Die Levante: Grenzgebiet zwischen Ost und West
Ein Erdteil rückt in letzter Zeit wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein: das Land des Sonnenaufgangs, auch Levante genannt. Dieser geografisch nicht eindeutig abgegrenzte Sektor umfasst Israel, palästinensische Autonomiegebiete, Jordanien, Syrien und den Libanon. Schon seit Jahrtausenden ist die Levante ein Grenzgebiet zwischen Ost und West. Unabhängig von der religiösen Dimension des Konflikts zwischen Israel und seinen Nachbarn streiten auch die Weltmächte USA, China und Russland um Einfluss in der Region. Die Dominanz der USA könnte indessen gebrochen werden, während China aufsteigt.
Dieser Machtwechsel kommt einem geopolitischen Erdbeben gleich, obwohl es historisch gesehen schon immer eine Dynamik der großen Mächte in der Levante gegeben hat. Auf die Besiedlung durch jüdische Stämme folgte die Eroberung Israels durch die römische Republik. Nach Pompeius´ Einmarsch in Judäa im Jahr 63 v. Chr. diente die Levante für sieben Jahrhunderte als Kolonie und Bollwerk gegen östliche Reiche wie das der Parther. Mit der Einverleibung durch das Osmanische Reich wurde sie zum unverzichtbaren Standort islamischer Herrschaft, von dem aus Handel und Eroberungsfeldzüge betrieben wurden.
Wider die „Normalisierung“ mit Saudi-Arabien
Nach dem Ersten Weltkrieg geriet das Gebiet in den britischen, schließlich in US-amerikanischen Einflussbereich. Dies könnte sich jetzt ändern. Seit dem unerwarteten Angriff der Hamas auf israelisches Gebiet am 07. Oktober 2023 tut sich der Westen schwer, Israel vollumfänglich zu unterstützen. Mehr noch: Eine Normalisierung Saudi-Arabiens mit Israel wurde nach den Gegenangriffen Israels auf Gaza gestoppt. Zuvor hatte Riad versucht, eine Deeskalationspolitik im Nahen Osten zu forcieren und mit Israel zum Gravitationszentrum in der Region aufzusteigen.
Diese Allianz Israels und Saudi-Arabiens mit Rückendeckung aus Washington hätte zu mehr Stabilität im Nahen Osten führen sollen, aber auch einen Affront gegen den Erzfeind beider Länder, Iran, bedeutet. Irans „Achse des Widerstands“, die Syriens Regierung, Jemens Huthis, die Hamas, Hisbollah und diverse schiitische Milizen im Irak umfasst, gilt als Gegenstück zur US-freundlichen Allianz Israels und Saudi-Arabiens. Als Reaktion auf die Attacken der IDF im Gazastreifen zeigten sich aber auch wichtige Akteure, wie Ägyptens Präsident Al-Sisi, empört. Israel wurde infolgedessen nicht zu dem in Kairo ausgeführten Friedensgipfel eingeladen.
Doch auch westliche Länder, traditionell eng mit Israel verbunden, schaffen es nicht, eindeutig Stellung zu beziehen. Lippenbekenntnisse und militärische Hilfen für Israel stehen schon seit Jahren der Entwicklungshilfe an Palästina und Handelsbeziehungen etwa mit Katar entgegen. So können die USA zwar punktuelle militärische Vorstöße der IDF mit Flugzeugträgern und Aufklärung unterstützen, den Krisenherd Nahost jedoch nicht langfristig befrieden. Grund hierfür mag auch der ständige Konflikt der Weltmacht mit dem Iran sein, der nicht zuletzt von Washington immer wieder befeuert wird.
BRICS-Staaten fordern Waffenruhe
Die elf Schwellenländer umfassende BRICS-Gruppe überrascht jüngst mit ihrer Forderung nach einer regionalen Waffenruhe. Russland, dem vonseiten westlicher Medien stets attestiert wird, die Hamas indirekt zu unterstützen, und China, das sich bislang aus Fragen des Nahostkonflikts heraushielt, äußern sich ungewohnt klar zu dem Konflikt. Xi konstatierte, es sei notwendig, die „Stimme der Gerechtigkeit und des Friedens in der israelisch-palästinensischen Frage“ zu erheben. Der Tenor des virtuellen Sondergipfels war, eine Eskalation des Konflikts zu verhindern.
Wang Yi, Chinas Außenminister, sagte, der Umstand, dass dem palästinensischen Volk das Recht auf Eigenstaatlichkeit lange verwehrt worden sei, wäre der Hauptgrund für den lange anhaltenden Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Entsprechend sollte die Zwei-Staaten-Lösung umgesetzt werden. Wladimir Putin erklärte, es sei von größter Bedeutung, dass sich der Konflikt nicht im gesamten Nahen und Mittleren Osten ausbreite und der Frieden zwischen den Religionen gewahrt werden müsse.
In einem als „Friedensplan“ deklarierten 12-Punkte-Papier hatte Peking bereits im März 2023 eine Feuerpause im Ukrainekonflikt gefordert. Zwar waren die Punkte nicht sonderlich konkret, zeugten jedoch von der Ambition Pekings, sich auch in ehemals US-amerikanisch dominierten Gebieten politisch zu positionieren. Diese Symbolik tritt auch im Nahostkonflikt zutage. So traf Chinas Außenminister Wang Yi seinen saudi-arabischen Amtskollegen Faisal bin Farhan Al Saud in Peking, wo dieser ihn als guten Freund und Bruder der arabisch-islamischen Welt lobte. Peking genießt auch Rückendeckung von den arabischen Staaten, weil es die Empörung über Israels Vorgehen gegen die Palästinenser, die im globalen Süden herrscht, teilt.
Der Westen im Rückzug
So schwammig Chinas Forderungen nach Frieden auch klingen mögen, so eindeutig sind die wirtschaftlichen Bestrebungen Pekings in der Region. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten sind BRICS-Neumitglieder, die am 1. Januar 2024 dem Bündnis beitreten werden. In Normalisierungsbestrebungen zwischen Iran, Saudi-Arabien und anderen Staaten am Persischen Golf übt Peking seit März 2023 eine Führungsrolle aus. Seit 2022 gehört Syrien zur Neuen Seidenstraße, auch Iran trat der Initiative bei. Überdies ist China Libanons wichtigster Handelspartner und hegt eine enge politische Beziehung zu Beirut, ebenso wie mit Jordanien. Es scheint damit offensichtlich, dass Peking eine immer stärkere Rolle in der Vermittlung von Konfliktfragen im Nahen und Mittleren Osten einnehmen wird.
Anstatt eines endlosen Wettstreits Israels mit seinen Nachbarn und zweier Allianzen im Nahen und Mittleren Osten streben die BRICS-Staaten eine friedliche Lösung in der Levante an. Damit diese gelingen kann, bedarf es allerdings intensiver Dialoge, auch mit Israel und dessen größtem Unterstützer aus dem BRICS-Bündnis, Indien. Beide werden bisher weitgehend in den Bekundungen ausgeblendet. Cyril Ramaphosa gab zu bedenken, dass die Sichtweisen innerhalb des Bündnisses durchaus unterschiedlich seien. Doch alle seine Mitglieder hätten „eine gemeinsame Vision für eine bessere Welt.“ Die Levante könnte eine der ersten Regionen der Welt werden, in der diese bessere Welt erprobt wird.