Die Bundesregierung unter der Leitung von Minister Karl Lauterbach plant Reformen im Gesundheitswesen. Die Psychologen im Land stöhnen schon lange unter der Patientenlast. Unzumutbar lange Wartelisten im ganzen Land zeugen von einer grenzwertigen Situation für Therapeuten und Patienten.
Psychisch krank – Psychotherapeuten im Land beklagen Überlastung
Ein Krisengipfel Anfang 2024 war nötig, um endlich anzuschubsen, was lange auf sich warten lässt: Die Reform des deutschen Gesundheitswesens. Überlastung des Personals, fehlende Kapazitäten in den Krankenhäusern und überarbeitungsbedürftige Rahmenbedingungen für den ambulanten Sektor, sind nicht erst seit der Corona-Pandemie ein Thema im Land. Überall klemmt der Schuh. Auch bei den Psychotherapeuten.
Die Warteliste der meisten ist lang, bis zu zwei Jahre müssen Patienten mittlerweile auf einen Therapieplatz warten. Viele Therapeuten haben daher ihre Warteliste abgeschafft. Denn die Krankheit der Betroffenen hält sich nicht an Regeln und Vorgaben. Es ist ein flächendeckendes Problem. Ob auf dem Land oder in der Stadt, überall stöhnen die Therapeuten vor Überlastung. Dabei müssen sie selbst aufpassen, ihr gesundheitliches Limit nicht zu überschreiten und Opfer des lückenhaften Krankensystems zu werden.
Ärzten und Therapeuten reicht es schon lange. Um auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen, hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) vergangenes Jahr die Aktion „PraxenKollaps – Praxis weg. Gesundheit weg“ ins Leben gerufen. Denn die ambulante Versorgung im Land ist alles andere als rosig. Über eine halbe Million Menschen unterzeichneten die Petition, zeitweise kam es zur Überlastung des Faxgerätes des Petitionsausschusses. Heraus kam Anfang dieses Jahres ein Gespräch mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der eine Besserung der ambulanten Versorgung im Land verspricht. Die Vorstände der KBV hätten sich deutlich mehr gewünscht, nämlich konkretere Lösungs- und Umsetzungsschritte. Immerhin versprach der Minister die hausärztliche Entbudgetierung bereits im Jahr 2024 in Kraft treten zu lassen.
Angst und Wut nehmen zu
Fast die Hälfte der Menschen im Land machen sich aktuell Sorgen um ihre mentale Gesundheit, ergab eine repräsentative Studie von Civey. Das betreffe vor allem Menschen, die mit 30 bis 39 Jahren mitten im Berufsleben stehen. Über 60 Prozent der Befragten könnte sich vorstellen, bei seelischen Problemen einen Psychologen aufzusuchen. Am größten ist die Bereitschaft dafür bei Angestellten, am geringsten bei Menschen in klassischen Arbeiterberufen. Was derzeit überwiegt in der Gesellschaft sind negative Gefühle wie Wut, Ohnmacht und Unsicherheit. Corona, Kriege und Inflation in Folge, haben ihre mentalen Spuren im noch friedlichen Land hinterlassen. Überwog bis Ende vorletzten Jahres noch die Zuversicht, so haben seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine die negativen Gefühle in der deutschen Gesellschaft die Oberhand gewonnen. Laut der Seite der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (dgppn) erfüllt bundesweit mehr als jeder vierte Erwachsene im Zeitraum eines Jahres die Kriterien einer psychischen Erkrankung. Zu den häufigsten Krankheitsbildern zählen Angststörungen, Depressionen und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentengebrauch.
Psychische Erkrankungen sind die zweithäufigste Ursache für Krankheitstage im Beruf und auch der häufigste Grund für Frühverrentung. Knapp 18 Millionen Betroffene gibt es hochgerechnet, keine gute Prognose in Zeiten von Fachkräftemangel. Denn sie führen auch zu den längsten Fehlzeiten. Die durchschnittliche Dauer der Krankschreibung liegt bei 34 Tagen, womit psychische Erkrankungen im Vergleich zu allen anderen Erkrankungen, die längsten Fehlzeiten verursachen. Wenn es gar nicht mehr weitergeht, dann bleibt oft nur der Weg in die Klinik. 2021 wurden deutschlandweit rund 1,02 Millionen Menschen aufgrund von psychischen Erkrankungen vollstationär behandelt. Besonders in den letzten 10 Jahren ist ein Anstieg dieser Erkrankungsform zu beobachten. Beschäftigte im Sozial- und Gesundheitswesen sind häufiger betroffen und zeichnen sich oft durch das Burn-Out-Syndrom aus.
