Finanzen

Die Zinswende erschüttert die globalen Schuldentürme

Der Zinsanstieg erschüttert die weltweit aufgebauten Schuldenberge. Das Beispiel der explodierenden Zinskosten in den USA zeigt, wohin die Reise auch für Deutschland geht.
10.11.2023 15:33
Aktualisiert: 10.11.2023 15:33
Lesezeit: 5 min
Die Zinswende erschüttert die globalen Schuldentürme
Der Zinsanstieg erschüttert die weltweit aufgebauten Schuldenberge. Werden die Zentralbank bald intervenieren? (Bild: istockphoto.com/chokchaipoomichaiya) Foto: chokchaipoomichaiya

Die Regierung der Vereinigten Staaten wird infolge der geldpolitischen Wende der Zentralbank mit einer drastischen Verschärfung der Haushaltslage konfrontiert. Die gestiegenen Zinsen im Markt für Staatsanleihen werden sich Berechnungen zufolge in den kommenden Jahren in Mehrkosten von mehreren Billionen Dollar materialisieren – Mehrkosten, für deren Deckung die USA weitere Schulden aufnehmen werden müssen.

Zinskosten steigen rapide

Das Congressional Budget Office (CBO) schätzt, dass sich die höheren Zinsen, welche das US-Finanzministerium den Gläubigern aus aller Welt neuerdings für ihre Anleihenkäufe bezahlen muss, in Mehrausgaben zwischen einer und drei Billionen Dollar in den kommenden zehn Jahren niederschlagen wird, berichtet das Wall Street Journal.

Das Problem: die Zinssätze, mit denen das CBO diese Kostenprognosen errechnet hat, sind inzwischen zu niedrig angesetzt. So kalkulierte die Behörde bei Anleihen mit dreimonatiger Laufzeit mit einem Durchschnittszins von 4,2 Prozent. Derzeit liegt das Zinsniveau in diesem Marktsegment allerdings bei rund 5,5 Prozent (Stand: 10 November 2023).

Mit Blick auf Anleihen mit 10 Jahren Laufzeit kalkulierte das CBO mit 3,9 Prozent. Inzwischen muss der amerikanische Staat für diese Papiere aber rund 4,65 Prozent bezahlen.

Erstmals überhaupt in der Geschichte des Landes nähert sich das Zinsvolumen, welches das Finanzministerium den Gläubigern im Laufe eines Jahres überweisen muss, der Marke von einer Billion Dollar, wie der Finanzblog Zerohedge kürzlich unter Verwendung von Daten des Finanzministeriums errechnet hat.

Ohnehin steigt die Zinslast seit einigen Jahren infolge der ungehemmten Schuldenaufnahme der USA rasch an. Bereits im vergangenen Finanzjahr, das am 30. September endete, belief sie sich auf 879,3 Milliarden Dollar. Im Finanzjahr davor musste die US-Bundesregierung in Washington „nur“ 717,6 Milliarden Dollar für Zinsen ausgeben.

Im Mai ließ eine andere Schätzung des CBO aufhorchen: Demnach würden sich die Zinskosten bis zum Jahr 2033 kumuliert auf rund 10,6 Billionen Dollar summieren, was im Schnitt mehr als eine Billion pro Jahr wäre.

In der Schuldenspirale

Die US-Regierung ist mit Blick auf die Verschuldung zwei Entwicklungen ausgesetzt, die nicht nur (geo-)politischen, sondern auch gesellschaftlichen Sprengstoff bergen.

Zum Einen sind dies die bereits angesprochenen gestiegenen Zinsen, welche den ohnehin seit vielen Jahren von hohen Defiziten belasteten Haushalt noch stärker in Bredouille bringen.

Wichtig zu verstehen ist, dass sich das höhere Zinsniveau, das die Zentralbank Federal Reserve System seit Sommer 2022 mit einer Serie von Leitzinsanhebungen im Kampf gegen die hartnäckig hohe Inflation geschaffen hatte, erst in den kommenden Monaten und Jahren in den Staatsschulden und den Zinskosten niederschlagen wird.

