Weltwirtschaft

Rekord-Ölproduktion der USA fordert OPEC+ heraus

Lesezeit: 4 min
06.12.2023 16:40  Aktualisiert: 06.12.2023 16:40
Die USA produzieren dieses Jahr so viel Rohöl wie nie zuvor. Dies erschwert die Bemühungen der OPEC+, mit Förderkürzungen die Preise zu stabilisieren. Kommt es nun zum Preiskrieg?
Rekord-Ölproduktion der USA fordert OPEC+ heraus
Die Ölproduktion in den USA hat ein Rekordhoch erreicht und fordert die OPEC+ heraus. (Foto: dpa)

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Wie die U.S. Energy Information Administration letzte Woche mitteilte, stieg die amerikanische Rohölproduktion im September um weitere 1,7 Prozent auf den neuen Rekordwert von 13,236 Millionen Barrel pro Tag. Es war bereits der zweite Monat in Folge, in dem die Rohölproduktion in den USA einen neuen Rekord erreichte. Gegenüber dem Vorjahresmonat stieg die Förderung um 7,4 Prozent.

Dieser Anstieg der Rohölproduktion in den USA ist eine Herausforderung für Saudi-Arabien und seine OPEC⁺-Partner, die ihre eigene Produktion seit dem vierten Quartal 2022 wiederholt gedrosselt haben, um die Preise zu stabilisieren. Die wiederholten Produktionskürzungen der OPEC⁺ waren ein Geschenk an die US-Produzenten, da sie einen noch tieferen Preisverfall abwendeten und den USA mehr Marktanteile überließen.

Der Anstieg der Ölförderung in den USA hat dazu beigetragen, dass die dortigen Rohölvorräte aufgestockt wurden und die Preise seit Beginn des vierten Quartals deutlich nachgegeben haben. Die inflationsbereinigten US-Frontmonats-Terminpreise für Rohöl sind von durchschnittlich 121 Dollar pro Barrel im Juni 2022 auf 90 Dollar im September 2023 und weiter auf 77 Dollar im November 2023 gefallen.

Die Produktion sinkt in der Regel zehn bis zwölf Monate im Anschluss an einen Preisrückgang. Doch die Produktion hat sogar weiter zugenommen. Denn wie Reuters berichtet haben die Bohrunternehmen ihre Effizienz gesteigert, indem sie sich auf die aussichtsreichsten Standorte konzentrieren und längere horizontale Bohrungen durchführen, um den Kontakt mit dem ölhaltigen Gestein zu maximieren.

Trotz höherer Kosten und niedrigerer Ölpreise haben die US-Schieferunternehmen nicht vor, weniger zu bohren. Sie und andere Nicht-OPEC-Produzenten sind heute in der Rolle von Trittbrettfahrern wie die Nordseeproduzenten in den 1980er Jahren. Die Trittbrettfahrer waren die Hauptnutznießer der Entschlossenheit Saudi-Arabiens und seiner Verbündeten, ein Überangebot an Rohöl zu verhindern und die Preise zu stabilisieren.

Gegenüber Trittbrettfahrern verfolgten Saudi-Arabien und die OPEC schon immer die Strategie, diese in das Bündnis einzubinden. In den 1980er Jahren gab es sogar einen Versuch, Großbritannien und anderen Nordseestaaten die Hand zu reichen. Doch dieser Vorstoß scheiterte. Seit den 1990er Jahren wurde versucht, Russland und andere ehemalige Sowjetstaaten einzubeziehen, was 2016 in der Wiener Vereinbarung und der Erklärung zur Zusammenarbeit gipfelte.

Die US-Kartellgesetze verhindern, dass die US-Schieferproduzenten formell mit der OPEC kooperieren. Die OPEC hat jedoch bereits versucht, andere Nicht-OPEC-Schieferproduzenten wie Brasilien in das Koordinierungssystem einzubinden. Die Annäherung an Brasilien und wahrscheinlich auch an Guyana und andere Staaten entspricht dem historischen OPEC-Vorgehen, schnell wachsende konkurrierende Produzenten einzubeziehen.

Denn damit eine Produktionskontrolle funktioniert, muss sie einen ausreichenden Anteil der weltweiten Produktion kontrollieren. Wenn die Anhebung der Preise zu viel ungehindertes Wachstum außerhalb des Kartells verursacht, muss es entweder zu einem Mengenkrieg und einem Preisverfall kommen, um die unkontrollierten Produzenten einzuschränken, oder sie müssen in das Kontrollsystem aufgenommen werden.

OPEC-Preiskrieg gegen die USA?

