MRT, Prothesen oder Implantate: Medizintechnik „Made in Germany“ verspricht höchste Qualität und Standards und gehört zu den gefragtesten auf der Welt. Mehr als eine Viertelmillion Menschen arbeiten laut dem BVMed in der medizinisch-technischen Branche in Deutschland, 90 Prozent davon in klein- oder mittelständische Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten. Rund zwei Drittel aller Produkte wurden im Jahr 2021 für den Weltmarkt hergestellt, die Bundesrepublik ist aktuell die Nummer zwei auf dem Weltmarkt nach den USA. Rund eine halbe Million verschiedene Medizinprodukte werden im Land hergestellt. Doch es gibt berechtige Sorge, diese Marktmacht zu verlieren.
Bürokratie und Regulierungswahn, steigende Kosten für Rohstoffe und fehlende Fachkräfte bremsen die Entwicklung und Innovationskraft langsam aus. Zwar rechnen 66 Prozent der befragten MedTech-Unternehmen in diesem Jahr mit einem besseren Umsatzergebnis in Deutschland als im Vorjahr, aber es reicht noch nicht an die Werte vor der Coronapandemie heran. Beunruhigend sieht die Einschätzung der Unternehmen für das künftige Innovationsklima im Bereich Medizintechnik in Deutschland aus. Auf einer Skala von 0 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut) bewerten die Unternehmen es im Durchschnitt nur noch mit 3,5. Das ist seit Erhebung des Indexes 2012 der absolute Tiefstwert. Was muss sich ändern, wo liegen die Probleme? Fragen an den Experten Dr. André Zimmermann, Partner bei SHS Gesellschaft für Beteiligungsmanagement mbH.
Seit wann läuft es nicht mehr so gut für die deutsche Medtech-Branche? Was sagen die Ergebnisse des BVMed-Index?
Zimmermann: Der SHS-Medizintechnik-Index zeigt nach wie vor ein Wachstum der Medtech-Branche, wenn auch nur ein sehr moderates Wachstum im Jahr 2022. Die Unternehmen in Deutschland wachsen (Umsatz) und schaffen auch weiterhin neue Arbeitsplätze. Kritisch zu beobachten sind die nun drei Jahre in Folge substanziell zurückgehenden Patenterteilungen deutscher Medtech Unternehmen, welche als Maß für die Innovationskraft betrachtet werden. Das kann mittel- und langfristig nachteilig für die Firmen sein, insbesondere für KMUs, die nur über eine kleine Produktpalette verfügen und immer wieder Innovationen für das weitere Wachstum benötigen.
Welche Signale beunruhigen Sie besonders?
Zimmermann: Der SHS-Medizintechnik-Index zeigt für die Jahre 2020-2022 einen Rückgang der Patenterteilungen deutscher Medtech-Unternehmen, und zwar in deutlich steigenden Prozentsätzen (2020: -13%; 2021: -18%; 2022: -27%). Damit scheinen die Firmen substanziell weniger in Innovationen zu investieren. Da der Produktlebenszyklus in der Medizintechnik kurz ist (durchschnittlich 3 Jahre), bedeutet dies, dass die Unternehmen in Zukunft weniger neue Produkte bzw. Produktverbesserungen auf den Markt bringen werden, was die Wettbewerbsposition nachhaltig beeinträchtigen kann.
Vor welchen Problem stehen kleine und mittelständische Unternehmen aus der Branche aktuell?
Zimmermann: Die KMUs müssen gleichzeitig mehrere Themen parallel meistern:
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Steigende Kosten (Personal-, Logistik-, Rohstoffe und Energie)
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Investitionen in Digitalisierung
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Hohe Kosten für die Umsetzung der EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR / IVDR)
Insbesondere der letzte Punkt im Bereich Regulatorik trifft die KMUs, die 93% der Medtech-Unternehmen ausmachen, enorm, da diese Aufgabe sehr viel Personal- und Finanzressourcen bindet. Diese stehen dann nicht für z.B. Innovationen zur Verfügung. Aber gerade die KMUs waren in der Vergangenheit diejenigen Firmen, die wesentliche Innovationen für eine bessere Diagnostik oder Therapie von Patienten entwickelt und an den Markt gebracht haben. Hier scheint es in den letzten 3 Jahren jedoch zunehmend zu klemmen.
