Weltwirtschaft

Die drohende Krise bei grünen Metallen ist nicht unvermeidlich

Lesezeit: 6 min
15.12.2023 09:50  Aktualisiert: 15.12.2023 09:50
Die Welt verpflichtet sich zu einer Abkehr von fossilen Brennstoffen, doch die alternativen Mineralien sind rar. Lässt sich die Angebotskrise noch abwenden?
Die drohende Krise bei grünen Metallen ist nicht unvermeidlich
Die drohende Krise bei den grünen Metallen könnte noch verhindert werden, meint Markus Grüne. (Foto: dpa)
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Aus den eben zu Ende gegangenen COP28-Klimagesprächen in Dubai resultiert ein Abkommen, welches die Welt zum ersten Mal zu einer Abkehr von allen fossilen Brennstoffen verpflichtet. Doch an den Mineralien, die für die angestrebte Dekarbonisierung benötigt werden, herrscht Mangel. Lässt sich die Krise bei „grünen Metallen“ noch abwenden?

Das Rennen um die sogenannten „grünen Metalle“, also jener Grundstoffe, die für das ausgerufene Ziel einer CO2-freien (und trotzdem grünen) Welt unbedingt notwendig sind, nimmt weiter Fahrt auf. Jüngst abgeschlossene umfangreiche Lieferabkommen zwischen Großbritannien, der EU, Japan und den USA mit ressourcenreichen Staaten wie Sambia, Namibia, Chile, der Demokratischen Republik Kongo, den Philippinen und der Mongolei sollen die Versorgung sichern. Angesichts der beschlossenen Mammutaufgabe, sowohl hinsichtlich der erforderlichen Mengen als auch mit Blick auf den sehr ambitionierten Zeitplan, bleiben Wetten auf dessen Gelingen riskant.

Alle wollen mehr Metalle

Nach Angaben der Denkfabrik Energy Transitions Commission (ETC) wird für die bis zum Jahr 2050 zu erreichenden Ziele die 15-fache Menge an Windenergie, die 25-fache Menge an Solarenergie, eine Verdreifachung der Stromnetze und eine 60-fache Vergrößerung der Flotte von Elektrofahrzeugen erforderlich sein. Bereits bis 2030 könnte der Bedarf an Kupfer und Nickel um 50 bis 70 %, an Kobalt und Neodym um 150 % und an Grafit und Lithium um das Sechs- bis Siebenfache steigen. Alles in allem wird eine kohlenstoffneutrale Welt im Jahr 2050 35 Mio. Tonnen grüne Metalle pro Jahr benötigen, das prognostiziert die Internationale Energieagentur (IEA). Rechnet man Aluminium und Stahl hinzu, geht die IEA bis dahin von einem Bedarf von über 6,5 Mrd. Tonnen aus. Dabei sind Aluminium, Kupfer und Eisenerz die drei Metalle mit den meisten Anwendungsfällen in Bezug auf grüne Technologien, da sie als einzige sowohl in der Li-Io-Batterietechnologie, in Brennstoffzellen, bei Windenergie und Photovoltaik sowie in elektrischen Motoren eingesetzt werden. Anders ausgedrückt: Diese drei Metalle werden eine unverhältnismäßig hohe Nachfrage nach grünen Technologien erfahren, die sich noch zur ohnehin bereits bestehenden Nachfrage nach den nicht-grünen Anwendungen addiert. Zur Erreichung des Netto-Null-Ziels bis 2050 wäre allein bei Kupfer in den kommenden 27 Jahren eine Neuproduktion von 1,4 Mrd. Tonnen notwendig. Angesichts dessen, dass dies etwa doppelt so viel ist, wie in den vergangenen 3.000 Jahren weltweit produziert worden ist, lässt sich dieses Ansinnen durchaus als „herausfordernd“ bezeichnen. Die ETC rechnet schon bis 2030 mit Engpässen in signifikanten Größenordnungen: etwa 10 bis 15 % bei Kupfer und Nickel und 30 bis 45 % bei anderen Batteriemetallen. Woher diese gigantischen Mengen kommen sollen steht indes nach wie vor in den Sternen. Zwar dürfte Stahl, welcher in diesem Kontext jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielt, weiterhin im Überfluss vorhanden sein, und auch das Angebot an Kobalt, ein Nebenprodukt anderer begehrter Metalle, könnte die Nachfrage für immer übertreffen. Bei sämtlichen anderen aus der Gruppe der 34 durch die EU mittlerweile als kritisch eingestuften Mineralien bleiben die Probleme jedoch bestehen.

