Finanzen

Flug storniert oder verspätet: Das Geschäft mit den Entschädigungen boomt

Seit nunmehr 20 Jahren ist die EU-Verordnung für Fluggastrechte in Kraft. Passagiere haben seither Anspruch auf 250 bis 600 Euro Entschädigung bei gestrichenen oder verspäteten Verbindungen. Ein Unternehmen profitiert besonders: Flightright hat bei den Airlines eine halbe Milliarde Euro erstritten.
14.02.2024 07:00
Lesezeit: 4 min

Fliegen ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Nicht nur die Bahn hat ein Problem mit Verspätungen. Deutschland gilt mittlerweile sogar als Spitzenreiter im Vergleich - nur in Norwegen und den Niederlanden gibt es prozentual gehen noch mehr Ausfälle.

Die Streiks der vergangenen Wochen haben allerorten zu Flugausfällen, Unpünktlichkeit und vor allem Unannehmlichkeiten für die Passagiere geführt. Nach Einschätzung der Firma Flightright hätten durch die aktuellen Streiks gut 100.000 Fluggäste Anspruch auf eine Entschädigung der Airlines. Nicht alle scheinen das zu wissen.

Doch noch immer sind es gerade mal 36 Prozent der Passagiere, die überhaupt um ihr gutes Recht wissen und die Airlines konsequent in die Haftung nehmen. Dabei hat vor genau 20 Jahren die Europäische Union (EU) eine Verordnung verabschiedet, die die Rechte der Fluggäste regelt. Ganz konkret hat die EU damit festgelegt, dass je nach Dauer der Verspätung oder der Kurzfristigkeit einer Annullierung 250 bis 600 Euro fällig werden. Nicht jeder holt sich jedoch das Geld zurück und scheut den Streit.

Dabei gibt es dafür inzwischen juristische Unterstützung. Das Geschäftsmodell der Firma Flightright und anderen ähnlichen Dienstleitern wie Airhelp oder Rightnow in Europa ist es, den Kunden auf eigenes Risiko bei Klagen oder Auseinandersetzungen beizustehen. 2010 wurde das Unternehmen Flightright in Berlin gegründet und beschäftigt bereits 250 Mitarbeiter in der Hauptstadt.

Flightright hat gut 500 Millionen Euro für Passagiere erstritten

Jan-Frederik Arnold, Chef des Unternehmens, räumt freimütig ein, dass es ein gutes Geschäft war. Gut eine halbe Milliarde Euro konnte Flightright seit Firmengründung erstreiten und nach Abzug von 20 bis 30 Prozent Provision (plus Mehrwertsteuer) an die Passagiere ausreichen. Am Anfang war es offenkundig noch ein zähes Ringen, inzwischen gibt es Airlines, die sich schnell und unbürokratisch gerade machen.

„Wenn wir die Airlines verklagen, übernehmen wir das gesamte Kostenrisiko für Gerichts- und Anwaltskosten", sagt Arnold. „Sind wir mal nicht erfolgreich, dann zahlt der Kunde auch nichts." Mit diesem Geschäftsmodell ist Flightright zum Marktführer in Deutschland geworden. Und doch zieren sich noch immer Fluggesellschaften auf Schreiben der Flightright-Juristen überhaupt zeitnah zu reagieren.

„Einige zahlen sofort", andere stellen sich in nahezu 100 Prozent der Fälle stur", wundert sich Arnold. Übrigens seiner Erfahrung nach gar nicht so sehr die sogenannten Billig-Airlines, sondern vor allem Air-France - und sogar die Lufthansa. Sage und schreibe 125.000 Klagen landen auf den Tischen der Gerichte - gut 100.000 Fälle stammen allein von Flightright. Arnold beteuert, seine Juristen seien stets zu außergerichtlichen Vergleichen bereit. Arnold: „Uns kann man das nicht vorwerfen, wir gewinnen fast jeden Fall." Bei der Lufthansa-Tochter Eurowings habe man das längst eingesehen, dort sei man flexibler als im Mutterkonzern. Easyjet zählt mittlerweile zu den Positiv-Beispielen, heißt es.

Ein Geschäft, das nun jedoch von der Politik ein Stück weit eingefangen werden könnte. Denn die Ampel hat sich in ihren Koalitionsvereinbarungen darauf verständigt, die Ansprüche der Flugpassagiere zu automatisieren und den Verbraucherschutz zu stärken. Justizminister Marco Buschmann von der FDP hat sich freilich noch nicht bequemt, tätig zu werden und einen Gesetzentwurf vorzulegen. Während nämlich SPD und Grüne auf die Abmachungen der drei Parteien pochen, scheinen die Liberalen wieder mal zu bremsen, weil sie keinen Alleingang Deutschlands wünschen.