Das Wall Street Journal zitiert die Denkfabrik Peter G. Peterson Foundation mit einer Berechnung, wonach in den kommenden beiden Jahren rund 11 Billionen Dollar öffentlicher Schulden refinanziert werden müssen. Da die hohe Inflation strukturelle Gründe hat, dürfte das Zinsniveau auf absehbare Zeit erhöht bleiben und die Refinanzierung dieser auslaufenden Altschulden erschweren.

Zum Zweiten ist eine Schuldenspirale in Gang gesetzt worden. Da der US-amerikanische Haushalt keine Überschüsse erwirtschaftet, müssen die anlaufenden beträchtlichen Defizite ständig mit Neuschulden geglättet werden.

Es wird also nicht nur die Refinanzierung der Altschulden deutlich teurer, sondern die Haushaltsdefizite müssen in der aktuell hohen Zinslandschaft mit neuen Verbindlichkeiten ausgeglichen werden – wobei die dadurch generierten Zinskosten wiederum mittelfristig mit neuen Schulden bedient werden müssen.

„Wir zahlen die Schulden nicht zurück und sind deshalb nicht irgendwann schuldenfrei. Sondern wir leihen uns mehr und mehr und mehr und lösen alte Schulden mit neuen ab – und bei der Refinanzierung sind wir dann mit jenen Zinsen konfrontiert, die zu diesem Zeitpunkt gefordert werden“, zitiert das Wall Street Journal den Präsidenten der Peterson Foundation, Michael Peterson.

Peterson geht näher auf die Schuldenspirale und die Wechselwirkung zwischen Zinsen und Schulden ein: „Wegen der hohen Inflation und der hohen Zinsen sehen wir einen dramatischen Anstieg der Zinslast. Und wenn Sie ohnehin schon Defizite erwirtschaften und schon jetzt ihre Rechnungen nicht bezahlen, dann bedeutet jeder zusätzlich ausgegebene Dollar für die Zinsen einen zusätzlichen Dollar neuer Schulden, was wiederum einen weiteren Anstieg der Zinsen nach sich zieht. Wenn man sich Geld leiht, um seine Zinsen zu bezahlen, entsteht also eine Abwärtsspirale und die Zinsen steigen weiter.“

Verbindlichkeiten außer Kontrolle

Die Schulden der US-Regierung und nahezu aller anderen Länder der westlichen Welt steigen seit Jahren rasant. Im Zuge der Corona-Pandemie wurde die Entwicklung noch dynamischer, weil die Staaten den politisch verordneten Stillstand der Wirtschaft und des alltäglichen Lebens mit neu aufgenommenen Schulden bezahlten.

Noch während der Finanzkrise im Jahr 2007 lagen die Verbindlichkeiten der US-Bundesregierung bei unter 10 Billionen Dollar. Inzwischen, nur 16 Jahre später, haben sie sich auf knapp 33,7 Billionen Dollar mehr als verdreifacht.

Wohlgemerkt: hier handelt es sich nur um die Schulden der Zentralregierung. Auch die Verbindlichkeiten von Bundesstaaten, Unternehmen und Privathaushalten waren in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen und werden nun durch die gestiegenen Zinsen in ihrer Tragfähigkeit spürbar beeinträchtigt.

Selbiges gilt natürlich auch für die meisten europäischen Staaten und viele andere Länder auf der ganzen Welt.

In Deutschland, dessen Regierungen in der Vergangenheit einen konservativen Kurs in der Haushaltspolitik verfolgten und sogar eine Schuldenbremse im Grundgesetz verankert hatten, sind die Verbindlichkeiten des Staates inzwischen auch wieder deutlich gestiegen und nähern sich der Marke von 2,5 Billionen Euro.

