Politik

Wie ausgerechnet Wohngeld und Bürgergeld die Mieten in die Höhe treiben

Lesezeit: 3 min
16.01.2024 18:25
Seit Jahren nimmt in Deutschland die Zahl der Sozialwohnungen ab. Wohnungssuchende Menschen mit wenig Geld haben kaum mehr eine Chance adäquaten Wohnraum zu finden. Ein Bündnis für „Soziales Wohnen“ fordert nun die Bundesregierung auf, 910.000 neue Sozialwohnungen in Deutschland zu errichten und zu fördern. Ärgerlich nur, wenn überraschende Erkenntnisse einer vom Bündnis vorgelegten Studie den öffentlichen Auftritt und Vorstoß - de facto - konterkarieren.
Wie ausgerechnet Wohngeld und Bürgergeld die Mieten in die Höhe treiben
Sozialwohnungen in Berlin-Lichtenberg: Ende 2022 gab es bundesweit gerade mal 1,088 Millionen derartiger Wohnungen für Menschen mit kleinen Einkommen. (Foto: dpa)
Foto: Christophe Gateau

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So hatte sich das Lukas Siebenkotten wohl eher nicht vorgestellt. Der Präsident des Deutschen Mieterbundes hat zusammen mit Vertretern der IG Bau und Sozialverbänden wie der Caritas ein Bündnis für „Soziales Wohnen" in Deutschland geschmiedet, um die Bundesregierung zum verstärkten Bau von Sozialwohnungen anzutreiben. Das Bündnis mahnte diese Woche in Berlin die Schaffung von mehr als 910.000 Sozialwohnungen an und berief sich dabei auf eine Studie des Pestel-Instituts in Hannover. Vor einem Jahr waren es noch 700,000 Wohnungen - die Spirale dreht immer tiefer.

Was die Studie in diesem Jahr freilich entlarvte, ist wie ausgerechnet Job-Center und Wohnungsämter mit ihrer freimütigen Gewährung von Wohngeld-Zuschüssenund Bürgergeld selbstverschuldet den Preis für bezahlbaren Wohnraum in den deutschen Städten anfeuern. Wie das Beispiel des Münchner Wohnungsmarktes veranschaulichen hilft: Die bayerische Landeshauptstadt ist notorisch für die höchsten Wohnkosten bundesweit bekannt. Gleichwohl gelingt es den Ämtern bei der Bezuschussung von Bürgergeld-Empfängern diese exorbitanten Preise noch zu toppen. Durchschnittlich 19,20 Euro pro Quadratmeter wird in München Wohngeld gewährt - 6,40 Euro über dem schon steilen Durchschnittsmieten.

Macht - summa summarum - 700 Millionen Euro, die so in die Taschen der Vermieter fließen und den Mietspiegel munter nach oben treiben. Studienleiter Matthias Günther vom Pestel-Institut räumte freimütig ein: „Der Staat ist am Ende erpressbar, weil er Mieten in Kauf nehmen muss, die man ansonsten nicht zahlen würde." Der Staat müsse mehr in neue Sozialwohnungen investieren. Damit spare er erhebliche Summen, die er sonst auf Dauer für Mietzahlungen ausgeben müsste.

Forderung nach einem weiterem Sondervermögen

Nach Angaben der Verfasser der Pestel-Studie gab es Ende 2022 in Deutschland noch 1,088 Millionen Sozialwohnungen. Momentan ist es so, dass jedes Jahr mehr Wohnungen aus der Zweckbindung für soziale Wohnungen herausfallen als neue hinzubekommen. Um diese soziale Krise zu überwinden, müsste eine bundesweite Aufstockung auf den Bestand von zwei Millionen Sozialwohnungen bis zum Jahr 2030 erfolgen. Dann wäre in etwa der Stand aus dem Jahr 2007 erreicht. Besonders viele Sozialwohnungen fehlen laut Studie in Baden-Württemberg mit 206.000 Wohnungen, Bayern 195.000, Berlin 131.000 und Niedersachsen 109.000 Wohnungen

Das Bündnis erwartet, dass Bund und Länder umgehend ein Sondervermögen in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Förderung von sozialem Wohnraum bereitstellen. Nur so könne es gelingen, dem Ampel-Ziel von 100.000 neuen Sozialwohnungen im Jahr näher zu kommen - bislang seien im Durchschnitt seit 2017 rund 24.000 neue Sozialwohnungen im Jahr entstanden. Zudem sprach sich das Bündnis für Steuerminderungen beim Neubau von Sozialwohnungen aus. Es sollten künftig nur noch sieben statt bislang 19 Prozent Mehrwertsteuer erhoben werden. Ein Wünsch-dir-was, dass vermutlich am Widerstand der bürgerlichen Parteien im Bundestag abprallen wird. Aber aus Sicht von Mietern und Gewerkschaften darf man ja durchaus einmal offensiv den Finger in die schmerzende Wunde legen.

Die Webfehler liegen im System

Freilich muss man aufpassen, dass die Opposition nicht in den vorgelegten Unterlagen Argumente findet, die das Anliegen des Sozial-Bündnisses ad absurdum führen. Nicht nur die Deutschen Wirtschaftsnachrichten, sondern auch das „Handelsblatt" haben den wunden Punkt herausgefiltert. Wie die Kosten der Unterkunft inklusive der Betriebs- und Heizkosten in 2023 erstmals 20 Milliarden Euro überschritten haben. Fünf bis sechs Milliarden Euro an Wohngeld-Zuschüssen insgesamt kommen noch hinzu.

Es geht aber auch um die Webfehler im ganzen System: Die Mieten sind bei Sozialwohnungen staatlich reguliert. Wohnen dürfen dort nur Menschen, bei denen die Behörden einen besonderen Bedarf sehen, weil sie kleine Einkommen haben. Nach einer bestimmten Zeit können die Wohnungen aber normal am Markt vermietet werden. Weil seit langer Zeit nicht genug neue Sozialwohnungen nachkamen, nahm ihre Zahl unterm Strich in den vergangenen Jahren stetig ab. „Missmanagement bei der Unterstützung fürs Wohnen", wie IG-Bau-Vertreter Robert Feiger namens des Bündnisses „Soziales Wohnen" beklagt, wohl in der irrigen Annahme, dass es sich im Kern jemals verbessern ließe.

Nach Angaben aus der Studie ist der Staat vor allem in Regionen in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Hamburg gezwungen, eine Miete zu zahlen, die deutlich über den ortsüblichen Vergleichsmieten liegt. Der Hintergrund: Bei Bürgergeld-Empfängern übernimmt der Staat in der Regel die Kosten der Unterkunft. Und wer ein kleines Einkommen hat, kann einen Zuschuss beantragen für die Wohnung: das Wohngeld.

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Peter Schubert ist stellvertretender Chefredakteur. Seit dem 1. November schreibt er bei den DWN über Immobilien, Politik und Wirtschaft.


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