Neuproduktion bleibt Nadelöhr

Zwar können die Erzeuger das Angebot aus den vorhandenen Quellen zügig erhöhen, dies würde jedoch nur sehr begrenzte Neumengen liefern. Zweitens können die Unternehmen neue Minen eröffnen, dies benötigt aber Zeit. So erwarten die Analysten von Bloomberg, dass die Nachfrage nach raffiniertem Kupfer allein bis zum Jahr 2040 um 53 % steigen wird, das Minenangebot jedoch nur um magere 16 %. Bergbau ist ein ausgesprochen kompliziertes Geschäft. Eine Mine besteht, neben dem selbstverständlichen ausgedehnten Tunnelsystem oder einem weitläufigen offenen Areal, aus umfangreicher Infrastruktur, wie Straßen, Wasser- und Stromversorgung, Behausungen und Versorgungsmöglichkeiten der Arbeiter. Manchmal werden Eisenbahnlinien errichtet oder ganze Flughäfen erbaut. Bis eine solche Mine in Produktion gehen kann, vergehen Jahre. Bestes Beispiel ist die riesige, vom Bergbaugiganten Rio Tinto betriebene Oyu-Tolgoi-Mine in der Mongolei. Schwierigkeiten aller Art, technisch, administrativ, politisch, verhinderten 20 Jahre lang(!) die erfolgreiche Inbetriebnahme der derzeit weltweit zehntgrößten Kupfermine. Durchschnittlich dauert es 17 Jahre bis eine neue Kupfermine in Betrieb gehen kann, da erscheinen die 4 bis 7 Jahre im Falle von Lithium schon beinahe rasant.

Eine weitere Möglichkeit ist die Wiederinbetriebnahme alter, zwischenzeitlich stillgelegter Minen, doch davor schrecken nicht wenige Bergbauunternehmen zurück. Insbesondere die jüngst enorm angestiegenen Energiekosten halten die Betriebe ab. Energie ist für Miner der größte Kostenblock, und die dort sehr ungünstige Entwicklung macht viele Unternehmungen unattraktiv. Selbst wenn sich die Preise für zum Beispiel Kupfer und Nickel verdoppeln würden, deuten die entsprechenden Kostenkurven der Minen darauf hin, dass nur wenige wieder wirtschaftlich in Betrieb gehen könnten. Am besten stellt sich die Situation noch für Aluminium dar, aber selbst dort müssten die Preise um gut 25 % anziehen, damit sich die Wiederaktivierung stillgelegter Schmelzkapazitäten lohnt.

Die Investitionen der großen Bergbauunternehmen steigen zwar an, jedoch nicht schnell genug. Das Beratungsunternehmen McKinsey schätzt, dass sich die jährlichen Investitionsausgaben im Bergbau bis 2030 auf 300 Mrd. USD verdoppeln müssen, um die Versorgungslücken zu schließen. CRU, ein anderes Beratungsunternehmen, geht davon aus, dass die Ausgaben allein für Kupfer bis 2027 auf 22 Mrd. USD steigen müssen, verglichen mit durchschnittlich 15 Mrd. USD in den vergangenen 5 Jahren. Viel Geld kommt mittlerweile direkt von Kundenseite. Der Autohersteller General Motors investierte 650 Mio. USD in Lithium Americas, ein Bergbauunternehmen in Nevada. CATL, ein chinesisches Batterieunternehmen, gibt Milliarden aus, um Kobalt und Lithium zu beschaffen. Seit Anfang des Jahres haben Pensions- und Staatsfonds 3,7 Mrd. USD in private Bergbauanlagen investiert, so viel wie seit 2013 nicht mehr. Und rund 21 Mrd. USD, die ab 2010 von Private-Equity-Firmen aufgebracht wurden, sind ebenfalls auf der Jagd nach Geschäften

Das Thema Recycling hat man bislang in Bezug auf Batteriemetalle eher stiefmütterlich behandelt, aber hier ziehen die Investitionen nun deutlich an. So konnten Start-ups, die sich auf das Recycling von Batteriemetallen spezialisiert haben, im vergangenen Jahr mehr als 500 Mio. USD einwerben - ein Rekord.

