Zwar tobt der Konflikt im Nahen Osten mit unverminderter Härte weiter, an den Märkten haben sich die darauf zurückzuführenden Risikoprämien jedoch abgebaut. Dies kann als Folge eines gewissen Gewöhnungseffekts gewertet werden, angesichts dessen dieser Preistreiber nun verpufft, doch neue Erkenntnisse in Sachen Inflations- und Zinsentwicklung sorgen unmittelbar für frische Impulse. Sich abschwächende US-Arbeitsmarktdaten, im Oktober überraschend deutlich gesunkene Preissteigerungsraten und verschiedene nachgebende Wirtschaftsindikatoren sprechen dafür, dass die Fed ihren laufenden geldpolitischen Straffungszyklus beenden wird. Gestützt durch wieder kräftig nachgebende Anleiherenditen und einen einbrechenden US-Dollar beflügelt dies nicht nur die Edelmetalle, auch der Agrarsektor und die Energiemärkte profitieren.
US-Inflationsdaten im Fokus
Schon die Anfang des Monats im Ergebnis ereignislose Zinssatzentscheidung der US-Notenbank samt der daran anschließenden, von den Märkten als eher dovish empfundenen Pressekonferenz von Fed-Chef Jerome Powell, sorgte für freudige Erwartung hinsichtlich eines nun nahen Endes des in den USA aggressivsten geldpolitischen Straffungszyklus seit 40 Jahren. Die kurz darauf folgenden US-Arbeitsmarktdaten (Non-Farm-Payrolls und Lohnwachstum) sowie verschiedene weitere Wirtschaftsindikatoren fielen allesamt eher verhalten aus und unterfütterten eben jene Erwartung weiter. Bereits vor Veröffentlichung der jüngsten US-Verbraucherpreisdaten hatte sich der Konsens dahingehend verschoben, dass die Phase der Zinserhöhungen nun vorbei und die nächste Zinssenkung nur noch eine Frage der Zeit sei. Die am vergangenen Dienstag veröffentlichten Inflationszahlen für Oktober lieferten dann eine sehr ermutigende Überraschung – und schoben die Finanz- und Rohstoffmärkte ordentlich an. So zeigten die US-Verbraucherpreisdaten eine deutliche Verlangsamung sowohl der Gesamtinflationsrate als auch der für die Währungshüter bedeutsameren Kerninflation. Beide lagen mit 3,2% beziehungsweise 4,0% sowohl unter ihren Septemberwerten als auch unterhalb der Erwartungen, was die Tendenz der Notenbank zu einer nun weniger restriktiven Geldpolitik bestätigt.
Kritisch anzumerken ist, dass die unterschiedlichen Inflations-Messgrößen alle in dieselbe Richtung weisen: nach unten. Dies gilt für den "getrimmten Mittelwert" (trimmed mean) der Federal Reserve von Cleveland (der die größten Ausreißer in beide Richtungen ausschließt und den Durchschnitt der übrigen Werte bildet), den Atlanta Fed Sticky Price Index (der Waren und Dienstleistungen erfasst, deren Preise nur schwer zu senken sind), das "Kernmaß“, das die volatilen Lebensmittel- und Energiepreise ausschließt, und den derzeit von der Fed so geliebten "Superkern", der nur Dienstleistungen berücksichtigt und Unterkünfte ausschließt. All diese Messgrößen gehen langsam zurück, liegen aber noch über der Obergrenze des Fed-Ziels von 3% - aber zumindest die Richtung der Entwicklung stimmt. Sehr wichtig ist auch, dass der Anstieg des Superkerns im letzten Monat nach einer Reihe von bedrohlichen Steigerungen deutlich geringer ausfiel. Die jüngste Umfrage der Bank of America unter Fondsmanagern ergab, dass die Anleger so optimistisch wie seit der globalen Finanzkrise nicht mehr in Anleihen investiert haben. Eine überwältigende Anzahl von Anlegern geht offenbar davon aus, dass die langfristigen Zinssätze im nächsten Jahr sinken werden. Aktuell wird die Wahrscheinlichkeit für eine erste Zinssenkung bereits im März mit einer Wahrscheinlichkeit von 30% eingepreist. Weitere Hinweise auf den künftigen Zinspfad der Zentralbank könnten am Dienstag folgen, dann wird das Protokoll der Fed-Entscheidung vom November veröffentlicht.
