Zu Beginn des neuen Jahres steckt Chinas Notenbank geldpolitisch in einer Zwickmühle. Einerseits will sie die maue Wirtschaft ankurbeln, andererseits aber auch den Verfall der Preise nicht begünstigen. Dabei rächt sich nun, dass die Volksrepublik jahrzehntelang auf ein Wachstumsmodell gesetzt hat, bei dem Unsummen in den nunmehr angeschlagenen Immobiliensektor und in die Industrie gepumpt wurden.
Die Verbraucher wurden von den staatlichen Wirtschaftslenkern hingegen eher stiefmütterlich behandelt. Nun steht sogar die Gefahr im Raum, dass eine deflationäre Abwärtsspirale in Gang kommt, wie es in Japan über Jahrzehnte der Fall war. Das Dilemma für die Notenbank besteht darin, dass zur Konjunkturförderung gedachte Zinssenkungen den Preisverfall beschleunigen könnten.
"Ein Großteil der Kredite fließt in den Infrastruktursektor und auch in Überkapazitäten", erläutert Hong Hao, Chefökonom der Grow Investment Group: "Auf diese Weise entsteht tatsächlich weiterer Deflationsdruck. Das ist das Problem." Der Experte geht davon aus, dass die Notenbank ihren Lockerungskurs dennoch fortsetzen wird. Einige Investmenthäuser erwarten, dass es bereits diesen Monat zu Zinssenkungen kommen könnte.
Die am Freitag anstehenden Verbraucherpreisdaten für Dezember verheißen nichts Gutes für die Preisentwicklung: Der Verfall dürfte sich mit einem Minus von 0,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat fortsetzen. Im November waren es sogar 0,5 Prozent - der stärkste Rückgang binnen drei Jahren. Und bei den Erzeugerpreisen, ein früher Signalgeber für die Entwicklung der Inflation, dürfte im Dezember erneut ein dickes Minus stehen: Mit 2,6 Prozent könnte der Rückgang allerdings nicht mehr ganz so kräftig ausfallen wie noch im November mit minus 3,0 Prozent.
Staatsunternehmen im Vorteil
Die Situation erscheint konjunkturell gefährlich: Denn wenn sich Verbraucher in Erwartung weiter sinkender Preise dauerhaft beim Konsum zurückhalten, wird die gesamte Wirtschaft in einem Strudel aus sinkenden Preisen, fallenden Löhnen und Investitionszurückhaltung nach unten gezogen.
China hat bereits damit begonnen, Geldströme aus dem angeschlagenen Bausektor in die Industrie umzuleiten. Zugleich wurde die Infrastruktur im Reich der Mitte mit riesigen Summen ausgebaut, womit aber dem privaten Verbrauch potenzielle finanzielle Ressourcen entzogen wurden. Dabei hat sich die Führung in Peking auf die Fahnen geschrieben, den Konsum im Rahmen eines angepassten Wirtschaftsmodells zu befeuern. Doch zündete die Idee bislang nicht so recht.
Dies zeigt auch der Blick auf die Zahlen zur Kreditvergabe 2023: Von den insgesamt von Januar bis November vergebenen neuen Darlehen im Volumen von 21,58 Billionen Yuan (umgerechnet rund 2,75 Billionen Euro) entfiel nur rund ein Fünftel auf Haushaltskredite. Das meiste Geld erhielten Unternehmen. Analysten gehen davon aus, dass der Löwenanteil von Firmen im Staatsbesitz abgegriffen wurde, die üblicherweise auch an günstigere Kredite staatlicher Banken gelangen. Privatfirmen, insbesondere in Sektoren, die der Staat weniger hätschelt, haben es schwerer.
In einer programmatischen Rede im November in Hongkong versprach Zentralbankchef Pan Gongsheng, die konjunkturfördernde Geldpolitik beizubehalten. Zugleich forderte er Reformen, um die Abhängigkeit der Wirtschaft vom Infrastruktur- und Immobiliensektor zu verringern.
"Um das Risiko einer stärkeren Desinflation abzuwenden, sind eine höhere Nachfrage und ein stärkeres Wirtschaftswachstum erforderlich", meint Frederic Neumann, Chefökonom für Asien bei der Großbank HSBC. Um dies zu erreichen, sei es am besten, nicht nur an der Zinsschraube zu drehen, sondern auch Strukturreformen anzupacken.