Politik

Ökonom: Sanktionen gegen China werden nicht besser funktionieren als gegen Russland

Angesichts des sich intensivierenden Krieges zwischen Israel und der Hamas hat sich die weltweite Aufmerksamkeit weitgehend von der Ukraine nach Gaza verlagert. Das ist verständlich, doch dies ist lange nicht genug.
Autor
avtor
15.01.2024 18:06
Aktualisiert: 15.01.2024 18:06
Lesezeit: 3 min

Anlässlich des nahenden zweiten Jahrestags von Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine ist es wichtig, zu verstehen, warum die beispiellosen westlichen Sanktionen gegenüber Russland eine derart begrenzte Wirkung hatten.

Entgegen den Erwartungen von Analysten ist die russische Wirtschaft infolge der westlichen Sanktionen nicht zusammengebrochen. Stattdessen wächst sie weiter, wenn auch langsamer. Ein offensichtlicher Grund hierfür ist, dass die Nachfrage nach russischen Exporten – insbesondere Öl und Gas – stark bleibt und diese Produkte austauschbar sind. Wenn Europa den Kauf von russischem Öl und Gas einschränkt, kann Russland andere willige Abnehmer wie Indien und China dafür finden. Die größten Kosten, die sich für Russland aus diesem Wechsel der Handelspartner ergeben, sind Transportkosten, jedoch beläuft sich der Kostenanstieg für Öl und andere Wirtschaftsgüter wie Kohle, Gold, Kupfer und verschiedene Rohstoffe nur auf wenige Prozentpunkte.

Die bemerkenswerte Ausnahme ist das schwieriger zu transportierende Erdgas. Vor seinem Einmarsch in der Ukraine war Russland Europas größter Energielieferant und lieferte mehr als 40 % des Erdgases der Europäischen Union. Im Sommer 2022 versuchte Russland, Europa zu „sanktionieren“, indem es seine Gaslieferungen zurückfuhr und schließlich einstellte. Dies führte zu einem kurzfristigen steilen Anstieg der weltweiten Gaspreise, zwang europäische Käufer, viel mehr Flüssigerdgas bei anderen Lieferanten zu bestellen, und schürte Befürchtungen, dass die Energieknappheit das Wirtschaftswachstum abwürgen würde, insbesondere in Deutschland.

Doch waren die Auswirkungen auf die europäischen Volkswirtschaften, insbesondere auf die deutsche, weniger schwerwiegend als erwartet. Entgegen einigen Prognosen gab es keine Rezession. Während es die deutschen Unternehmen schafften, ihren Gasverbrauch um 20% zu senken, sank die industrielle Produktion nicht; Rückgänge in energieintensiven Branchen wurden durch Wachstum in anderen Sektoren ausgeglichen.

Diese Resilienz lässt sich teilweise auf eine Kombination aus gesteigerter Energieeffizienz und der Substitution von Erdgas durch alternative Brennstoffe zurückführen. Zudem sind die Preise für Erdgas wieder auf Vorkriegsniveau gefallen. Entsprechend führte Russlands Versuch, seine Gasexporte als Waffe gegen Europa einzusetzen, zu Einnahmeverlusten, da sich das Gas, das es früher nach Europa lieferte, nicht ohne Weiteres anderswo verkaufen ließ. Die vielgepriesene alternative Pipeline nach China befindet sich immer noch in der Planungsphase, wobei China seine endgültige Zustimmung wiederholt verschoben hat.

Der begrenzte Erfolg der westlichen Sanktionen gegenüber Russland sowie der russischen Gegenmaßnahmen sollte nicht überraschen. Schon viele Länder haben versucht, den Handel als Waffe zu nutzen – mit durchwachsenen Ergebnissen. Zum Beispiel sind Chinas Versuche „wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen“ (der von westlichen Ländern verwendete Begriff, um von anderen verhängte Sanktionen zu beschreiben) gegenüber dem viel kleineren Australien wiederholt gescheitert.

Das Argument, dass Europa sein angeblich „naives“ Bekenntnis zum Freihandel aufgeben sollte, weil andere Länder den Handel als Waffe nutzen, ist daher weniger überzeugend als es zunächst scheint. Durch Schaffung einer strategischen Reserve könnten die europäischen Länder die viel gefürchtete Kontrolle Chinas über kritische Rohstoffe zu einem relativ geringen Preis mildern.

Zudem können die Weltmärkte Alternativen für die meisten in China hergestellten Industrieprodukte bieten. Man darf nicht vergessen, dass die großen Industrieproduzenten China kaum unterstützen dürften, falls es beschließen sollte, die EU oder den Westen insgesamt mit Sanktionen zu belegen. Dies gilt insbesondere für Halbleiter, bei denen sich Europa hauptsächlich auf nicht-chinesische Quellen stützt. Die Strategie der EU-Kommission, chinesische Importe durch verschiedene Maßnahmen, darunter Antisubventionsuntersuchungen, einzuschränken, macht daher besonders bei für die ökologische Wende wichtigen Produkten wie Solarmodulen und Windturbinen wenig Sinn.

