Politik

Ukraine-Hilfen in Gefahr: Die politische Dysfunktion des Westens

Lesezeit: 3 min
22.01.2024 16:50
Mit jedem Tag wird offensichtlicher, dass die Unterstützung des Westens für die Ukraine zwischen verschiedene innen- und geopolitische Entwicklungen geraten ist. Und diese haben nichts mit dem Verteidigungskampf der Ukraine zu tun. Welche Lösungen gibt es und wie sollten die Hilfen für die Ukraine aussehen?
Ukraine-Hilfen in Gefahr: Die politische Dysfunktion des Westens
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, fordert mehr Unterstützung des Westens für sein Land (Foto: dpa)
Foto: Ukrainian Presidential Press Off

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Nun, da sich der Beginn des russischen Angriffskrieges seinem zweiten Jahrestag nähert, ist es von entscheidender Bedeutung, einen tragfähigeren und stabileren Finanzierungsmechanismus zu schaffen. Obwohl sich Wirtschaftsfachleute selten einig sind, besteht breiter Konsens darüber, dass der Preis einer für den Sieg in diesem Krieg unzureichenden Unterstützung der Ukraine weitaus höher wäre als die Kosten entsprechender Hilfen für das Land. Das derzeitige Finanzierungsmodell hängt jedoch in hohem Maße von angespannten Last-Minute-Verhandlungen in gesetzgebenden Gremien in den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union ab. Die daraus resultierende Unsicherheit führt zu enormen Kosten für die ukrainische Wirtschaft und untergräbt die politische Stabilität des Landes.

Verschärft wird das Problem durch politische Spaltungen in und zwischen westlichen Ländern. Ungeachtet der ukrainischen Aktivitäten wird der Krieg oftmals von anderen nationalen und internationalen Konflikten überschattet, wodurch Bemühungen um militärische Hilfe trotz massiver öffentlicher und politischer Unterstützung behindert werden. Beispielhaft in diesem Zusammenhang zu nennen sind etwa der Versuch des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, ein EU-Hilfspaket in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Ukraine zu blockieren sowie der Umstand, dass die US-Republikaner die Ukraine-Hilfe als Druckmittel in den Verhandlungen zur Lösung der Migrationskrise an der amerikanisch-mexikanischen Grenze benutzen.

Diese Anfälligkeit der westlichen Ukraine-Hilfen gegenüber innenpolitischen Machtkämpfen legt nahe, dass ein zentralisiertes Entscheidungssystem effektiver wäre als der derzeitige Finanzierungsprozess. Das Ziel eines derartigen Systems bestünde darin, die Ukraine vor den Auswirkungen der innenpolitischen Herausforderungen, Ablenkungen und Dramen ihrer Verbündeten zu schützen.

Glücklicherweise verfügen wir bereits über ein erprobtes Modell, um einer derartigen Kurzfristorientierung entgegenzuwirken. In den letzten zehn Jahren haben zahlreiche US-Bundesstaaten und mehrere nationale Regierungen Notfallfonds eingerichtet, um im Falle unerwarteter Schocks wie Rezessionen und Pandemien flexibel auf erforderliche Ressourcen zurückgreifen zu können. Die große Rezession und die darauf folgenden Haushaltskrisen haben nationale und subnationale Regierungen gleichermaßen dazu veranlasst, diese Fonds als wesentlichen Bestandteil ihrer Notfallstrategien beizubehalten. Wie aus nachstehender Grafik hervorgeht, verfügen die US-Bundesstaaten heute zusammen über 136 Milliarden Dollar an derartigen Mitteln. Das ist mehr als das Dreifache des Betrags, den sie 2007 zur Verfügung hatten.

Allerdings musste erst eine schwere Wirtschaftskrise eintreten, damit diese Strategie ernst genommen wurde. Nachdem Kalifornien während der großen Rezession seine Liquiditätsreserven ausgeschöpft hatte, reformierte der Bundesstaat 2014 seinen Notfallfonds, um zukünftige Finanzkrisen zu vermeiden. Obgleich nicht perfekt, haben derartige Fonds ihre Zweckmäßigkeit während der Covid-19-Pandemie unter Beweis gestellt.