Bemerkenswert ist der Umstand, dass die Bundesregierung diese Neuschulden in vielen Fällen in sogenannten Sondervermögen verbuchte, um sie so vor der Anwendung der Schuldenbremse zu verbergen – eine Gangart, die verfassungsrechtlich fragwürdig und mit Blick auf die langfristig negativen Auswirkungen zu hoher Schulden sowieso unerheblich ist.

„Die Schuldenlast führt bei den gestiegenen Zinsen dazu, dass Zinszahlungen im jährlichen Haushalt einen immer größeren Anteil einnehmen werden und damit das Geld fehlt für 'sinnvolle' Ausgaben oder Investitionen“, sagte der Chefvolkswirt der ING-Bank, Carsten Brzeski, vor einiger Zeit. Die Schuldenquote in Deutschland sei zwar verglichen mit den meisten anderen Euro-Staaten gering. „Wir können es uns also noch leisten. Allerdings ist der Anstieg ein deutliches Zeichen, dass auch Sondervermögen kein Vermögen ist, sondern ganz einfach zusätzliche Schulden.“

Intervenieren die Zentralbanken?

Das es bislang zu keiner ernsten Schuldenkrise in Europa oder in den USA kam, lag an den massiven Interventionen der Zentralbanken im Nachgang der letzten Finanzkrise. Künstlich auf Null gedrückte Leitzinsen und massive Ankäufe von Staatsanleihen (wobei es sich faktisch um eine Art direkter Staatsfinanzierung handelte) sorgten ab dem Jahr 2008 dafür, dass „teure“ Altschulden auf breiter Front mit „günstigen“ Neuschulden refinanziert werden konnten.

Es bleibt abzuwarten, ob die Zentralbanken angesichts der restriktiven Wirkung hoher Zinsen und einer absehbaren Rezession der Realwirtschaft ihren Straffungskurs beibehalten werden, oder nicht doch bald wieder die Zinsen senken und die Finanzsysteme mit aus dem Nichts geschaffenen Geld fluten werden. Sowohl die US-Notenbank als auch die Europäische Zentralbank haben ihre Leitzinserhöhungen derzeit ausgesetzt und diskutieren die weitere Vorgehensweise.

Misstrauen in Dollar und Euro nimmt zu

Ein weiterer Faktor, der die Entwicklung der Verschuldung in den USA und Europa wahrscheinlich zunehmend unvorteilhaft beeinflussen wird, soll zuletzt kurz beleuchtet werden: die schrittweise Abkehr, die mehrere Zentralbanken vom US-Dollar und vom Euro eingeleitet haben.

Allen voran Russland und China schichten ihre Währungsreserven seit einigen Jahren zulasten von Dollar und Euro um, trennen sich verstärkt von amerikanischen Staatsanleihen und versuchen, auch den Handelsverkehr ihrer Unternehmen schrittweise auf die eigenen Währungen beziehungsweise die Währungen der Handelspartner umzustellen.

Diesem Beispiel folgen seit Ausbruch des Ukraine-Krieges immer mehr Entwicklungsländer aus Südamerika, Afrika und Asien.

Den institutionellen Rahmen bilden Strukturen, deren Aufbau unter Führung der genannten Länder vorangetrieben wird und die als Alternative zu Organen des westlichen Finanzsystems dienen.

So treten die Asiatische Infrastruktur- und Entwicklungsbank und die New Development Bank als Alternativen zu Weltbank und Internationalem Währungsfonds auf, während die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit und der BRICS-Bund die bislang dominante Stellung der G7-Plattform und der NATO in der Geopolitik herausfordern und auf eine „multipolare“ Welt hinarbeiten.

Sollten sich die Absatzbewegungen weg von Dollar und Euro vertiefen, könnte auch die Nachfrage nach neuen amerikanischen und europäischen Schuldtiteln aus Übersee perspektivisch abnehmen – und dadurch die Zinsen für diese Papiere weiter in die Höhe treiben.

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