Die Medizinprodukteverordnung sieht eine Frist bis 2028 vor, bis dahin müssen Unternehmen eine Anpassung an die neuen Vorgaben vornehmen. Welche sind das im Wesentlichen und was daran bereitet besonders Schwierigkeiten?
Zimmermann: Die Unternehmen müssen deutlich mehr Daten, vor allem auch klinische Daten, zur Verfügung stellen. Dies gilt selbst für Produkte, die seit sehr vielen Jahren voll etabliert am Markt sind und die keine Probleme aus Sicht der Patientensicherheit aufweisen, aber in manchen medizinischen Bereichen häufig verwendet werden. Da solche schon länger am Markt befindlichen Produkte häufig keine hohen Margen aufweisen (insbesondere auch in Nischenmärkten), sind die Kosten für die Medical Device Regulation (MDR) oder In vitro Diagnostic Device Regulation (IVDR) so hoch, dass sich die Zertifizierung für das KMU wirtschaftlich nicht rechnet. Damit wird so manches hilfreiche Produkt vom Markt verschwinden (der BVMed schätz bis zu 20%) und auch einige KMUs werden deswegen wohl aus dem Markt ausscheiden.
Führt die strengere Verordnung zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber unserem stärksten Konkurrenten in dieser Branche, den USA oder anderen Nationen wie China oder Japan?
Zimmermann: Davon ist auszugehen. Die regulatorischen Anforderungen wurden in der EU substanziell angehoben, während in den USA der Zulassungsprozess effizienter gestaltet wurde. Ein wichtiger Faktor ist in diesem Zusammenhang, dass man zwar mit CE eine EU-weite Zulassung erhält, aber es 27 verschiedene Gesundheitssysteme mit unterschiedlichen Erstattungssystemen gibt. In den USA gibt es einen großen mehr oder weniger uniformen Markt bzgl. Zulassung und Erstattung sowie attraktiven Preisen für Medtech-Produkte.
Die Auswirkungen für betroffene Patienten werden dahingehend entsprechend negativ sein, da Innovationen nun vermehrt zuerst in den USA zugelassen werden und erst mit (mehrjähriger) Verzögerung in der EU, d.h. EU-Bürgern stehen verbesserte Therapien ggfs. erst einmal nicht zur Verfügung, was insbesondere bei lebensbedrohlichen Erkrankungen sehr kritisch sein kann.
Wie schätzen Sie die nächsten Jahre für die Branche ein? Werden wir unseren zweiten Platz auf der Welt verlieren?
Zimmermann: Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Klar ist, dass das Risiko einer Wachstumsdelle bei deutschen/europäischen Unternehmen besteht. Da Deutschland knapp 50% Marktanteil (2020) an den innereuropäischen Medtech-Umsätzen in der EU aufweist, sind dt. Unternehmen potenziell überproportional betroffen, insbesondere die KMUs, die 93% aller deutschen Medtech-Firmen ausmachen. Große Unternehmen können die neuen regulatorischen Anforderungen besser abfedern, da sie über große Produktportfolios verfügen und nicht vom Erfolg von einigen wenigen oder im Extremfall nur einem Produkt abhängen.
Welche kurzfristigen Lösungen schlagen Sie vor? Was müsste geändert werden, um eine Abwärtsspirale zu verhindern?
Zimmermann: Die regulatorischen Vorgaben in der EU sollten angepasst werden, idealerweise in einer harmonisierten Form mit den USA (FDA). So wie es aussieht, werden die Schweiz und UK FDA-Zulassungen in ihren Ländern anerkennen, so wie dies auch einige andere Länder schon seit Jahren machen. Das würde die Effizienz für die Unternehmen steigern und sollte die Kosten senken.