In ähnlicher Weise ist es in den USA inzwischen nahezu unmöglich, eine rationale Debatte über die Handelsbeziehungen zu China zu führen. Offiziell verfolgt die Regierung von Präsident Joe Biden das Ziel, die meisten Handelsbeziehungen aufrechtzuerhalten und zugleich strenge Vorschriften für einige wenige Sektoren durchzusetzen. Der Nationale Sicherheitsberater der USA Jake Sullivan hat diese Strategie mit „einem kleinen Hof und einem hohen Zaun“ verglichen. In Wahrheit jedoch hat die allgemeine Feindseligkeit gegenüber chinesischen Produkten dazu geführt, dass der „kleine Hof“ sich ausgedehnt hat. Ursprünglich zielten die US-Maßnahmen hauptsächlich auf hochmoderne Halbleiter und Anlagen zu Chip-Herstellung, die häufig in Europa hergestellt werden. Inzwischen jedoch umfassen die Bereiche hinter den hohen Zäunen auch Batterien und die gesamte Lieferkette für Elektrofahrzeuge.

Obwohl Chinas Drohungen mit wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen oft übertrieben und normalerweise handhabbar sind, errichten Europa, die USA und andere westliche Länder weiterhin kostspielige Handelsbarrieren, um diese wahrgenommenen Risiken zu mildern. Selbst diejenigen, die die begrenzte Wirksamkeit der wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen Chinas anerkennen, argumentieren oft, dass Europa den Handel mit China einschränken sollte, um sich auf die umfassenden Sanktionen vorzubereiten, die bei einem Angriff Chinas auf Taiwan verhängt würden.

Doch laufen die westlichen Länder Gefahr, dass ihnen hier Kosten für ein Szenario mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit erwachsen. Die Politiker sollten ihre Entscheidungen auf Erfahrung und fundierte wirtschaftliche Logik stützen und nicht auf Spekulationen. Die Vorteile der Aufrechterhaltung der Handelsbeziehungen zu China überwiegen die theoretischen Vorteile größerer geostrategischer Flexibilität bei weitem.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2023.

www.project-syndicate.org

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Wie schützt man seine Krypto-Wallet? CLS Mining ermöglicht Nutzern eine stabile tägliche Rendite von 6.300 €.

Der Kryptowährungsmarkt erholte sich heute umfassend, die Stimmung verbesserte sich deutlich. Meme-Coins führten den Markt erneut an....

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

avtor1
Daniel Gros

                                                                            ***

Daniel Gros ist Direktor des europapolitischen Instituts der Università Commerciale Luigi Bocconi.

DWN
Panorama
Panorama Gewalt gegen Frauen in den eigenen vier Wänden nimmt zu: Justizministerin kündigt Reformen an
21.11.2025

Häusliche Gewalt trifft überwiegend Frauen – und die Zahlen steigen. Nach der Einführung der Fußfessel plant Justizministerin Hubig...

DWN
Politik
Politik Schwarzarbeit bekämpfen: Sozialschutz für Paketboten soll dauerhaft gewährleistet werden
21.11.2025

Der Schutz von Paketboten vor Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung wird dauerhaft gestärkt: Der Bundesrat hat die Verlängerung der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Handelsriesen setzen Verbraucher unter Druck – Gutachten kritisiert Marktmacht
21.11.2025

Steigende Lebensmittelpreise sorgen bei vielen Verbrauchern für Unmut – und laut einem aktuellen Gutachten der Monopolkommission liegt...

DWN
Politik
Politik Klimagipfel unter Druck: Deutschland fordert ambitioniertere Ziele
21.11.2025

Die Gespräche auf der Weltklimakonferenz befinden sich in einer entscheidenden Phase – doch aus Sicht des deutschen Umweltministers...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Mobilitätsstudie zeigt Wandel: Autos stehen öfter still – Fußverkehr gewinnt an Bedeutung
21.11.2025

Eine neue bundesweite Mobilitätsstudie legt offen, wie sich das Verkehrsverhalten der Menschen in Deutschland verändert. Zwar bleibt das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Small Talk im Job: In 5 Schritten souverän werden
21.11.2025

Im Job entscheidet oft nicht nur Fachwissen, sondern auch wirkungsvolle Kommunikation. Besonders Small Talk kann Türen öffnen,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs im Fall: Marktverwerfungen schüren Angst vor Krypto-Crash – BTC-Kurs zeitweise unter 82.000 Dollar
21.11.2025

Der Bitcoin-Kurs stürzt im Freitagshandel erneut ab und sorgt unter Anlegern für wachsende Verunsicherung. Experten warnen vor einem...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Bovenschulte mahnt zum Handeln: Bundesratspräsident fordert mehr soziale Gerechtigkeit
21.11.2025

Mit deutlichen Worten hat der neue Bundesratspräsident Andreas Bovenschulte seinen Amtsantritt genutzt, um auf die wachsende soziale...