Zwar haben Saudi-Arabien und seine OPEC⁺-Partner bislang keinen weiteren Mengenkrieg begonnen. Doch nach Ansicht des Energieexperten Paul Sankey könnte Saudi-Arabien bald eine dramatische Kehrtwende einleiten. In einem Interview mit Business Insider sagte er, dass Saudi-Arabien möglicherweise dazu übergehen wird, die Produktion zu erhöhen, um den Markt in der ersten Hälfte des Jahres 2024 mit einer Flut von Angeboten zu überschwemmen.

Und bei dieser Flutung der Ölmärkte würde Saudi-Arabien nicht etwa aufstrebende Produzenten wie Guyana oder Brasilien ins Visier nehmen. „Man muss denjenigen angreifen, der die marginale Entscheidung trifft, ob er bohrt oder nicht - und das ist Mr. Permian Basin“, sagte Sankey und bezog sich dabei auf das Epizentrum der US-Schieferindustrie. Später fügte er hinzu: „Ich denke, um genau zu sein, es ist ein Krieg um Marktanteile.“

Saudi-Arabien produziert derzeit etwa 2,5 Millionen Barrel pro Tag unter seiner maximalen Kapazität. Wenn das Land zusätzliche Lieferungen vornimmt, die die Rohölpreise sinken lassen, wäre das Ziel dabei, die US-Industrie in den „Bankrott“ zu treiben, weil es die Ölförderung unrentabel macht, so Sankey. Diese Taktik hat Riad bereits in den Jahren 2014 und 2020 angewandt, um die Kontrolle über die Ölpreise wiederzuerlangen.

Im Moment mangelt es an Unterstützung durch den Rest der OPEC, da Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate weiterhin mehr Öl produzieren, während der Iran den saudischen Anteil an den chinesischen Rohölimporten auffrisst. Hinzu kommt die nachlassende Nachfrage. „In allen drei Fällen besteht das größte Problem wohl darin, dass die USA bei ihrer eigenen Produktion immer neue Höchststände erreichen und sogar noch weiter steigen“, so Sankey.

Vorerst wird Förderung weiter gedrosselt

In der vergangenen Woche vereinbarten die OPEC-Staaten eine Reduzierung ihrer Produktion um 2,2 Millionen Barrel pro Tag für drei Monate ab dem 1. Januar, wovon etwa die Hälfte von Saudi-Arabien getragen wird. In einem Interview mit Bloomberg sagte der saudische Energieminister Prinz Abdulaziz bin Salman am Montag zudem, dass die Ölförderkürzungen bei Bedarf über das erste Quartal hinaus fortgesetzt werden können.

Doch die weltweiten Energiemärkte sind derzeit offenbar skeptisch, ob die OPEC+ ihre jüngsten Zusagen zur Drosselung der Rohöl-Produktion wirklich ernst nimmt. Nach dem Treffen des Kartells in der vergangenen Woche, bei dem die Mitglieder versprachen, ihre Kürzungen zu verlängern, fielen die Ölpreise. Zwar gab sich am Dienstag auch der Kreml kämpferisch. Doch in der Folge fielen die Ölpreise weiter.

Die OPEC+ könnte weitere Maßnahmen ergreifen, falls die in der vergangenen Woche vereinbarte Produktionskürzung nicht ausreicht, um den Ölmarkt ins Gleichgewicht zu bringen, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Alexander Novak. „Sollten die derzeitigen Maßnahmen nicht ausreichen, werden die OPEC+-Länder zusätzliche Schritte unternehmen, um Spekulationen und Volatilität zu vermeiden.“

Die Vereinbarung zur sollte es dem Markt ermöglichen, sicher durch die Periode der saisonal niedrigeren Nachfrage zu kommen, die normalerweise im ersten Quartal zu beobachten ist, sagte Novak am Dienstag laut der Nachrichtenagentur Tass. Novak sprach einen Tag vor seinem Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien, wo er den russischen Präsidenten Wladimir Putin begleiten wird.

Russland drosselt zwar nicht seine Produktion vorerst nicht, das Land hält sich aber an seine Exportbeschränkungen, sagte Prinz Abdulaziz. Wenn Moskau seine Zusagen nicht einhält, wie dies Anfang des Jahres der Fall war, dann hat es sich stets transparent gezeigt und versprochen, dies wiedergutzumachen. „Wir glauben ihnen“, so der saudische Energieminister. „Ich glaube wirklich, dass sie alles nach Vorschrift machen.“

Für Europa ist dies eine seltene gute Nachricht. Denn hier profitieren die Verbraucher derzeit davon, dass die Ölpreise von den hohen Ständen nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs wieder gesunken sind. Die Abkehr vom russischen Öl war teuer für Europa. Doch die starke Ölförderung in den USA konterkariert die Drosselung der OPEC+, und ein Preiskrieg des Kartells gegen die USA könnte die Preise sogar noch weiter nach unten treiben.


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