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Ifo-Institut: Rentenalter an Lebenserwartung koppeln – und Erhöhungen an Inflation

Lesezeit: 3 min
17.01.2024 16:11  Aktualisiert: 17.01.2024 16:11
Jeder Arbeitnehmer weiß inzwischen nur zu gut, dass das Renteneintrittsalter in Deutschland schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben wird. Das wird nach Expertenmeinung jedoch nicht reichen, um die Finanzierung der Rente dauerhaft sicherzustellen. Das Ifo-Institut hat zum neuen Jahr einen nicht ganz neuen, aber wissenschaftlich unterfütterten Vorschlag unterbreitet. Kommt jetzt für viele Deutsche die Rente noch später?
Ifo-Institut: Rentenalter an Lebenserwartung koppeln – und Erhöhungen an Inflation
Ein Rentnerpaar steht am Strand und schaut aufs Meer. Die Koppelung des Rentenalters an die Lebenserwartung könnte das System der gesetzlichen Rente stabilisieren. (Foto:dpa)

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Schrill lachen und laut auf die Schenkel klopfen ist immer wieder garantiert beim Thema Alterssicherung. Dass die Rente sicher sei, ist nur noch eine olle Kamelle von Norbert Blüm, dem ehemaligen CDU-Arbeitsminister unter Helmut Kohl, notorisch als Büttenredner im Lande verrufen. Alaaf - bald ist ja schon wieder Karneval. Noch eine Runde!

Neue Antworten werden immer noch gesucht. Zuletzt schien die Aktienrente einen Weg zu bahnen. Doch die Ampel-Koalition, die sich auf Drängen der FDP im Kern darüber verständigt hatte, musste die ersten Tranchen für einen derartigen Volksfonds nach norwegischem Vorbild zurückgestellt - natürlich wegen der Haushaltskrise. Völlig unklar, wann endlich wirklich genug Ersparnisse im Topf sind, dass es für die Rentner zu einer nachhaltigen Absicherung reicht.

„Die Finanzierung unseres Rentensystems steht vor dem Zusammenbruch“, warnte deshalb zuletzt Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Die Debatte ist in vollem Gange - eine weitere Baustelle, die auf die Stimmung im Lande drückt. Der Anspruch der Ifo-Forscher ist klar: Die Finanzierung des umlagefinanzierten Systems soll dauerhaft auf sichere Füße gestellt werden. Das funktioniert nur durch Koppelung des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung.

Insofern reagieren Arbeitnehmer im fortgeschrittenen Alter geradezu allergisch, wenn sie technokratische Begriffe wie Lebenserwartung und Inflationsausgleich hören. Für die meisten Menschen ist Rente dann, wenn man nicht mehr kann. Wer mit 63 Jahren ausgebrannt ist, nutzt die Möglichkeit der Frührente und nimmt dafür sogar Abschläge in Kauf. Andere wollen bis ins hohe Alter arbeiten, nicht weil sie das Geld brauchen, sondern ihr Job Berufung ist vielleicht.

Neue Runde in der Renten-Debatte eröffnet

Um die Lebenserwartung soll sich künftig alles drehen, eine für jeden sehr persönliche und recht unterschiedliche Zielgröße. „Einige unserer Nachbarländer haben das bereits beschlossen – die Niederlande, Schweden und Finnland", sagt Rentenexperte Joachim Ragnitz vom Ableger des Ifo-Instituts in Dresden. In den Niederlanden gilt die Regel: Wenn die Menschen drei Jahre länger leben, müssen sie zwei Jahre länger arbeiten und bekommen ein Jahr länger Rente. Das Verhältnis von Rentnern zu Erwerbstätigen würde damit auch nach dem Jahr 2040 stabil bei gut 40 Prozent liegen – und nicht auf fast 50 Prozent steigen, wie derzeit prognostiziert.

Das seit Jahren wie ein Damokles-Schwerte drohende Generationen-Dilemma: Hinter dem Vorstoß steckt das Problem, dass wegen der hinlänglich bekannten Alterung der Gesellschaft auf Dauer zu viele Empfänger zu wenigen Beitragszahlern gegenüberstehen, um eine stabile Rente sicherzustellen. Auch die Rentenversicherung hatte sich in der Vergangenheit deshalb bereits offen für eine neue Debatte über längeres Arbeiten gezeigt.