Auf Grundlage dieser Erfahrungen sollten die Länder des Westens einen langfristigen Fonds zur Unterstützung der Ukraine einrichten. Durch Kreditaufnahme auf internationalen Märkten wäre es ihnen möglich, ohne erhebliche Belastung ihrer jeweiligen Staatshaushalte 100 Milliarden Dollar zu beschaffen - etwa so viel, wie zur Unterstützung der ukrainischen Kriegsanstrengungen für sechs Monate benötigt wird. Darüber hinaus würde diese Summe - bei der es sich um einen Bruchteil des gemeinsamen BIP der westlichen Verbündeten der Ukraine handelt - nicht zu einem wesentlichen Anstieg der Schuldenquoten dieser Länder führen.

Nach Einrichtung und Dotierung könnte die Ukraine aus diesem Fonds nach Maßgabe der in ihrem bestehenden Programm mit dem Internationalen Währungsfonds dargelegten Bedingungen und Erfordernisse sowie anderer in Absprache mit ihren Verbündeten festgelegter Zeitpläne und Kriterien Mittel abrufen.

Um die Auswirkungen auf ihre jeweiligen Staatshaushalte so gering wie möglich zu halten, bestünde für die Verbündeten der Ukraine die Möglichkeit, die Zinszahlungen für diese langfristigen Schulden durch Zugriff auf Erträge aus den eingefrorenen Vermögenswerten Russlands zu decken. Dadurch würden anfängliche sowie auch laufende operative Kosten des Notfallfonds wirksam eliminiert. Darüber hinaus würde die Emission langfristiger Staatsanleihen den Ländern des Westens die nötige Zeit verschaffen, um einen Konsens über die rechtlichen Grundlagen für die Umsetzung dieser Strategie zu finden.

Die Finanzierung eines 100-Milliarden-Dollar-Notfallfonds durch langfristige Kredite sollte fiskalpolitisch machbar sein, insbesondere, wenn das Ausmaß des Fonds an den Wert der eingefrorenen Vermögenswerte Russlands und die damit erzielten Erträge gekoppelt ist. Nehmen wir beispielsweise an, westliche Länder würden über 300 Milliarden Dollar an russischen Vermögenswerten mit einer bescheidenen jährlichen Rendite von 3 Prozent verfügen, während die durchschnittlichen Kreditkosten der Länder bei 4 Prozent liegen. In diesem Fall würden sich sowohl die jährlichen Erträge aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten als auch die fondsbezogenen Zinszahlungen auf jeweils 9 Milliarden Dollar belaufen, so dass der Fonds ohne zusätzliche Zinskosten bis zu 225 Milliarden Dollar aufnehmen könnte.

Angesichts der Verwüstungen, die der russische Angriffskrieg angerichtet hat, sollte das eingefrorene russische Vermögen natürlich direkt an die Ukraine überwiesen werden. Das wäre jedoch wohl zu langwierig und kompliziert, und die Ukraine braucht die Finanzmittel dringend und unverzüglich. Im Gegensatz dazu erfordert die Einrichtung eines Notfallfonds weit weniger juristische Vorarbeit. Sobald der Fonds finanziert und einsatzbereit ist, würde er dafür sorgen, dass die Unterstützung für die Ukraine nicht von sachfremden innenpolitischen Themen überlagert wird.

Kurzum, ein Notfallfonds würde die Ukraine nicht nur von geopolitischer Unsicherheit abschirmen, sondern auch ihre Chancen auf eine Sieg über Russland deutlich erhöhen. Durch die Begrenzung der durch den Krieg verursachten Schäden könnte dieser Fonds den Wiederaufbau der Ukraine unterstützen und damit den EU-Beitritt des Landes beschleunigen. Wie US-Präsident Joe Biden kürzlich feststellte braucht die Ukraine mehr als nur die rhetorische Unterstützung des Westens. Die Verbündeten der Ukraine sollten ihr Engagement für die Freiheit und Sicherheit des Landes unter Beweis stellen, indem sie dafür sorgen, dass die Ukraine die notwendige finanzielle Unterstützung erhält.

Torbjörn Becker ist Direktor des Stockholm Institute of Transition Economics an der Stockholm School of Economics. Jurij Horodnitschenko ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of California in Berkeley.

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Yuriy Gorodnichenko ist Professor für Volkswirtschaft an der University of California in Berkeley. Daniel Gros ist Direktor des europapolitischen Instituts der Università Commerciale Luigi Bocconi.


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