisobergrenze ausgehandelt wurde, warnten einige Analysten davor, dass ein Ausschluss des russischen Öls vom Markt die Rohölpreise auf 200 Dollar pro Barrel schnellen lassen könnte. Aber im Durchschnitt, und trotz der Förderkürzungen der OPEC, sind die Ölpreise während des größten Teils des Jahres 2023 unter dem Niveau von 2022 geblieben. Unter dem Strich lässt sich sagen, dass die Preisobergrenze das bewirkt hat was die westlichen Entscheidungsträger beabsichtigt hatten. Die Maßnahme hat den russischen Ölmarkt isoliert und den Abnehmern die Möglichkeit gegeben, die Preise zu drücken. Russland sieht sich zudem mit steigenden Transportkosten konfrontiert und muss höhere Versicherungsprämien zahlen, was die Einnahmen weiter reduziert.
Moskau passt sich an
Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass es keine Sanktion gibt, die ewig wirkt. Iran und Nordkorea sind wahre Meister darin, die gegen sie verhängte Maßnahmen zu umgehen und auch Russland hat schnell gelernt. So kaufte Moskau im Laufe des letzten Jahres den Gegenwert von mehr als 110 Aframax-Öltankschiffen - das sind Tanker mit einer Kapazität von 80.000 bis 120.000 metrischen Tonnen -, um eine sanktionssichere Ölflotte aufzubauen. Dies hat dazu geführt, dass Unternehmen aus den G7-Staaten und der EU nun weniger als 30 Prozent des russischen Öls verschiffen, so dass der Großteil des russischen Rohöls nicht mehr unter die Preisobergrenze fällt. Und ähnlich Nordkorea, dem es trotz umfassender Sanktionen immer noch gelingt Öl zu importieren und Kohle auszuführen, in dem es bei sogenannten „dark voyages“ durch das illegale Abschalten der Schiffstransponder deren Standort verbirgt und Ladung auf hoher See von Schiff zu Schiff umlädt damit die gesamte Route schließlich nicht mehr erkennbar ist, agiert auch Russland. Viele Schiffe der neu zusammengestellten russischen Ölflotte senden Berichten zufolge gefälschte Signale, um ihren Standort zu verschleiern, so dass es für westliche Regierungen schwierig ist, ihren Aufenthaltsort zu verfolgen und die Umgehung von Sanktionen aufzudecken. Lehrmeister Iran hat in den letzten zwei Jahrzehnten seinen Handel von den westlichen Volkswirtschaften weg und hin zu Ländern, die keine Sanktionen verhängen, umgelenkt. Russland tat mit seinem Öl genau dasselbe: China, Indien und die Türkei - von denen keiner die Preisobergrenze unterstützt hat - nehmen inzwischen 80 Prozent der russischen Rohölexporte ab.
Wie geht es mit der Preisobergrenze weiter?
Russland hat sich gut an die seitens der Westens veränderten Spielregeln im internationalen Ölgeschäft angepasst und konnte die daraus erwachsenden Nachteile zu einem Gutteil buchstäblich umschiffen. Das Washingtoner Treffen führte nun zu drei Vorschlägen, um diesen wieder Biss zu verleihen.
Dabei dreht sich der erste um eine verbesserte Durchsetzung. In der Praxis wäre damit gemeint, die Dokumente, die G7- und EU-Firmen vorlegen müssen, um selbst zu bestätigen, dass sie nicht mit russischem Öl handeln, das oberhalb der Preisobergrenze verkauft wurde, verstärkt zu prüfen. So etwas erfordert jedoch viel Zeit, Geld und geschulte Regierungsbeamte, die nicht ausreichend vorhanden sind. Noch wichtiger ist, dass diese Maßnahme die Entwicklung der russischen Tankerflotte in keiner Weise eindämmen würde. Eine weitere Option, die auf eine verstärkte Durchsetzung abzielt, wäre die Erstellung einer "weißen Liste" von G7- und EU-Rohstoffhandelsgruppen, die Reedereien für den Transport von russischem Öl verwenden müssten. Dies würde die Verantwortung von den Schiffseignern nehmen und sicherstellen, dass sie nicht unbeabsichtigt die Preisobergrenze umgehen, denn aktuell ist es Aufgabe der Schiffseigner, zu überprüfen, dass sie kein Öl für Händler transportieren, die die Preisobergrenze missachten.
Ein weiterer Plan sieht vor, Schiffe, die wichtige westliche Seeverkehrsrouten passieren, dazu zu verpflichten, eine angemessene Haftpflichtversicherung für mögliche Ölunfälle abzuschließen. Die Türkei hat bereits ähnliche Anforderungen für Tanker, die den Bosporus durchqueren, es gibt also bereits Erfahrungswerte. Die Einhaltung dieser Vorschriften könnte einfach online überprüft werden, ein weiteres Plus. Seriöse Unternehmen dürften von der Versicherung russischer Schiffe zurückschrecken, womit diese Option tatsächlich einen Schlag für Moskau bedeuten würde. Allerdings droht auch hier ein Schlupfloch, denn an nicht-westlichen maritimen Engpässen, wie dem Suez- oder dem Panamakanal, würde sich eine solche Maßnahme kaum umsetzen lassen. Infolgedessen dürfte sich Russland allmählich anpassen und mehr Öl von seinen pazifischen und arktischen Häfen aus verschiffen und so die von der G7 und der EU kontrollierten Gewässer umgehen.
Der dritte Vorschlag sieht die Verhängung von Sanktionen gegen russische Ölfirmen und internationale Unternehmen vor, die Russland dabei helfen, die Preisobergrenze zu umgehen, wie etwa unseriöse Rohstoffhändler oder Unternehmen, die alte Öltanker an mysteriöse russische Kunden verkaufen. Dies wäre wohl die wirksamste Variante, so sie denn ohne Kollateralschäden umzusetzen wäre. Würde nämlich ein solches Unternehmen ausfindig gemacht und sanktioniert werden, zöge dies wiederum „sekundäre Sanktionen“ nach sich, dergestalt, dass alle Unternehmen, die mit diesem Geschäfte machten, dem Risiko ausgesetzt wären, ebenfalls sanktioniert zu werden. Um dieses Risiko zu vermeiden, täten sie es erst gar nicht. Dies könnte so weitreichende Auswirkungen nicht nur auf die Ölpreise selbst - auf Russland entfallen etwa 12 Prozent der weltweiten Öllieferungen -, sondern auch auf die weltweiten Lieferketten haben, dass sich der Westen zu einem Rückzieher genötigt sehen würde und die Maßnahmen mindestens abschwächen müsste. Auch dafür gibt es Beispiele aus der Vergangenheit, zuletzt die Sanktionen gegen den russischen Aluminiumhersteller Rusal im Jahr 2018.
Perfekte Sanktionen gibt es nicht
Klar ist, dass es die eine perfekte Sanktion nicht geben kann. Wenn auch die Ölpreisobergrenze ihre Aufgabe weitgehend erfüllt hat, verliert sie mit der Evolution Moskaus an Schärfe. Zukünftig wirksame Maßnahmen dürften eher langfristig angelegt sein und sich gegen die technologische Ausstattung der russischen Energieunternehmen richten. Russlands bestehende Öl- und Erdgasfelder erschöpfen sich, und das Land benötigt dringend westliche Technologie und Know How, um neue zu erschließen. Verwehrt man Moskau den Zugang dazu, wird die Aufrechterhaltung der Energiekapazität maßgeblich erschwert. Eine schnell wirkende Maßnahme ist dies jedoch nicht.