Weltwirtschaft

100 Jahre Hyperinflation: Könnte sich das wiederholen?

Lesezeit: 4 min
26.11.2023 10:48  Aktualisiert: 26.11.2023 10:48
Die Weimarer Republik durchlebte im Jahr 1923 außerordentlich hohe Inflation. Könnte das in der Eurozone ebenfalls passieren? Ökonom Steve Hanke, Professor der John-Hopkins-Universität, gibt Antworten.

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Die Große Inflation von 1923 ist tief im kollektiven Bewusstsein der Deutschen verankert. Sie dürfte mit ein Grund sein, weshalb die Deutschen noch heute mehr als andere Nationen Inflation fürchten.

Damals fehlten grundlegende Waren des täglichen Bedarfs wie Heizkohle oder Lebensmittel. Die Kleinkriminalität stieg stark an. Alle Geldeinnahmen wurden sofort ausgegeben, weil die Mark sehr rasch an Wert verlor. Die Menschen lebten nur noch in den Tag hinein. Der Gassenhauer jener Zeit war „Wir versaufen unsrer Oma ihr klein Häuschen“ des Komikers Robert Steidl. Wer Geldvermögen hatte, verlor alles.

Hyperinflationsexperte gibt Entwarnung

Der Ökonom Steve Hanke gibt indes auf DWN-Anfrage Entwarnung. „Die Eurozone ist noch lange nicht von einer Hyperinflation bedroht“, erklärt der Professor der John-Hopkins-Universität, der als einer der führenden Hyperinflationsexperten gilt.

Derzeit betrage die Inflationsrate in der Eurozone 2,9 Prozent pro Jahr. „Das liegt deutlich unter der akzeptierten Schwelle für Hyperinflation, die 50 Prozent pro Monat für einen Zeitraum von 30 aufeinanderfolgenden Tagen beträgt“, erklärt Hanke. 50 Prozent pro Monat entspricht einer Jahresinflationsrate von knapp 13.000 Prozent.

Hanke ist außerdem skeptisch, ob die Eurozone in den kommenden 5 bis 10 Jahren in eine Hyperinflation rutschen könnte. Hyperinflationen seien extrem selten und nicht voraussagbar. „Seit der französischen Hyperinflation von 1795 kam es lediglich zu 66 Hyperinflationen“, erklärt Hanke, der in den Achtzigern auch dem Council of Economic Advisors unter Ronald Reagan angehörte.

Laut den Forschungen von Hanke treten Hyperinflationen vor allem auf, wenn sich Staaten in einer existenziellen Krise befinden. Etwa gilt das für die Zeit in und nach den Weltkriegen – zum Beispiel für Ungarn (1945-46), Polen (1942) oder Griechenland (1941-45). Zahlreiche Ostblockstaaten erlebten nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs Hyperinflation – etwa Georgien (1993-94) oder Jugoslawien (1989).

Die deutsche Hyperinflation hatte ihren Ursprung im Ersten Weltkrieg. Die Reichsbank setzte die Golddeckung der Mark drei Tage nach Kriegsbeginn aus, um den Krieg über die Notenpresse finanzieren zu können. Nach Schätzungen kostete der Krieg insgesamt 154 Milliarden Reichsmark. Das war mehr als das Dreifache der Wirtschaftsleistung des Jahres 1913. 40 Prozent wurden über die Notenpresse finanziert, 60 Prozent über Anleihenverkäufe an die Bürger.

Aufgrund der Kriegsniederlage konnte Deutschland die Kriegskosten nicht auf andere Länder abwälzen und musste Reparationen von 132 Milliarden Goldmark bezahlen. Dazu kamen Kriegsfolgekosten für etwa die Versorgung von Invaliden und den Wiederaufbau. Um das zu finanzieren, griff die Reichsregierung wieder auf die Notenpresse zurück.

Preise verdoppelten sich alle 3,7 Tage

Bereits Mitte 1921 – also weniger als drei Jahre nach dem Krieg – stiegen die Preise deutlich. Laut Hanke knackte die Inflationsrate bereits im August 1922 die Marke von 50 Prozent pro Monat (knapp 13.000 Prozent pro Jahr).