Keine adäquate Versorgung für psychisch Kranke
Gründe genug, sollte man meinen, um kranken Menschen schnell wieder auf die Beine zu helfen. Seit Januar 2020 vermittelt die bundesweite einheitliche Rufnummer 116117 dringend erforderliche Termine beim Arzt oder beim Psychotherapeuten. Vor dieser Einführung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und den 17 Kassenärztlichen Vereinigungen gab es über 1000 regionale Bereitschaftsnummerndienste, die teilweise täglich gewechselt wurden. Doch was hilfreich klingt, bringt speziell bei der Therapeutensuche nicht wirklich viel. Denn vermittelt werden nur Termine für ein Erstgespräch bei einem Therapeuten. Doch bei diesem besteht keine Verpflichtung auf ein Therapieplatz. Im schlimmsten Fall hangelt sich ein Patient von Erstgespräch zu Erstgespräch, erzählt sein Leid zum wiederholten Mal, ohne längerfristige Hilfsmaßnahmen zu bekommen. So bestätigt auch die gppn in seiner Veröffentlichung, dass von den Menschen mit einer schweren Depression nur 26 Prozent eine leitliniengerechte Behandlung und nur 10 Prozent eine Richtlinien-Psychotherapie erhalten. Zwar gebe es ein Kostenerstattungsverfahren (KEV), welches Patienten ermöglicht unter bestimmten Bedingungen auf privat abrechnenden Psychotherapeuten zurückzugreifen, doch kritisiert das Deutsche Psychotherapeuten Netzwerk (DPNW) das Verfahren und fordere laut der Ärztezeitung eine Erleichterung, solange keine fundierte Bedarfsplanung vorhanden sei.
Letzter Ausweg Freitod
Tragischerweise beenden nicht selten Menschen mit psychischen Erkrankungen ihr Leben. 2022 waren dies 10.119 Personen. Zum Ersten Mal seit 2015 ist diese Zahl fünfstellig. Damit ist die Zahl der Suizide in Deutschland erstmalig seit Langem wieder angestiegen. Bis zu 90 Prozent von Suiziden, lassen sich auf psychische Probleme zurückführend so die gppn. Die landesweite Telefonseelsorge ist dabei ein guter Indikator für die Stimmung der Menschen im Land. Im Kriegs- und Krisenjahr 2023 haben sich mehr als eine Millionen Menschen mit ihren Sorgen und Nöten an die Telefonseelsorge gewandt, so die vorläufige Auswertung. Das Thema Einsamkeit rangiert dabei an erster Stelle und sei bei mehr als jeden fünften Anrufenden Grund des Gesprächs gewesen. Sehr häufig werde über Ängste und depressive Stimmungen gesprochen. Auch kämen Suizidgedanken hier zum Ausdruck. Doch nicht immer schaffen es die ehrenamtlichen Mitarbeiter Menschen von ihrem Freitod abzuhalten, wie die Statistik traurigerweise zeigt. Vielleicht hätte das eine oder andere Leben durch professionelle Hilfe verhindert werden können.
Institute wie INSITE-Interventions helfen Menschen bei der Suche nach einem Therapieplatz. Dies findet im Rahmen des sogenannten „Employee Assistence Program“(EAP) statt, das Unternehmen ihren Mitarbeitern anbieten. Fehlende zeitnahe stationäre und ambulante Behandlungsplätze, lange Wartezeiten und volle Wartelisten führen zum nächsten Problem, wie Ludmila Peregrinova, Diplom Psychologin und stellvertretende Leitung der Insite EAP-Beratung, weiß. „Eine frühzeitige Erkennung von Belastungen und zeitnahe Möglichkeit zur Diagnostik sind genauso wichtig wie eine anschließende adäquate Behandlung. Damit können präventiv Problembereiche identifiziert werden, die noch keine Therapie jedoch eine Intervention notwendig machen“, sagt sie. Doch auch dafür benötigt es Fachkräfte und Zeit für die Betroffenen. Beides ist aktuell Mangelware im Gesundheitswesen.