Alternativ ließe sich auch die Rentenhöhe absenken. Auch im Ifo-Institut stößt das auf Sympathie und Verständnis. Nach Meinung der Forscher sei zu überlegen, Rentensteigerungen nicht mehr an die Lohnerhöhungen zu koppeln wie bislang, sondern sich besser an der Inflationsrate orientieren. Die ist im Regelfall spürbar niedriger, so dass sich der Anstieg der Rentenausgaben aufhalten oder wenigstens verlangsamen ließe.

Beamte nicht in Rentenkasse übernehmen

Die Selbstständigen und Beamten in die Beitragszahlung einzubeziehen, wie es oft gefordert wird, ist für die Ifo-Forscher nicht sinnvoll, sondern kontraproduktiv. Diese Lösung würde die Rentenkassen nur kurzfristig entlasten. Im Endeffekt würden aber die Auszahlungen für unsere Staatsdiener, Freiberufler und Entrepreneure erheblich höher ausfallen, weil diese wegen ihres Lebensstandards normalerweise auch eine höhere Lebenserwartung hätten.

Zu den Befürwortern eines späteren Rentenbeginns gehören auch die Wirtschaftsweisen. Sie sprechen sich in ihrem aktuellen Jahresgutachten für die Bundesregierung ebenfalls „für eine Koppelung des gesetzlichen Renteneintrittsalters an die fernere Lebenserwartung, kombiniert mit einer neuen Form der ergänzenden, kapitalgedeckten Altersvorsorge" aus.

Die Widersacher sitzen freilich derzeit am Hebel der Macht. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) lehnt eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters kategorisch ab - Heil hat die Arbeiterschaft als Klientel fest im Blick, und zwar auch die der künftigen Generation. Sie würde wohl kaum verstehen, warum sie viel länger arbeiten müsste als die sogenannte Babyboomer-Generation, die jetzt in Rente geht. Und Olaf Scholz bürstete in seiner unnachahmlichen Art das Thema brüsk ab: Mit 67 sei „auch mal gut", und damit Wumms!

Das trifft die Stimmung vieler Menschen im Lande. Obwohl sie länger arbeiten müssten, wollen ohnehin fast 70 Prozent jener geburtenstarken Jahrgänge um das Geburtsjahrgänge 1960 bis zum geburtenstärksten Peak anno 1964, die derzeit und in den kommenden Jahren in Ruhestand gehen, wollen vorzeitig aus ihrer Firma ausscheiden bzw. ihre Stelle verlassen. Sie wundern sich auch darüber, warum bei der Renten-Entwicklung die Migration so gar keine Rolle zu spielen scheint. Dabei wächst die Bevölkerung Deutschland inzwischen wieder deutlich an, und dass die Flüchtlinge alle wieder in ihre Heimat zurückkehren, glaubt so gut wie niemand der Wähler.

Ablehnungsfront noch immer geschlossen

Die Gewerkschaften wenden sich gleichfalls gegen den Vorstoß der Wirtschaftswissenschaft. „Eine steigende Regelaltersgrenze führt zu mehr Abschlägen und weniger Rente. Das ist der falsche Weg. Wer will, dass Menschen real länger arbeiten können und wollen, muss die Arbeitsbedingungen verbessern", teilte Hans-Jürgen Urban, für Sozialpolitik verantwortliches Vorstandsmitglied der IG Metall, mit. Auch von der Kopplung der Renten an die Inflation hält die IG Metall nichts. „Aus gutem Grund folgen die Renten den Löhnen. Das bedeutet die Teilhabe der Rentnerinnen und Rentner an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung", wiederholt er das immer noch gültige Mantra der sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhardts (CDU). Es drohten sonst „soziale Verwerfungen", warnt Urban. „Gerechter ist es, wenn sich gute Löhne und Renten im Gleichklang bewegen." Die Inflation ist halt auch so ein Begriff, der die Leute inzwischen wütend macht, weil er argumentativ für alles präsentiert wird.

Zum Autor:

Peter Schubert ist stellvertretender Chefredakteur. Seit dem 1. November schreibt er bei den DWN über Immobilien, Politik und Wirtschaft.


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