Ampel möchte Anspruch - Prozess automatisieren, die FDP bremst

„Ein Alleingang Deutschlands würde bei der Abwicklung der Entschädigungen zu einem Flickenteppich führen und letztlich die Reisepreise verteuern", befürchtet Katharina Willkomm, Verbraucherschutz-Expertin der FDP-Fraktion. Detlef Müller, Vize-Vorsitzender der SPD-Fraktion, indessen sieht sogar dringenden Handlungsbedarf. Er fordert „Optimierungen im Ablauf", die zu besseren Ar4beitsbedingungen und mehr Personal am Airport und an Bord führen sollen. Vor allem die mangelnde Pünktlichkeit ärgert ihn: Europaweit seien 30 Prozent aller Flieger nicht pünktlich am Ziel angekommen - von Verspätungen im Luftverkehr spricht man bei mindestens 15 Minuten über der Zeit.

Sollte es doch noch zu einem Gesetzentwurf kommen, der den Parlamentariern vorgelegt wird, geht es wohl vor allem auch um höhere Entschädigungssummen. Die sind seit 20 Jahren nicht angepasst worden und hinken daher der Preisentwicklung und Inflation hinterher. 250 Euro für kurze Flüge von unter 1500 Kilometern Distanz werden nach wie vor mit 250 Euro entschädigt, kosten inzwischen aber häufig schon weit mehr. Bei längeren Strecken gibt es immerhin bis zu 600 Euro. Die Verbraucherzentrale-Bundesverband (VZBV) fordert endlich „eine freiwillige Selbstverpflichtung" der Fluggesellschaften und pocht auf zügige Umsetzung der Ampelpläne.

Bei Schlechtwetter und Sperrungen des Luftraums zahlen Airlines nicht

An den Regeln selbst muss sich gar nicht so viel ändern. Die Rechtslage gilt inzwischen als eindeutig: Für schlechtes Wetter und eine Sperrung des Luftraums werden die Airlines nicht in Haftung genommen. Bei Streiks kommt es darauf an, in wessen Verantwortungsbereich der Ausstand liegt. Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass Streiks im Rahmen des normalen Geschäftsbetriebes keine außergewöhnlichen Umstände darstellen. Beim derzeitigen Verdi-Streik des Bodenpersonals an den deutschen Airports hätten jedenfalls alle Betroffenen einen Entschädigungs-Anspruch. Das wird freilich zum Ärger der Verbraucherschützer manchmal nicht sonderlich freimütig kommuniziert - mitunter hängt nur ein Zettel am Gate und klärt über Ansprüche auf. Zum Beispiel zu Hotelübernachtungen und Verpflegungs-Gutscheinen.

Ausgerechnet bei der Bahn ist dieser Prozess längst viel weiter fortgeschritten - dort man kann ganz unkompliziert per App Entschädigungen beantragen. Selbst die Schaffner haben in der Vergangenheit bereitwillig entsprechende Formulare ausgegeben an die Zug-Passagiere. Die Vertreter der Airlines sträuben sich eher, wenn es um ihre Pflichten und die Rechte der Passagiere geht. Dabei erwägen selbst die USA inzwischen ein ähnliches Gesetz wie in der EU einzuführen. Jenseits des Atlantiks hat man erkannt, dass der Flugverkehr in Europa weit reibungsloser vonstatten geht, seitdem es die Fluggast-Verordnung gibt.

Ein ganz neues Ärgernis scheint jedoch zu werden, dass Fluggesellschaften immer genau 15 Tage vor Abflug ihre Flüge stornieren. So umgehen sie die 14-Tages-Regel der EU-Verordnung und zahlen gar nichts. Passagiere sind dann oft gezwungen, neu zu buchen, allerdings zu dann meist viel höheren Tarifen. Flightright-Boss Jan-Frederik Arnold fordert deshalb eine verlängerte Drei-Wochen-Frist. In puncto Verbraucherschutz gibt es in der Flugbranche noch deutlich Luft nach oben.

Arnold hat auch noch einen Tipp aus seiner Statistik in petto: Am besten Nachmittagsflüge buchen, rät er. „Abendflüge werden viel häufiger storniert." Ein Ärgernis, das Flightright zunehmend beschäftigt, ist das Verhältnis zwischen Airlines und Buchungsportalen. Arnold nennt das unwürdige Hin und Her „Verantwortungs-Ping-Pong" auf Kosten der Passagiere.

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Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

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