Märkte reagieren erfreut
Sowohl die Finanz- als auch die Rohstoffmärkte erhielten durch die jüngsten Inflationsdaten einen weiteren Schub. Der S&P 500 beendete die dritte Woche in Folge mit einem kräftigen Plus, Gold kratzte nach seiner vorangegangenen kräftigen Korrektur wieder an der 2.000-Dollar-Marke. Insbesondere der Edelmetallsektor profitiert vom neuerlichen Rückgang des Dollars und der Anleiherenditen. Ersterer gab am Dienstag, in Folge der US-Inflationsdaten, so stark nach, wie seit einem Jahr nicht mehr und liegt mittlerweile auf dem niedrigsten Stand seit August. Der Greenback hält ganz offensichtlich an den Erwartungen für Zinssenkungen fest, die sich derzeit auf die erste Hälfte des Jahres 2024 konzentrieren. Dies wird durch die Korrelation der US-Währung mit den Renditen zweijähriger Staatsanleihen bestätigt, die ein guter Indikator dafür sind, wie der Markt zu den Zinswetten steht - und diese Beziehung ist die stärkste seit zwei Monaten. Jenen Wetten auf kommende Zinssenkungen tragen auch die nachgebenden Anleiherenditen Rechnung. Die 10-jährige US-Rendite gab in der vergangenen Woche um mehr als 20 Basispunkte nach.
Auch Erdöl mit Chancen
Vor diesem Hintergrund sind nicht nur die sehr währungs- und zinssensibel reagierenden Edelmetallmärkte interessant. Am vergangenen Donnerstag brach der Erdölmarkt regelrecht ein, Rohöl der Sorte WTI handelte zeitweise nahe de 72 Dollar-Marke, fast 24% unterhalb seines Höchststandes von Ende September. Der 5,5%-Ausschüttler dieses Tages ist fundamental kaum zu begründen, leicht steigendes Angebot aus den USA, Brasilien und, ab Dezember, Guyana sowie moderat steigende Lagerbestände reichen dafür nicht aus, eher zeigte sich hier die auch anderswo gelegentlich zu beobachtende Entkopplung von Terminbörse und physischem Markt. Dort bleibt die Lage weiterhin angespannt, zudem rechnen Händler nach wie vor mit einer Verlängerung der OPEC+-Förderkürzungen. Saudi-Arabien dürfte die Verlängerung bis über das Jahresende hinaus wahrscheinlich während der OPEC+-Sitzung am 26. November bekannt geben. Insbesondere, da das aktuelle Preisniveau für Saudi-Arabien die Schmerzgrenze darstellen dürfte, was eine Produktionssteigerung unwahrscheinlich macht. Dies ist gerade in Kombination mit einem Schwenk in der Zinspolitik für die Erdölbullen sehr begrüßenswert, denn vor allem die hartnäckig hohen Zinssätze liefern Gegenwind für die Ölnachfrage. Zudem sind nach Expertenmeinungen die geopolitischen Gefahren so hoch wie seit 50 Jahren nicht mehr, was bis auf weiteres gleichermaßen für Risiken und Chancen sorgt. Das israelische Schiff, welches im Roten Meer von vom Iran unterstützten Rebellen beschlagnahmt wurde, ist das aktuellste Beispiel für diese Risiken, weckt die Aktion doch Befürchtungen, dass der Krieg zwischen Israel und Hamas zu einer Unterbrechung des Schiffsverkehrs in der Region führen könnte. Mit entsprechenden Auswirkungen auf die Preise der dort beförderten Güter.
Indien stützt Goldpreis
Zu den ohnehin aktiven Zentralbanken – die ihre Bestände bis Ende September bereits mit insgesamt 800 Tonnen Gold aufgestockt hatten und laut World Gold Council auf dem besten Wege sind, ihre Rekordzukäufe des Vorjahres in 2023 noch einmal deutlich zu übertreffen – kommt aktuell Indien, der weltweit zweitgrößte Goldimporteur, als bedeutender Sonderfaktor hinzu. Die Goldeinfuhren des Landes stiegen im vergangenen Monat im Jahresvergleich um 60%, oder 123 Tonnen, auf ein 31-Monatshoch an. In den letzten zehn Jahren lagen die durchschnittlichen monatlichen Einfuhren im Oktober bei rund 66 Tonnen. Zwar sind die indischen Nachfragemeldungen immer mit ein wenig Vorsicht zu genießen, da sie starken Saisonalitäten unterliegen. Die Inder feierten im Oktober das hinduistische Fest Dussehra und letzte Woche Diwali, bei denen der Kauf von Gold als Glücksbringer gilt. Die lokalen Gold-Futures stiegen vergangene Woche nachfragebedingt auf ein Rekordhoch von umgerechnet mehr als 2.100 US-Dollar pro Unze an. Im November könnten die Goldeinfuhren nun auf 80 Tonnen sinken, was angesichts der steigenden Nachfrage während der bevorstehenden Hochzeitssaison aber immer noch über den 67 Tonnen des Vorjahres liegen würde, und ein weiterer stützender Faktor wäre.