Aber erst im Jahr 1923 eskalierte die Inflation vollends. Deutschland war mit den Reparationen in Rückstand geraten. Daraufhin marschierten französische und belgische Truppen in das Ruhrgebiet ein.

Die Reichsregierung rief die Bevölkerung zum passiven Widerstand auf. Zwei Millionen Menschen legten die Arbeit nieder. Die Löhne finanzierte der Staat aus dem Haushalt, aber konnte zu diesem Zeitpunkt bloß noch 15 Prozent der Ausgaben über Einnahmen decken. Für den Rest griff die Regierung auf die Notenpresse der Reichsbank zurück.

Die Reichsbank hatte die Geldmenge bereits im Jahr 1922 verneunfacht. Im Jahr 1923 stieg der Geldumlauf um den Faktor 250.000. Bis zum November 1923 beschleunigte sich die Teuerung daher rasant. Die monatliche Inflationsrate erhöhte sich bis auf 29.500 Prozent. Das durchschnittliche Preisniveau stieg also um 20,9 Prozent pro Tag, wie aus den Zahlen von Hanke hervorgeht. Die Preise verdoppelten sich alle 3,7 Tage.

Etwa lag der Brotpreis bei 50 Pfennig im Jahr 1918. Im Jahr 1922 stieg er auf 163 Mark. Danach ging es weiter auf 250 Mark (Januar 1923), 3465 Mark (Juli 1923), 1,5 Millionen Mark (September 1923) und 201 Milliarden Mark (November 1923).

Geldersparnisse wurden komplett entwertet. Sachwerte wie Immobilien und Gold behielten zwar ihren Wert, aber wurden im Zuge der späteren Währungsreform teilweise enteignet. Ende 1923 kam ein Goldverbot und im Jahr 1924 die Hauszinssteuer auf Immobilien, die einer Art Vermögenssteuer gleichkam.

Wie geht es mit dem Euro weiter?

Hanke rechnet indes in der Eurozone mit sinkenden Preisen. Bereits der große Ökonom Milton Friedman habe erklärt, dass Inflation immer und überall ein monetäres Phänomen sei. Derzeit schrumpfe aber die Geldmenge M3 in der Eurozone mit 1,3 Prozent pro Jahr. „Sollte die EZB die Geldmenge weiterhin verknappen, könnte die Inflation in der Eurozone daher durchaus unter den Zielsatz der EZB von 2 Prozent fallen und möglicherweise sogar in eine Deflation abrutschen“, erklärt Hanke.

Laut den Schätzungen von Hanke müsste M3 um 4,6 Prozent steigen, damit die EZB das Inflationsziel von 2 Prozent pro Jahr erreicht. Auch andere Volkswirte erwarten weiter sinkende Preise aufgrund der rückläufigen Geldmengen im Euroraum. Das könne zu negativen Inflationsraten im Jahr 2024 in der Eurozone führen.

Auf längere Sicht rechnen kritische Ökonomen aber mit einer Inflation über dem historischen Schnitt von 2 Prozent zwischen 1980 und 2021. Die Zeit von relativ niedriger Inflation im längerfristigen Trend sei vorbei. Grund sei der absehbar steigende Geldbedarf der Regierungen, der indirekt über die Notenpresse der EZB bedient werden dürfte.

Etwa verweisen die Ökonomen auf die Kosten der Klimapolitik, steigende Sozialausgaben für Rente und Co. und höhere Rüstungsausgaben aufgrund geopolitischer Konflikte. Gleichzeitig erwarten sie Zinsen unterhalb der Inflationsrate. Anleger könnten daher Teile des Vermögens aus Geldwerten in höher rentierende Sachwerte umschichten, etwa in Aktien, Gold oder Rohstoffe.

                                                                            ***

Elias Huber arbeitet als freier Journalist in Frankfurt am Main und schreibt vor allem über Konjunktur, Edelmetalle und ETFs sowie die ökonomische Lehre der Österreichischen Schule. 


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