Kollateralschäden werden nicht mehr hingenommen

Nicht zu unterschätzen ist der Umstand, dass nicht jeder mit den politisch getriebenen Umwälzungen konform geht. Insbesondere unter der Bevölkerung der Gebiete, in denen die „sauberen“ Grundstoffe abgebaut werden, regt sich zunehmend Widerstand. Angesichts oftmals eklatant schlechter Arbeitsbedingungen und der massiven negativen Auswirkungen auf die Umwelt lehnen weltweit immer mehr Menschen in den betroffenen Regionen die Entwicklung neuer Minen ab. Somit kristallisiert sich mehr und mehr heraus, dass es nicht nur die technischen Herausforderungen sind, die bezüglich des Erreichens von CO2-Neutralität nicht zu Ende gedacht wurden, sondern dass auch die Bevölkerungen der Staaten, die diese Minen betreiben, damit der Rest der Welt deren Vorteile genießen kann, nicht mehr mitspielen wollen – und das, obwohl diese Arbeitsplätze schaffen und die lokalen Kassen füllen. Interessanterweise gilt das nicht nur für die Länder der sogenannten Dritten Welt. Auch in den USA und Europa sitzt das Hemd näher als die Hose. Wenn im eigenen Garten nach Bodenschätzen gegraben werden soll, sieht die Sache anders aus. Erst jüngst wurde ein objektiv betrachtet relativ unbedenkliches Lithium-Projekt in Serbien auf Eis gelegt. Aus den USA und Südamerika gibt es eine Vielzahl von Beispielen, die zeigen, mit welchen Schwierigkeiten dort tätige Bergbauunternehmen zu kämpfen haben.

Innovationskraft und Preisdruck sind die Schlüssel

Die Energiewende bleibt hochumstritten und ihr Erfolg auf vielerlei Ebenen zweifelhaft. Die dafür notwendigen Metalle tragen nicht umsonst das Attribut „kritisch“, und dieses trifft in mehrfacher Hinsicht zu. Umweltschäden, negative gesellschaftliche Auswirkungen, Regierungen, die mittels zunehmendem Protektionismus ihre Schätze zu schützen suchen sowie enorme Kosten, großer Zeitaufwand und die langsam durchsickernde Erkenntnis, dass die benötigten Mengen bei nicht wenigen der betroffenen Mineralien möglicherweise überhaupt nicht förderbar sind, stellen die Sinnhaftigkeit dieser Idee in Frage. Mit dem jetzigen Stand der Technik, den jetzigen Methoden, wird die befürchtete Krise bei grünen Metallen – und damit den Dekarbonisierungsbemühungen der Welt – unvermeidlich sein. Große Hoffnungen liegen daher in der Entwicklung neuer Technologien, mit denen die vorhandenen Lagerstätten effizienter ausgebeutet werden können und auch noch aus den dort vorhandenen minderwertigen Erzen Material extrahiert werden kann. Bei Kupfer und Nickel werden bereits testweise chemische Verfahren angewandt, mit denen kostengünstig nicht unerhebliche Mehrmengen produziert werden können – allerdings abermals unter Inkaufnahme hoher Umweltbelastungen.

Der größte Teil der Anpassung im nächsten Jahrzehnt wird vermutlich auf die Nachfrageseite zurückzuführen sein. Zum Beispiel sind Auto- und Batteriehersteller eine Art von Käufern, die der Metallmarkt noch nie zuvor hatte. Sie sind äußerst innovativ und preisbewusst und werden bei den ersten Anzeichen einer Angebotsverknappung aktiv. Sie reagieren sehr schnell auf Preisdruck und haben durch sparen im Zuge von Innovationen, die es erlauben, weniger Metall zu verwenden, bereits viel erreicht. Die typische Batterie eines Elektroautos enthält heute nur noch 69 Kg Kupfer, im Jahr 2020 waren es noch 80 Kg. Branchenexperten rechnen damit, dass die nächste Batteriegeneration nur noch 21 bis 50 Kg benötigt und bis 2035 bis zu 2 Mio. Tonnen Kupfer pro Jahr einsparen kann. Auch die Substitution rarer Materialien durch andere, häufig vorkommende, schreitet gerade in der Batterietechnik schnell voran. Weniger Mangan und Kobalt, dafür mehr Nickel, Natrium statt Lithium oder der Einsatz von Silizium - menschliche Innovationskraft kann die sich abzeichnende Krise überwinden. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen stehen allerdings unter Zeitdruck. Seitens der Politik wurden kurze Deadlines gesetzt.

                                                                            ***

Markus Grüne (49) ist langjähriger professioneller Börsenhändler in den Bereichen Aktien, Derivate und Rohstoffe. Seit 2019 arbeitet er als freier Finanzmarkt-Journalist, wobei er unter anderem eigene Börsenbriefe und Marktanalysen mit Fokus auf Rohstoffe publiziert. 


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